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Zwischen Orient und Europa


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und stellt somit das Problem der Assimilation und der Gleichberechtigung als Hauptfrage. Auf die Frage der ,Entnationalisierung‘ hat der Zionismus in der Jahrhundertwende eine entscheidende Antwort gegeben. Das Paradox besteht darin, dass die Emanzipation der deutschen Juden nicht durch die Assimilation in den gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen des deutschen Staates, sondern durch den Zionismus und später durch die Gründung des Staates Israel stattfand. Das Konzept des Staates und der Nationalismus sind aber typische Produkte der deutschen Kultur des 19. Jahrhunderts, die eigentlich sehr gravierende Folgen gehabt hat. Die rationalistische und aufklärerische Komponente des deutschen Judentums – die Haskalah – hat hingegen eine andere Hypothese entwickelt, die nicht auf dem Begriff der Nation, sondern auf dem Prinzip der Internationalisierung des Judentums gründete. Diese Strategie hat viele sehr interessante kulturelle Ergebnisse hervorgebracht, sie erwies sich aber als unzulänglich und scheiterte.

      Der Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden

      Die kulturpolitischen Positionen von Heinrich Heine und Leopold Zunz, sowie die der Mitglieder des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden, müssen als eine Nachwirkung der Haskalah, dieser aufklärerischen Bewegung, die für die soziale und kulturelle Emanzipation der Juden kämpfte, verstanden werden. Die Ergebnisse dieser Bewegung waren vielseitig und sehr unterschiedlich. Der Fall Heine und der Fall Zunz stellen zwei besondere Varianten dieses Anspruchs zur Modernisierung des deutschen Judentums dar. Ich möchte hier eine Arbeitshypothese aufstellen: Zunz’ und Heines intellektuelle Vorgänge sind von einer Verortung gekennzeichnet: die Wiederentdeckung der jüdischen Identität am Beispiel des polnischen Städtl, die mit einer Zurückgewinnung der kulturellen und religiösen Quellen zusammenkommt. Hier spielt die Zentralität der Torah sowie die Übertragung ihrer Vorschriften eine zentrale Rolle. Dieser ,Orientalismus‘ – in beiden Sinnen des Wortes und zwar: Indem das Ostjudentum als Vorbild für die Westjuden gilt und Westjuden wiederum als ,Orientalen‘ der deutschen Kultur gehalten werden – kommt man zu einem überraschenden Ergebnis (wenigstens solange Heine Mitglied des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden war): nämlich die Verwendung der jüdischen Kultur und Wissenschaft, um mit vollem Recht in die deutsche bürgerliche Gesellschaft einzutreten. Es ist im Grunde eine Selbstfindung der jüdischen Identität, die paradoxerweise zur Assimilation führt. Und diese Verortung ist bei Heine auf noch ausgeprägtere Weise ausgeführt, wenn wir die Tatsache in Betracht ziehen, dass seine geistige Entwicklung, die mit seiner Reise nach Polen und mit dem Beitritt in den Verein anfing, einen literarischen Niederschlag in dem Ende des Rabbi von Bacherach als Idealisierung einer typischen Formel der Haskalah findet. Er stellt – wenn nicht eine Symbiose –, mindestens eine friedliche Koexistenz und ein Beisammensein der starken jüdischen Identität mit dem aufklärerischen Christentum dar, und verortet diese idealisierte Vorstellung in Spanien, wobei diese Zeit- und Ort-Verschiebung die utopische Natur dieser Darstellung verstärkt. Die theoretische Paradoxie besteht also nicht nur in der Wiederentdeckung der starken Identität des Ostjudentums, um eine Form der Assimilation zu verwirklichen, sondern auch in der Tatsache, dass das östliche Vorbild symbolisch in Westen verortet wird, und zwar in einem utopischen und abstrakten Spanien.

      Bei Zunz ist diese Problematik vielleicht nicht so gespalten, dennoch entzieht sie sich nicht ganz einer paradoxen Ambiguität:

      In der Abhandlung Etwas über die rabbinische Literatur, erschienen im Jahre 1818, lieferte Zunz in eigentümlicher Weise das mögliche Programm der wissenschaftlichen Betrachtung des Judentums, welches ,die ganze Litteratur der Juden‘ umfassen sollte und so vielfältige Bereiche wie die Theologie, Mythologie, Dogmatologie, Religion, Jurisprudenz, Ethik, Naturwissenschaften, Medizin, Alterthumskunde und Sprachwissenschaften einschloss. Zunz beließ es nicht bei einer Aufzählung dessen, vielmehr unterzog er diese Forschungsbereiche einer eingehenden Bewertung hinsichtlich des gegenwärtigen Forschungsstandes auf jüdischer wie christlicher Seite.11

      Den Begriff der rabbinischen Literatur nutze er hier in symbolischer Weise, stellvertretend für die Missachtung der jüdischen Kultur in ihrer Gesamtheit und als Verweis auf die weitgehend negative Wertung, welche dem Attribut ,rabbinisch‘ in christlichen gelehrten Kreisen eingeschrieben war. In den folgenden Jahren sollte Zunz den Begriff der ,jüdischen Literatur‘ prägen.

      Dem von Zunz formulierten Anspruch eines universellen Erkenntnisinteresses war ein zugleich partikulärer, spezifisch jüdischer Bedeutungsgehalt beigegeben. Für Zunz erschien

      die Bearbeitung unserer Wissenschaft im großen Stile eine Pflicht, um den nachfolgenden Generationen eine im Zuge von Emanzipation und Akkulturation zu verschwinden drohende Kultur zu bewahren und als Erfahrungsraum zu erhalten. Dies bedeutete jedoch keineswegs, die traditionelle jüdische Gelehrsamkeit durch die moderne Wissenschaft zu ersetzen, vielmehr sollte sie mit ihrer Hilfe erneuert und fortgeführt werden. Die Idee der Erneuerung erstreckte sich dabei nicht allein auf Fragen der Methodologie, etwa im Umgang mit religiösen oder weltlichen Texten, sondern wurde mit der Erneuerung des Judentums in ihrer Gesamtheit gleichgesetzt. Damit knüpfte die moderne jüdische Wissenschaft an die Ideale der Haskalah, der jüdischen Aufklärung, an, und weist sich als eine der bedeutsamsten innerjüdischen Reformbewegungen der Moderne aus.12

      Nur ein Jahr nach Erscheinen seiner Abhandlung gründete Zunz in Berlin gemeinsam mit Studienkollegen den Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden (1819-1824), der die Idee einer jüdischen Wissenschaft durch ein Vortrags- und Unterrichtsprogramm umzusetzen versuchte. Ungeachtet ihrer kurzen Lebensdauer und ihres bescheidenen Erfolges steht diese erste jüdische wissenschaftliche Zeitschrift symbolisch für die Anfänge der modernen jüdischen Wissenschaft, die in den nachfolgenden Jahrzehnten zahlreiche Werke zur jüdischen Geschichte, Literatur und Philosophie hervorbringen und gleichfalls eine eigenständige Wissenschaftspresse ausbilden sollte. Die Zeitschrift spielte eine entscheidende Rolle in der Selbstfindung, Bejahung und Bestätigung einer jüdischen Identität, Kultur und Wissenschaft im deutschsprachigen Raum.

      Die Berliner Mitglieder des Vereins waren von einer radikalen Reformvorstellung dominiert, deren Quelle die Hegelsche Philosophie war. Man hatte sich von Kants individualistischen Moralkategorien als Grundbestand auch deutsch-jüdischer Aufklärungskonzepte gelöst, also auch von der Berliner Aufklärung, und setzte auf die Entwicklungslogik des „sittlichen Staats“.13 Briegleb sieht die Ursache des Kontrastes zwischen der Berliner und der Hamburger Gruppe des Vereins in dieser Hegelschen Auffassung der Berliner. Es ist wohl wahr, dass die Mitglieder des Hamburger Vereins den Reformansprüchen der Berliner Gruppe gegenüber sehr skeptisch waren. Diese Bedenken waren aber vielmehr von pragmatischen kulturpolitischen Überlegungen als von der Zugehörigkeit zur Kants Philosophie verursacht. Moses Moser meint, dass der Geschichtsgang der Vernunft über das Partikuläre hinweggehe, und dass die Geschichte der Vernunft in ihm als Schmerz zurückbleibe. Im Namen des Allgemeinen und der Modernisierung der Juden ist Moser – so wie Gans – bereit, die jüdische Religion in eine Weltreligion zu verwandeln und sich taufen zu lassen, um in die deutsche bürgerliche Gesellschaft einzutreten.

      Zunz hat Heines Dichtkunst beeinflusst; der religiöse Materialismus, die Körperlichkeit, die „blasphämisch-religiöse Körperwelt“,14 welche Heines Werk charakterisieren, finden ihre Wurzel in der Kabalah und in den ,orientalischen‘ Studien von Zunz. In einem Brief an Moses Moser vom 18. Juni 1823 schreibt Heine: „Die Doktrin Zunzs hat mir mit thränenden (Judaism) Augen geklagt; dass man ihren Mann ebenfalls zur Idee machen wollte, und dass sie dadurch all seine Kraft und Saft verlöre, Jost hätte sich deshalb vom Verein zurückgezogen und Auerbach sei mal dadurch krank geworden.“15

      Heine

      Heines Auffassung der Moderne entstand aus seiner Auseinandersetzung mit dem Modernitätsbegriff der Romantischen Schule, sie wurde von den Pariser Ereignissen der Juli-Revolution bestätigt. Aber schon Anfang der 20er Jahre konfrontierte er sich mit einer anderen Auffassung der Moderne, in der die emanzipatorischen Züge in den Vordergrund rückten. Heines Entwicklung kann auch im Licht des Emanzipationsprozesses des deutschen Judentums interpretiert werden. Die Tatsache, dass er in einer Stadt aufgewachsen ist, in der das französische Bürgerrecht galt, und dass er dank dem code Napoleon fast automatisch eine Art französischer Bürgerschaft erwarb, hat zweifellos einen Einfluss auf seine Persönlichkeit und sogar auf seine Mentalität gehabt.16

      Der