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Theorien der Literatur VII


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mon écritoire à la face. Voilà ce qu’elle me dit aujourd’hui, cette vilaine Ame, qui n’est pas une hallucination: ‚En vérité, les poëtes sont de singuliers fous de prétendre que l’imagination soit nécessaire dans toutes les fonctions de l’art. Qu’est-il besoin d’imagination, par exemple, pour faire un portrait? Pour peindre mon âme, mon âme si visible, si claire, si notoire? Je pose, et en réalité c’est moi, le modèle, qui consens à faire le gros de la besogne. Je suis le véritable fournisseur de l’artiste. Je suis, à moi tout seul, toute la matière.‘ Mais je lui réponds: ‚Caput mortuum, tais-toi! Brute hyperboréenne des anciens jours, éternel Esquimau porte-lunettes, ou plutôt porte-écailles, que toutes les visions de Damas, tous les tonnerres et les éclairs ne sauraient éclairer! plus la matière est, en apparence, positive et solide, et plus la besogne de l’imagination est subtile et laborieuse. Un portrait! Quoi de plus simple et de plus compliqué, de plus évident et de plus profond?‘3

      Zentraler Diskussionspunkt ist also die Frage der Imagination in ihrer Notwendigkeit für die Kunst im Allgemeinen, für das Porträt im Besonderen. Das verhasste bürgerliche Gegenüber ist seinerseits ein imaginiertes, aber kein halluziniertes, wie Baudelaire betont: fiktional, aber (leider) nicht fiktiv. Es sitzt ihm nah („cellule“) gegenüber („en face“) – eigentlich selbst schon eine Konstellation des verzerrten Spiegelporträts. Das bürgerliche Gegenüber behauptet sich in seiner positivistischen Materialität, die den Künstler geradezu überflüssig macht: Wozu Imagination, wenn doch alles sichtbar ist? Baudelaire nimmt diese Selbstreduktion auf die ‚Sache‘ in seiner erwidernden Beschimpfung als caput mortuum auf – der Totenschädel dient hier als Symbol irreduzibler Materialität. Kein Blitz der Welt reiche jemals aus, um diese kieselbebrillte, hintereisbergische Seele zu erhellen und sie zur Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse zu bringen: je sichtbarer die ‚positive‘ und ‚solide‘ Materie zu sein scheint, desto subtiler und notwendiger ist die Arbeit der Imagination. Das Portrait ist einfach und kompliziert, evident und tiefgründig zugleich, so die pointierte Antithese Baudelaires.

      Grundsätzlich ist für Baudelaire die Imagination die reine des facultés, die Königin der Vermögen, sie ist die eigentliche reine du vrai, Königin des Wahren. Das betont er deshalb immer wieder, weil er sich mit seiner Dichtung der Modernité in einer historischen Paragone-Situation befindet. Zum einen angesichts des literarischen und künstlerischen Realismus (insbesondere im Sinne der Genre- und Landschaftsmalerei), den er in seinen Schriften stets als verfehlte ästhetische Konzeption schwer zu erregender Geister („esprits paresseux et difficilement excitables“) zurückweist.4 Zum anderen angesichts der Photographie,5 die er als verhasste konkurrierende Modeerscheinung immer wieder polemisch thematisiert. In diesen „jours déplorables“ wie es bei ihm heißt, habe sich eine neue Industrie formiert, die nicht unwesentlich dazu beigetragen habe, dass der letzte Rest des Göttlichen im französischen Geist zum Ruin gekommen sei:6

      [L]e Credo actuel des gens du monde, surtout en France […] est celui-ci: ‚Je crois à la nature et je ne crois qu’à la nature (il y a de bonnes raisons pour cela). Je crois que l’art est et ne peut être que la reproduction exacte de la nature […] Ainsi l’industrie qui nous donnerait un résultat identique à la nature serait l’art absolue.‘7

      Der Glaube an die reproduction exacte dessen, was als ‚Natur‘ unmittelbar sich darzulegen scheint, steht am Ursprung eines neuen, von Baudelaire als bedrohlich bewerteten bürgerlichen Kunstverständnisses, das von einer neuen Massen-Sekte propagiert und praktiziert wird:

      Un Dieu vengeur a exaucé les voeux de cette multitude. Daguerre fut son Messie. Et alors elle se dit: ‚Puisque la photographie nous donne toutes les garanties désirables d’exactitude (ils croient cela, ces insensés), l’art, c’est la photographie.‘ A partir de ce moment, la société immonde se rua, comme un seul Narcisse, pour contempler sa triviale image sur le métal.8

      Die multitude, die einerseits für Baudelaire im Sinne der anonymen Masse Bedingung und Hintergrundgeräusch moderner Kunst ist (s. das berühmte und vielinterpretierte Sonett A une Passante), wird hier zum Publikum einer bedrohlich konkurrierenden Modeerscheinung, die nach Baudelaires Ansicht zu Unrecht künstlerischen Anspruch erhebt und sich nun sogar als Inbegriff der Kunst zu behaupten droht. Die Selbstbespiegelung im Metall der Daguerrotypie wird bei ihm zum Signum eines falschen, weil positivistisch-abbildenden Kunstverständnisses, das die Bedeutung der Imagination negiert. Er selbst räumt der Photographie lediglich als technischer Dienerin der Wissenschaften und Künste einen Platz ein, vergleichbar mit dem Buchdruck und der Stenographie – sobald man ihr jedoch die Anmaßung nicht verweigere, sich Zutritt zu den Domänen der Kunst zu verschaffen, nehme das Unheil seinen Lauf: „Mais s’il lui est permis d’empiéter sur le domaine de l’impalpable et de l’imaginaire, sur tout ce qui ne vaut que parce que l’homme y ajoute de son âme, alors malheur à vous!“9 Die Imagination ist nach Auffassung von Baudelaire die „reine des facultés“10, und ihr ist eine „apparentée avec l’infini“11 eigen – die technisierte Begrifflichkeit assoziiert das Faszinosum der Apparate-Photographie, um es zugleich aufzurufen und sich ihm entgegenzusetzen.

      So deutlich wie die Ablehnung der Photographie ist Baudelaires Affinität zur Malerei und Zeichnung. Die Inbezugsetzung von Dichtung und Malerei ist bei Baudelaire produktiv und geradezu konstitutiv für seine Poetik.12 Baudelaire stellt der abbildenden Photographie in seinen Gedichtsammlungen Les Fleurs du Mal und Le Spleen de Paris die verweisende Literatur entgegen. Was Literatur ausmacht, ist ihr Potential, im Synergieeffekt mit Malerei und Zeichnung einen dritten Ort zu schaffen, der jenseits ihrer selbst liegt. Hier ist der Ort der reine des facultés, der Imagination. Zu illustrieren ist das anhand des Gedichtes Le Portrait im Sonett-Zyklus Un fantôme aus den Fleurs du Mal.13 Der Zyklus besteht aus vier Sonetten, die die Titel Les Ténèbres, Le Parfum, Le Cadre und Le Portrait tragen und somit eigentlich schon durch die Titelwahl ihren Bezug zu Kunst- und Darstellungsdiskursen Baudelaires nahe legen. Le Portrait legt folglich – hinausgehend über die bisherigen Forschungen einen Deutungshorizont jenseits der Erlebnislyrik nahe. Das Gedicht ist vielmehr getragen von der ästhetischen Reflexion Baudelaires im Kontext des Salon de 1859 und von dem von Baudelaire diskutierten Paragone von Kunst (also Literatur und Malerei) einerseits und der ‚Nicht-Kunst‘ Photographie:

      Le Portrait

      La Maladie et la Mort font des cendres

      De tout le feu qui pour nous flamboya.

      De ces grands yeux si fervents et si tendres,

      De cette bouche où mon coeur se noya,

      De ces baisers puissants comme un dictame,

      De ces transports plus vifs que des rayons,

      Que reste-t-il ? C'est affreux, ô mon âme !

      Rien qu'un dessin fort pâle, aux trois crayons,

      Qui, comme moi, meurt dans la solitude,

      Et que le Temps, injurieux vieillard,

      Chaque jour frotte avec son aile rude…

      Noir assassin de la Vie et de l'Art,

      Tu ne tueras jamais dans ma mémoire

      Celle qui fut mon plaisir et ma gloire !14

      Le Portrait erscheint bei oberflächlich-inhaltistischer Lektüre zunächst als ein Vanitas-Gedicht aus dem 17. Jahrhundert: Krankheit und Tod verwandeln das Feuer in Asche, von diesen Augen, von diesem Mund, von diesen Küssen, von diesen Empfindungen der Leidenschaft wird nichts bleiben: „Que reste-t-il? C’est affreux, ô mon âme! / Rien qu’un dessin fort pâle, aux trois crayons.“ Eine ‚ganz blasse‘ Zeichnung, mit wenig differenzierten Strichen („aux trois crayons“) aufs Papier geworfen. Damit ist ein Bild aufgerufen, das umso deutlicher hervortritt, wenn man sich der ästhetischen Dimension der ersten beiden Quartette zuwendet und das Gedicht auch ‚hört‘ und ‚sieht‘. Das erste Quartett reimt im Kreuzreim „flamboya“ und „se noya“, das zweite Quartett „rayons“ und „crayons“: Der Maler, Zeichner und Stecher Goya