Wilhelm Stekel

Die Sprache des Traumes – Eine Darstellung der Symbolik und Deutung des Traumes – Teil 3 – bei Jürgen Ruszkowski


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Lassen wir also dem Träumer das Wort:

      (449) I. „Ich stieg mit einer Dame, Fräulein Erna Sommersdorf, und einem Herrn die Treppe zum Speisesaal eines Hotels hinunter, um zu speisen. Um der Dame beim Herabsteigen der Treppe behilflich zu sein, reichte ich ihr die Hand. Doch wurde mir gesagt, dass dies unzulässig sei. Ich befestigte nun an einem kleinen Tisch ein Tischtuch mittelst einer Klammer, während dies für die Dame und den Herrn der Kellner besorgte, der dafür von beiden je 16 Heller Trinkgeld erhielt. Der Dame brachte der Kellner Geld zurück. Ich dachte, du brauchst dem Kellner kein Trinkgeld zu geben, denn du hasst ihn ja nicht in Anspruch genommen. Der Herr war dann hinausgegangen und hatte mich zuvor ersucht, während seiner Abwesenheit auf sein Portemonnaie zu achten.“

      (450. II. „Ich hatte mir eine Droschke genommen, um von Bonn nach Coblenz zu fahren. Unterwegs fiel mir ein, dass ich doch nur bis zum Bonner Bahnhof fahren könnte. Ich sagte dies dem Kutscher; dieser stieg vom Bock. Das Pferd — ein alter, abgetriebener Gaul — zog plötzlich an. Ich ergriff die Leine, um das Pferd zum Stillstehen zu bringen. Es erfolgte aber trotzdem ein leichter Zusammenstoß mit einem leeren, großen Möbelnagen. Ich sah dann, dass das Pferd hingefallen und die Deichsel zerbrochen war. Ich schob den Möbelwagen etwas zurück und ergriff das Pferd beim Kopf, wodurch es wieder auf die Beine kam. Die etwa 15 — 16jährige Tochter des Kutschers wünschte ich zu koitieren, hielt dies aber im Einverständnis mit dem Vater geheim. Später kam meine Schwester und sagte tränenden Auges zu mir: „Ich glaube, du wirst auch noch deine eigene Schwester koitieren.“ Mir waren diese Worte zwar peinlich und ich zupfte verlegen an einem Pflaster, mit dem eine in der Innenfläche der Hand befindliche Wunde verdeckt war; ich dachte aber, dass ich mich trotzdem keinen Augenblick besinnen würde, die Schwester zu koitieren.“

      „Die Analyse dieses Traumes führt zu folgendem Ergebnis:

      I. Ich beabsichtige, mit meiner verheirateten Schwester, die als Fräulein Erna Sommersdorf erscheint, in einem Hotel zu speisen, d. h. sie zu koitieren. Um ihr das Herabsteigen von der Treppe, den Sündenfall, zu erleichtern, reiche ich ihr Beistand leistend die Hand, indem ich damit gleichzeitig die Inbesitznahme der Schwester andeute. Doch der Schwager steht der Verwirklichung meiner Absicht hindernd im Wege, er muss beseitigt werden. Die Tischtücher bedeuten Leichentücher, der schwarz gekleidete Kellner ist der Tod bzw. in Anlehnung an einen früheren Traum Charon, der greise Fährmann der Unterwelt, der die Schatten der Toten gegen Erlegung eines Obolus, des „Trinkgeldes“, über die Flüsse der Unterwelt setzt. Gleichwie ich für meine Person nicht die geringste Lust verspüre, die Unterwelt aus eigener Anschauung kennen zu lernen, denn ich nehme die Dienste des Fährmanns nicht in Anspruch, muss natürlich auch die Schwester für meine Zwecke am Leben bleiben. Sie erhält daher von Charon das Fährgeld zurück. Die Wunscherfüllung liegt in dem „Hinausgehen“ des Schwagers, das gleichbedeutend ist mit seinem Tod, so dass ich nunmehr ungehindert die in dem zurückgelassenen Portemonnaie (Vagina) der Schwester bestehende Erbschaft des Schwagers antreten kann.

      II. Der zweite Teil des Traumes besagt zunächst, dass ich ungeachtet aller Anstrengungen mein Ziel, die Erfüllung der Inzestwünsche, nicht erreichen werde. Die darauf hinzielenden Phantasien sind deshalb mit Schmähungen auf die Eltern durchsetzt. Der Kutscher bedeutet: 1. den Vater, 2. mich selbst. Der alte, abgetriebene Gaul stellt selbstverständlich wiederum den Vater dar, den ich bei der „Leine“, den Penis, ergreife, um ihm den Koitus zu wehren. Gleichwohl erfolgt ein „leichter Zusammenstoß mit einem leeren großen Möbelwagen“, der Mutter, deren Leib infolge ihres Alters „leer“, d. h. unfruchtbar und deren Vagina durch zahlreiche Geburten „groß“ geworden ist. Aber auch der Vater vermag die Geschlechtsfunktionen nicht mehr auszuüben; er bringt es nur zu einem leichten Zusammenstoß, seine „Deichsel“ ist gebrochen. Für die Befriedigung meines ungestümen Sexualbedürfnisses kann meine Mutter wegen ihres Alters nicht mehr in Betracht kommen; es ist daher naheliegend, dass sich mein Begehren auf die junge Schwester richtet.

      III. Schließlich ziehen sich durch den Traum starke Vergiftungskomplexe. Ich stehe an Stelle des Kellners und reiche dem verhassten Schwager den mit Morphium gefüllten Giftbecher. Ich bemerke hierzu, dass mir ein Arzt vor Jahren ein Fläschchen mit Morphium unter Erläuterungen über dessen Wirkungsweise gezeigt hatte. Dieses Fläschchen, das mir erst kürzlich ein Traum in Gestalt einer „mit Benzin („Benzin“ verrät noch die Pläne einer Explosion, um die Spuren seiner Verbrechen zu verwischen.) angefüllten Phiole“ (Eine Phiole ist ein birnenförmiges Glasgefäß mit langem, engem Hals, das bereits von den Alchemisten der Antike benutzt wurde) vorgeführt, hatte zu jener Zeit meine Gedankenwelt lebhaft erregt. Nun gestattet der Name „Sommers-dorf“ die Ableitung in Morphium (mors durch Morphium). Weitere von Herrn Dr. Stekel vorgenommene interessante Assoziationen, die zu dem Wort Morphium geführt haben, muss ich hier leider verschweigen. Bei der Analyse des gegenwärtigen Traumes erinnerte ich mich der Worte Fausts:

      Ich grüße Dich, du einzige Phiole,

      die ich mit Andacht nun herunterhole! …

      Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;

      Mit brauner Flut erfüllt er Deine Höhle.“

      Kurz vor dem Traumerlebnis hatte ich diese Stelle im Faust nachgelesen. Bei den vorwurfsvollen Worten der Schwester ballte ich verlegen die Hand zu einer „Faust“, um damit eine Wunde in der inneren Handfläche zu verbergen; eine Erinnerung an die überstandene Lues, die seinerzeit eine Psoriasis (Schuppenflechte) am Handteller zur Folge hatte. Mein Same war also vergiftet! Aber um zum Ziele zu gelangen, werde ich keineswegs vor der für mich mit Lustgefühlen verbundenen Vergiftung der Schwester zurückschrecken.

      Seit mir, besonders nach der Analyse des nächsten Traumes, diese kriminellen Phantasien bewusst wurden, habe ich alle Angstgefühle verloren. Ich laufe nicht mehr durch die Straßen, wie ein gehetzter Verbrecher. Ich zittere nicht mehr vor einem Schutzmanne. Ich gehe ruhig ins Theater und freue mich wieder meines Lebens.“

      Der nächste Traum desselben Träumers brachte eine Mordsymbolik, die der Analyse die größten Schwierigkeiten bereitet hätte, wenn mein Einfall nicht den Knoten gelöst hätte.

       Die unwillige Braut

      (451) „Ich hatte mich mit einem Mädchen plötzlich verlobt, weil sich kurz vorher einer meiner Freunde gleichfalls verlobt hatte. Meine Braut und ich saßen in einem Restaurationsgarten; sie ging einen Augenblick hinaus. Ein mir benachbart sitzender Herr erzählte mir darauf, dass meine Braut eine Schneiderin sei und dies Gewerbe auch nach ihrer Hochzeit fortsetzen würde. Mir war dies sehr unangenehm, zumal ich meiner Mutter von der Sache überhaupt noch nichts mitgeteilt hatte, und ich wollte die Verlobung wieder rückgängig machen. Ich bat einen Bekannten, namens Mücke, auf alle Fälle zu mir zu kommen, da ich ihn notwendig sprechen müsse.

      Meine Braut und ich stiegen eine Leiter herauf, um eine schmale Brücke zu überschreiten. Hinter mir befanden sich mein Freund und dessen Braut. Ich bemerkte, dass die Brücke hin und her schwankte und hatte große Angst, sie zu betreten. Ich stieg deshalb die Leiter wieder hinab. Meine Braut war unwillig und sagte, sie hätte mich bisher für einen ganz anderen Mann gehalten; es sei ihr unverständlich, dass ich mich nicht getraute, die Brücke zu betreten.“

      Mitten in der Analyse von Mordphantasien, Vergiftungsszenen, Brandstiftungen, Unterschlagungen platzte dieser Traum von der „Braut“ hinein. Dem Träumer fiel zur „Brant“ gar nichts ein. Er hatte keine Braut und keineswegs die Absicht, sich zu verloben. Da war ich auf das Traummaterial allein angewiesen. „Die Braut ist eine Schneiderin“. „Sie will das Gewerbe nach der Hochzeit fortsetzen.“ „Die Mutter weiß von der Sache nichts.“ „Der Bekannte Mücke soll kommen.“

      Plötzlich wusste ich es. Es handelte sich um einen Mord. Die Mücke hat einen Stachel, der Träumer will einen Degen haben, der gut „schneiden“ kann. Da fiel mir das Schwertlied von Körner ein. Ob es ihm bekannt sei? „Natürlich“, rief er erregt aus: „Das war ja als Bursche mein Leiblied“.

      Nun war die Braut klar. Es handelt sich um die Eisenbraut.

      Zur Erklärung müssen wir das „letzte“ Lied von Theodor Körner heranziehen. Es bedarf keiner Analyse. Es spricht für sich selbst: