Norbert Wibben

Raban und Röiven Die Figur der Hekate


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erneut. Jetzt leuchten die Augen der Figur grün. Als die dunkle Zauberin nochmals etwas murmelt, ist kurz ein Wispern der Figur zu hören. Ruft diese jemand oder ist das eine Antwort? Jetzt springt ein grünlicher Lichtstrahl von der kleinen Keramikfigur zur Zauberin herüber. Dann ist Morgana verschwunden. Das grünliche Leuchten in den Augen der zurück gebliebenen Figur reduziert sich auf ein punktförmiges Glimmen.

      Raban wälzt sich unruhig hin und her.

      Den Rest der Nacht träumt er nicht.

      Am Morgen fühlt sich Raban wie gerädert. Er grübelt und erinnert sich schließlich an alle Traumsequenzen der vergangenen Nacht. Er hat sie nicht zum ersten Mal gesehen. Aber was haben sie zu bedeuten? Der Junge steht auf, kleidet sich an und begrüßt den Großvater in der Küche. Gemeinsam bereiten sie das Frühstück. Es ist offensichtlich, sein Opa freut sich, Gesellschaft beim Essen zu haben.

      »Endlich setzt sich der Sommer durch«, kommentiert Finnegan, bei einem Blick nach draußen, das Wetter. Bereits gestern Mittag gab es hier eine Wetteränderung, die bald das gesamte Land erreichen wird. Die dunklen Regenwolken wurden von einem starken Westwind vertrieben, der sich in der Nacht beruhigt hat. Jetzt strahlt die Sonne von einem klaren, blauen Himmel herab.

      »Was hältst du davon, wenn wir einen kleinen Spaziergang unternehmen? Die letzten Tage bin ich nur kurz nach draußen gekommen, um das Notwendigste einzukaufen.«

      »Das können wir gerne machen, Opa«, bestätigt Raban den Wunsch. »Sollen wir auch etwas einkaufen?«

      »Hm, ja. Wie lange möchtest du denn bleiben? Das hast du mir noch nicht verraten. – Nicht, dass ich dich schon wieder loswerden möchte – ich muss nur die Menge der benötigten Lebensmittel überdenken.«

      »Ich möchte einige Informationen von dir bekommen, die vermutlich mit der griechischen Mythologie zu tun haben. Je nach den Erkenntnissen, die wir daraus ziehen können, muss ich möglicherweise sofort wieder weg. Ich möchte aber auf jeden Fall noch mindestens eine weitere Nacht bei dir bleiben.« Der Junge schaut in das Gesicht seines Großvaters und fährt schnell fort: »Sei nicht enttäuscht, vielleicht habe ich ja doch etwas mehr Zeit. Minerva, das ist eine kluge Eule, befürchtet, dass sich die dunklen Zauberer ausbreiten, wenn die Elfen, die Raben und ich sie nicht aufhalten. Von den bösen Zauberern gibt es mittlerweile mindestens zwei, wie ich dir gestern schon erzählte.«

      »Du hast Recht, die Dubharan müssen aufgehalten werden. Auch wenn es seltsamerweise seit dem Frühjahr ruhig ist, was unerklärliche Ereignisse betrifft, heißt das nicht, dass sie untätig sind. Trotzdem hatte ich gehofft, etwas mehr Zeit mit dir verbringen zu können.«

      »Ich auch«, bestätigt Raban. »Aber jetzt kaufen wir erst einmal ein, und danach machen wir zusammen einen ausgedehnten Spaziergang.«

      Eine Woche zuvor in Munegard.

      Flackernde Kerzen und Fackeln beleuchten eine Szene, die wie aus der Vergangenheit heraufbeschworen erscheint.

      In einem karg eingerichteten Raum dieses alten Gebäudes hängen an den vier Wänden aus Sandsteinquadern große Teppiche mit Szenen aus der Geschichte. Es werden darauf Schlachten dargestellt. Zu erkennen sind Römer, Kelten, Griechen, Hunnen, Germanen und Wikinger.

      In den Raum führt nur eine schmale, dunkle Tür. Fenster scheinen nicht vorhanden zu sein. Einen Kamin mit Feuerstelle gibt es nicht. Von der Decke hängt ein einfacher Kronleuchter herab, der mit vielen brennenden Kerzen bestückt ist. Zu beiden Seiten der Tür und verteilt an allen vier Wänden, brennen blakende Fackeln in eisernen Halterungen.

      Mehrere Eichenstühle sind in der Zimmermitte kreisförmig angeordnet. Der innere Kreis besteht aus fünf wuchtigen Stühlen, die mit Löwenköpfen, an den Enden der Armlehnen und Löwentatzen, als unterer Teil der Beine, verziert sind. Die oberen Teile ihrer Rückenlehnen stellen eine Mondsichel dar, die über einer Sonne angeordnet ist. Das Holz ist dunkel, ebenso wie das Leder der Sitzflächen. Um sie herum sind zwei weitere Kreise aus insgesamt dreißig einfachen Stühlen gruppiert, die aber allesamt die Mondsichel als Verzierung auf der Rückenlehne tragen.

      Gavin ist stolz, nicht nur die Stühle, sondern auch die Wandteppiche auf dem Dachboden des Hauptgebäudes gefunden und sie wieder hergestellt zu haben. Da er über Zauberkräfte verfügt, konnte er dafür den Zauber »Renovo« nutzen. Mit Oskars Hilfe hat er sie anschließend in den ehemaligen Versammlungsraum der obersten Dubharan gebracht und angeordnet. Der Raum ist jetzt mehr als übervoll, aber das stört den Zauberer nicht. Damit der Sauerstoffgehalt der Luft nicht zu sehr von den Fackeln und den Anwesenden aufgebraucht wird, steht die Eichentür offen, die den einzigen Zugang zu dem Raum bildet.

      Der Zauberer erhebt sich von seinem Sitz, einem der fünf in der Mitte. Er lässt seinen Blick über die Versammlung schweifen, während er sich auf der Stelle dreht. Ihm gegenüber sitzt Oskar auf einem der fünf Löwenstühle, die anderen drei sind nicht besetzt. Die Plätze der äußeren Ringe sind etwa zur Hälfte genutzt. Dort sitzen sowohl Männer als auch Frauen. Alle haben dunkle Gewänder umgelegt, auf die an unterschiedlichen Stellen silberne Mondsicheln gestickt sind. Auf Gavins schwarzem Umhang sind ebenfalls Mondsicheln zu erkennen, aber auch je ein Vollmond auf beiden Kragenspitzen.

      »Meine Freunde!«, beginnt Gavin mit leicht erhobener Stimme. Sofort herrscht Stille im Raum. Das leise Gemurmel der Anwesenden hat schlagartig aufgehört. »Ich freue mich, so viele Urenkel der glorreichen Zauberer des Mondes hier zu sehen!« Er macht eine Pause und schaut in die Runde der Anwesenden. »Leider kann meine Cousine Morgana heute nicht bei uns sein. Sie ist derzeit auf der Suche nach weiteren unserer Freunde.« Erneut legt der Zauberer eine kurze Pause ein.

      »Ihr kennt unsere Geschichte. Unsere Ahnen bildeten eine erfolgreiche Vereinigung, deren Bestehen weit in die Vergangenheit zurückreicht. Denkt daran, wo wir sind. Dieser Raum befindet sich im sichersten Teil von Munegard, in dessen zentralem Turm.«

      Blitze leuchten in seinen Augen, sein Mund lächelt verzerrt. »Genau hier fand vor mehreren Jahrhunderten ein Überfall statt. Die Zauberer mit dem Sonnensymbol wollten unsere Vorfahren vernichten! Aber einige von ihnen haben das Massaker überlebt. Nach langer Wartezeit war es vor etwas über 100 Jahren endlich so weit, dass unsere Ahnen sich das ganze Land unterworfen hatten. Nur noch wenige Bereiche wagten sich zu widersetzen. Dazu gehörte auch der geheime Wald mit der Elfenfestung Serengard. Dort kam es zu der letzten, großen Auseinandersetzung, die wir sicher gewonnen hätten.« Gavin macht eine lange Pause.

      »Doch eine junge Zauberin der Sonne, mit Namen Eila, gab in ihrer Verblendung die Gabe der Elfen an diese zurück. Dadurch verloren alle Zauberer ihre Magie und unsere Ahnen unterlagen. Viele unserer Vorfahren wurden bestraft und ihre Besitztümer enteignet.«

      Es entsteht Unruhe unter den Versammelten.

      »Das wissen wir!«

      »Schnee von gestern!«

      »Das ist doch nichts Neues!«

      »Und, was soll uns das helfen?«

      »Deshalb hast du uns die weite Reise hierher machen lassen?«

      Als Gavin weiterspricht, herrscht sofort wieder Ruhe.

      »Ihr wisst noch nicht, weshalb ich euch zusammengerufen habe.« Er macht erneut eine kurze Pause, um mit leiserer Stimme fortzufahren: »Morgana und ich besitzen wieder Zauberkräfte!«

      Obwohl er fast flüstert, werden seine Worte von allen verstanden. Vor Überraschung herrscht anschließend Stille im Raum, bis eine verwunderte Stimme fragt:

      »Wie kann das sein? Willst du uns veräppeln?«

      »Ha, ha, guter Witz«, erklingt es sofort danach von anderer Stelle.

      Gavin murmelt etwas, worauf ein Sturmwind die Fackeln und Kerzen verlöschen lässt.

      »Was