Группа авторов

Zwischen Orient und Europa


Скачать книгу

      Die deutsch-jüdische Spannung bei Heine, Zunz und dem Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden

      Mauro Ponzi

      Die deutsche Differenz

      Als ich vor einigen Jahrzehnten als Humboldt-Stipendiat in Berlin Dominique Bourel kennenlernte, und merkte, dass er sich als ,Orientalist‘ bezeichnete, habe ich mir die Frage gestellt, was eigentlich „Orientalismus“ sei. Am Beispiel der deutschen Kultur ist dieser Begriff immer noch problematisch. Ohne den Anspruch zu erheben, eine ausführliche Definition des Begriffes zu liefern, brauchen wir doch eine Begriffsbestimmung des ,Orientalismus‘, oder besser gesagt, müssen wir deutlich erklären, was wir mit ,Orientalismus‘ meinen.

      Wie bekannt, hat Edward Said die Grundlinien der Begriffsbestimmung geliefert.1 Mit dem Begriff Orientalismus bezeichnet er in seinem 1978 erschienenen Werk den eurozentrischen, westlichen Blick auf die Gesellschaften und Kulturen des Nahen Ostens bzw. auf die arabische Welt als eine Herrschaftsform und eine Umstrukturierung des Autoritätsbesitzes über den Orient. Dieses Denken drücke ein Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Orient aus und sei ein Teil der modernen politischen und intellektuellen Kultur unserer Zeit. Der Orientalismus sei also nur ein Bild, eine vom westlichen Kolonialismus produzierte klischeeartige Vorstellung der Völker und Kulturen des Nahen Ostens. Bernard Lewis hat insofern Saids Begriffsbestimmung umgekippt, als er behauptet, dass der Orientalismus eine kulturelle und politische Selbstfindung, ein Bewusstwerden der Völker des Nahen Ostens dem westlichen Kolonialismus gegenüber sei.2

      Innerhalb der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte ist dieser Begriff mit der Vorstellung der Juden, die die deutsche Kultur hervorgebracht hat, und mit dem Gegensatz Identität-Assimilation eng verbunden. Es ist ja wahr, dass das Problem der Assimilation in jedem Land der Diaspora mehr oder weniger entstand. Wir können aber ohne weiteres von einer ,deutschen Differenz‘ sprechen, weil der Beitrag der ,deutschen Autoren jüdischen Glaubens‘ zur deutschen Literatur, Philosophie und Kultur viel entscheidender war als in jedem anderen europäischen Land. Die Besonderheit der zeitgenössischen italienischen Philosophie zwischen Marxismus und Biopolitik wird im amerikanischen Sprachraum ebenfalls als Differenz wahrgenommen und als italian difference bezeichnet. So können wir diese Definition entlehnen, um die besondere Eigenschaft der jüdischen Tradition innerhalb der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte zu bezeichnen. Und diese Besonderheit des deutschen Judentums besteht darin, dass die jüdischen Autoren insgesamt Protagonisten der deutschen Literatur und Philosophie waren, so dass wenn die deutsch-jüdischen Autoren von der deutschen Literatur und Philosophie ausgeschlossen werden – wie manche Deutschnationalen einmal vorschlugen – wird die deutsche Kultur mindestens halbiert.

      Diese ,deutsche Differenz‘ bringt aber viele Probleme, Spannungen und Zerrissenheit mit sich. Die in der Zeit der deutschen Aufklärung entstandene Theorie der ,deutsch-jüdischen Symbiose‘ erwies sich als eine Legende.3 Heinrich von Treitschke hielt die jüdischen Autoren deutscher Sprache für „unverfälschte Orientalen“, mit dem Ziel, sie von der ,wahren‘ deutschnationalen Kultur auszuschließen. Die Westjuden deutscher Sprache wurden immer – auch Jahrhunderte zuvor – von der ,bürgerlichen Gesellschaft‘ abgegrenzt. Die Bezeichnung der Westjuden als „Orientalen“ entstand viel früher, als Treitschke und Wassermann sie formulierten. Die ,deutsche Differenz‘ besteht in einer Spannung zwischen deutscher Kultur und jüdischer Tradition, die nie gelöst wurde und auf deren Grundlage die deutsch-jüdische Literatur und Philosophie analysiert werden muss.

      In dieser kulturpolitischen Situation der Ausgrenzung wurden die Westjuden gezwungen, eine Entscheidung zu treffen: entweder eine Art Assimilation zustande zu bringen oder aber ihre jüdische Identität zu bestätigen und eine Form der Selbstabgrenzung zu bewirken.

      Die Suche nach einer kulturellen Identität greift immer auf die Tradition zurück und sie gründet auf dem Prinzip der Ausschließung: Die Begriffsbestimmung des Eigenen braucht die Darstellung einer entgegengesetzten Alterität, so wie die Bestimmung einer Identität ein äußeres, ausgeschlossenes Fremdes voraussetzt, das als eine Bedrohung empfunden wird und deshalb durch eine Demarkation, durch eine ständige Setzung von Grenzen, von unüberschreitbaren Grenzlinien, bestimmt wird.4 Aber in dem gleichen Moment, in dem man Demarkationslinien festsetzt, entstehen – wie Derrida schreibt5 – Grenzgebiete, welche sich immer wieder dieser strengen Unterscheidung entziehen. Grenzgebiete können nicht leicht unter festen Kategorien des ,entweder-oder‘ eingeordnet werden, sie überschreiten immer wieder diese Demarkationslinien. Die monokulturelle Obsession setzt immer neue Demarkationen der Vielfältigkeit der Zwischenräume gegenüber. Aber jede neue Demarkation bringt immer wieder neue Dekonstruktionen mit sich.

      Die Westjuden, die versucht haben, in die bürgerliche Gesellschaft einzutreten und darin mitzuwirken, stellten sich eben in diese Zwischenräume, in denen die Überlegung über die kulturelle Identität von den Beiträgen der Interferenzen, welche aus den fremden Räumen kommen, angereichert wird. Indem man die Denkkategorien, die das Eigene, das Deutsch-Nationale, das An-der-Tradition-Gefesselte verherrlichten, umkehrt, merkt man, dass die angebliche Reinheit der Kultur, die man durch die Ausschließung des Fremden erreichen will, eigentlich eine „erlogene Reinheit“ ist – um Goethe zu zitieren.6 Es ist das, was Foucault Heterotopie nennt, ein Ort, der von anderen Topoi, von Grenzgebieten durchquert wird, es sind nämlich Zwischenräume, in denen heterogene Gegenstände nebeneinander bestehen, und die als solche feste Überzeugungen in Frage stellen und von uns fordern, vorherbestehende Kategorien neu zu denken, sie umzubilden.7

      Die westliche Denkungsart – in ihrer Form des Kolonialismus und des Nationalismus – hat immer seinen eigenen way of life als die einzige, als die Form verstanden, die man in die noch-nicht-zivilisierten Länder exportieren muss, und sie hat dadurch eine kulturelle Hierarchie sowohl in der idealistischen Form des ,guten Wilden‘ als auch in der exotischen Form der Reise in die Ferne als auch in der angreifenden Form der Eroberung und der Zwangszivilisierung des Fremden aufgestellt. So ein Modell der Gesellschaft und der Kultur gründet auf dem Gegensatz in/out und in der Aufstellung einer einzigen Vorstellung der Gesellschaft, der Kultur, der Organisation und des Denkens. Dem Nationalismus ist es gelungen, die Überzeugung durchzusetzen, dass eine ,Kulturnation‘ das Recht und sogar die Pflicht hatte, mit Gewalt die Fremden zu zivilisieren und zu modernisieren. Das Denken und die Kultur des Fremden waren für die Deutschnationalen unverständlich und unzugänglich: Sie wurden als eine Bedrohung wahrgenommen, die man entweder durch die Zwangsassimilation oder durch die einfache Vernichtung abwenden konnte.

      Die Westjuden sollten deshalb entweder den Weg der Assimilation oder aber den der Selbstausgrenzung und der Bestätigung der eigenen Identität wählen. Sogar die verschiedenen Vorstellungen des Orientalismus widerholen diese entgegengesetzten Positionen: Orientalismus als Bild des westlichen Kolonialismus oder als Selbstverständnis der Länder und Kulturen des Nahen-Ostens. Klaus Briegleb ist sehr radikal in der Bewertung der jüdischen Assimilationsversuche und bezeichnet sie als Marranentum.8 Unter diesem Begriff versteht Briegleb „eine Gruppe Juden, die sich dadurch aus der Masse des Volks hervorheben, dass sie einmal eine Zeit hindurch, mindestens ein Jahrhundert lang, meist viel länger, Christen gewesen sind“.9 Andere Forscher nennen den Versuch, das Judentum der deutschen Kultur anzupassen, eine Form der Hybridität. Wenn wir aber das kulturhistorische Phänomen mit den von Foucault und Waldenfels gelieferten Begriffsbestimmungen analysieren, scheint diese deutsch-jüdische Spannung eher ein paradigmatisches Beispiel der Heterotopie. Schriftsteller und Philosophen, die an zwei unterschiedlichen Traditionen teilnehmen, sind nicht Halbjuden und Halbdeutsche, sondern 100 Prozent Juden und 100 Prozent Deutsche. Ich würde weniger von Hybridismus sondern vielmehr von doppelter Identität, also von Heterotopie sprechen.

      Die jüdische Sittlichkeit des Dekalogs und der daran anschließenden Tradition werden bei den assimilierten Westjuden im Sinne der Moralphilosophie Kants als überzeitlich ausgegeben und damit in neuem Verständnis zur neuen Verbindlichkeit erhoben. Daraus folgt zwangsläufig der Schritt zur ,Entnationalisierung‘ der jüdischen Religion, wie sie einer Vielzahl von liberalen Reformversuchen innerhalb des deutschen Judentums im 19. Jahrhundert zugrunde liegt.10 Die von der deutschen Aufklärung erfundene Theorie der ,deutsch-jüdischen Symbiose‘ hat seinen Ursprung in Kants Auffassung der Überzeitlichkeit und daher der Außergeschichtlichkeit