Norbert Wibben

Raban und Röiven Die Figur der Hekate


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sie einfach nur still, das Gesicht mit geschlossenen Augen der wärmenden Sonne zugewandt. Plötzlich fährt Raban zusammen. Er schaut sich mehrfach suchend um, bis ihm aufgeht, dass Röiven versucht, gedanklich mit ihm Kontakt aufzunehmen.

      »Hey, Röiven, was gibt es? Benötigst du Hilfe?«

      »Endlich komm ich zu dir durch. Die Abschirmung deiner Gedanken gelingt dir wirklich gut. Aber für mich ist das eher frustrierend, immer wieder nach dir zu rufen. Ein paarmal habe ich sogar laut nach dir gerufen. Das ist zwar nicht besonders aufgefallen, da Fithich hin und wieder ja auch mal etwas zueinander sagen, aber komisch war das schon. Ich bin zu dem Zeitpunkt jedenfalls allein gewesen. Das macht dann den Eindruck, als ob ich altersschwach bin und mit mir selbst rede. Das sollte …«

      »Halt, mein Freund. Ich habe verstanden. Du willst mir etwas mitteilen. Worum geht es?«

      »Findest du das eigentlich nett, mich nicht ausreden zu lassen? So geht man doch nicht miteinander um. Also wirklich, was hattest du nur für ein Kindernest? Ich sollte mal deine Eltern fragen …«

      »Röiven!«, unterbricht Raban den aufgebrachten Kolkraben erneut. Da er ihn nicht sehen kann, weiß er zwar nicht, ob ihn der Vogel nur necken will, oder ob er tatsächlich sauer wird, wenn er ihn unterbricht. Ihm schwirrt immer noch der Kopf, so dass er es trotzdem riskiert. »Ich stehe mit meinem Großvater vor dem Museum in der Haupt…«

      »Das macht doch nichts«, unterbricht ihn jetzt der Rabe, »die Gedankenverbindung stört das nicht.«

      »Das ist richtig. Wir haben uns Informationen über Hekate angesehen, wovon mir noch der Kopf brummt. Darum bitte ich dich, fasse dich kurz und sag, was du willst.«

      »Wenn du meinst. Gefunden. Treffen.« Danach herrscht Ruhe. Ungläubig schüttelt der Junge den Kopf.

      »Was ist das denn für eine Nachricht. Röiven, was soll das heißen?«

      Keine Antwort!

      »Röiven?«

      Nichts.

      »Er kann es nicht lassen«, sagt Raban laut. Finnegan wundert sich schon einige Zeit, warum sein Enkel so abwesend wirkt.

      Nun fragt er: »Überlegst du, was die neuen Informationen bedeuten können, oder worauf bezieht sich deine Feststellung?«

      »Ähem. Nein. Ich hatte einen Gedankenaustausch mit Röiven. Er wollte irgendetwas von mir. Da er mich schon seit längerer Zeit zu kontaktieren versuchte, musste er sich seinen Frust von der Seele reden. Als ich ihn dann aufforderte, sich kurz zu fassen, hat er das wirklich gemacht. Er sagte nur zwei Worte.«

      »Darauf bezieht sich dein »Er kann es nicht lassen«?«

      »Ja. Er hat das im letzten Jahr auch manchmal gemacht und sich wortwörtlich an meine Aufforderungen gehalten. Er will mich mal wieder necken, glaube ich.«

      »Na, ihr seid mir die Richtigen. Da haben sich wohl zwei Schelme gefunden«, schmunzelt der alte Mann. Er blickt sich suchend um und legt seine Hand auf den Arm seines Enkels. »Wir sollten jetzt nach Hause gehen. Im Moment sind wir hier alleine.«

      Die Luft flirrt und sie sind zurück in der Küche, von wo sie heute Morgen gestartet waren.

      »Ich mach uns heiße Schokolade und du kontaktierst deinen Rabenfreund«, fordert Finnegan seinen Enkel auf. »Setz dich dazu ins Wohnzimmer. Ich komme auch gleich. Danach sollten wir überlegen, welche Erkenntnisse wir haben.«

      Der Junge nickt. Er setzt sich auf das bequeme Sofa und schließt die Augen, die er sofort erschrocken aufreißt.

      »Das ist doch nicht möglich!«, sagt er zu sich und dreht sich zum Schreibtisch, auf den er den Vogelkäfig gestellt hatte. Beruhigt erblickt er darin die Figur der Hekate. »Warum habe ich aber ihre grünen Augen gesehen? Sie versuchten, mich in sich hineinzuziehen. Langsam wird mir dieses Artefakt unheimlich. Wie soll ich denn heute Nacht in den Schlaf kommen, wenn ich diese hypnotischen Augen immer größer werdend vor mir sehe?«

      Der Junge dreht sich wieder zurück, atmet bewusst mehrmals langsam ein und aus, bevor er vorsichtig, ganz langsam, seine Augen schließt. Noch sind sie einen kleinen Schlitz geöffnet, dann nicht mehr. Raban will schon erleichtert aufatmen, als er ein Wispern hört, das offensichtlich aus dem Käfig zu ihm herüberweht. Alarmiert öffnet er erneut die Augen und schaut sich um. Es ist jedoch wie vorher, die Figur befindet sich im Käfig. Widerwillig konzentriert er sich auf das Wispern. Vielleicht versteht er jetzt die Botschaft, die offenbar von der Figur gesendet wird.

      Ganz leise vernimmt er: »…en … sequor et ape… portas … futuri …« Danach beginnt das Wispern offenbar von vorne, aber mehr verstehen kann er nicht. Was hat das zu bedeuten? Einige der Worte hat er schon gehört, die anderen sind unverständlich. Nachdenklich betrachtet er die Figur im Vogelkäfig. Irgendetwas stört ihn, ist anders als sonst. Aber was ist das nur? Raban ist sich sicher, etwas stimmt hier nicht. Plötzlich erkennt er den Grund. Die Käfigtür steht einen Spalt weit offen! Sollte jemand hier gewesen sein und versucht haben, die Figur zu stehlen?

      Erschrocken springt Raban auf und blickt sich hastig um. Falls das einer der dunklen Zauberer gewesen sein sollte, muss er sich und seinen Großvater schützen. Während er bereits »Protego« und »Sgiath«, murmelt, tastet seine rechte Hand unbewusst nach dem Armreif, der jedoch sicher um sein linkes Handgelenk geschlossen ist. Der Junge atmet erleichtert auf. Seine Zauberkräfte werden dadurch mehrfach verstärkt, so dass er es hoffentlich mit einem der neuen Dubharan aufnehmen könnte.

      »War dort in der Ecke, zwischen Schreibtisch und Bücherregal, eine Bewegung?« Der Junge zweifelt, sein Herzschlag beschleunigt sich. Nein, das war ein Lichtreflex, der grünlich über die Wand huschte. »Kam das Licht aus den Augen der Figur?«, überlegt Raban. Während alle seine Sinne aufs Äußerste gespannt sind, bewegt er sich langsam auf den Käfig zu. Mit einem schnellen Satz überwindet er die letzte Distanz. Seine rechte Hand schießt nach vorne und schließt die Käfigtür. Der Junge stößt die Luft aus, die er unwillkürlich angehalten hat. Erneut blickt er suchend im Raum umher, als sein Großvater mit zwei dampfenden Tassen den Raum betritt.

      »Hast du ein Gespenst gesehen?«, fragt dieser erstaunt, als er seinen Enkel betrachtet.

      »Ähem. Nein. Glaube ich jedenfalls. Ich habe ein Wispern gehört, wie ich es schon einmal hörte, als ich die Figur der Hekate in der Hand hielt. Nur dieses Mal war die Keramik im Käfig, und ich saß auf dem Sofa. Außerdem huschte grünliches Licht über die Wand. Das kann eigentlich nur aus dem Vogelbauer gekommen sein. Dann habe ich bemerkt, dass die Käfigtür offen war. – Hast du sie vielleicht offen gelassen, nachdem du dir die Figur angesehen hast?«

      »Nein. Ich habe die Figur nur durch das Gitter betrachtet. Da war die Tür garantiert geschlossen.«

      »Das ist seltsam«, grübelt Raban, während er den Käfig genauer betrachtet. »Von allein kann sich die Tür nicht öffnen. Ob jemand hier im Haus war? Ist die Haustür noch verriegelt?«

      Sofort überprüft er das. Da sie mit dem magischen Sprung in der Küche angekommen waren, und Finnegan dort zuerst die Schokolade bereitet hat, mit der er soeben ins Wohnzimmer gekommen ist, hatte dieser die Tür noch nicht wieder aufgesperrt.

      Eine schnelle Überprüfung aller Räume und Fenster verläuft ohne Ergebnis. Es gibt somit keine andere Erklärung für den geöffneten Vogelkäfig, als dass dessen Tür nicht sicher geschlossen war.

      »Komisch ist es aber doch«, grübelt Raban. Seinen Großvater bittet er um ein Vorhängeschloss, das er als zusätzliche Sicherung an der Käfigtür anbringt.

      »Hast du deinen Freund erreicht?«, fragt ihn Finnegan.

      »Nein. Ich war durch die Figur im Vogelkäfig abgelenkt. Und durch das, was ich in dem Wispern gehört habe.«

      »Ergab das einen Sinn? War es tatsächlich Latein und kannst du das wiederholen?«, fordert ihn der Großvater gespannt auf.

      »Ich konnte nur einen Teil verstehen. Moment, bitte.