Emile Zola

Germinal


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gebettelt hat; und Maigrat, der ihnen kein Brot mehr pumpen wollte, hat ihr doch wieder eines gegeben ... Man weiß ja, wie Maigrat sich bezahlt macht.«

      »Bei ihr nicht, o nein! ... Dazu würde viel Mut gehören! Bei Katharina macht er sich bezahlt.«

      »Und da hatte die Maheu noch die Stirne, mir zu sagen, daß sie Katharina erwürgen werde, wenn sie es tue! ... Als ob der lange Chaval sie nicht schon längst auf dem Schuppen umgeworfen hätte.«

      »Still! da kommen die Leute.«

      Mit ruhiger Miene, ohne aufdringliche Neugierde betrachteten die Levaque und die Pierron die aus dem Hause der Maheu kommenden Fremden. Dann winkten sie die Maheu heran, die noch immer Estelle auf den Armen trug. Alle drei blickten unbeweglich nach, wie die wohlgekleideten Rücken der Madame Hennebeau und ihrer Gäste sich entfernten. Als diese etwa dreißig Schritte weit waren, ging der Klatsch mit erneuerter Heftigkeit los.

      »Die haben aber für schweres Geld Stoffe am Leibe; ihre Kleider sind vielleicht mehr wert als sie selbst.«

      »Gewiß! ... Die andere kenne ich nicht; aber für diese da würde ich nicht vier Sous geben, so dick sie auch ist. Man erzählt sich Geschichten...«

      »Wie? Was für Geschichten?«

      »Nun, sie hält sich Männer!... Vor allem den Ingenieur...«

      »Den kleinen Magern!... Aber der verliert sich ja in ihrem Bett.«

      »Was tut's, wenn es ihr Vergnügen macht?... Ich habe kein Vertrauen mehr, wenn ich eine Dame sehe, die immer ihre angewiderten Mienen macht, und der es nirgends zu gefallen scheint... Schau nur, wie sie mit dem Hintern wackelt, als wolle sie sagen, daß sie uns alle verachtet. Ist das nett?«

      Die Spaziergänger setzten mit denselben langsamen Schritten und plaudernd ihren Weg fort, als eine Kalesche auf der Straße vor der Kirche stehen blieb. Ein Herr von ungefähr achtundvierzig Jahren mit schwarzem Leibrocke stieg aus dem Wagen; er war von tiefbrauner Hautfarbe, sein Gesicht zeigte einen strengen, vornehmen Ausdruck.

      »Das ist ihr Mann!« murmelte die Levaque mit gedämpfter Stimme, als ob er es hätte hören können; sie war von jener Furcht der Untergebenen ergriffen, welche der Direktor seinen sechstausend Arbeitern einflößte. »Der Mann hat doch wahrhaftig ein Hahnreigesicht!« fügte sie boshaft hinzu.

      Jetzt war das ganze Dorf auf der Straße. Die Neugierde der Weiber stieg immer höher; die Gruppen näherten sich einander und lösten sich in eine einzige Menge auf, während auf den Fußwegen ganze Scharen schmutziger Kinder Maulaffen feil hatten. Einen Augenblick sah man den blassen Kopf des Schulmeisters, der hinter der Hecke des Schulhauses sich auf die Fußzehen erhob, um besser zu sehen. Der Mann im Garten hielt in der Arbeit inne, stützte den Fuß auf die Schaufel und riß die Augen neugierig auf. Das murmelnde Geschwätz schwoll allmählich zu einem Geräusch von Klappern an; es war wie ein Windstoß, der durch dürres Laub fährt.

      Vor der Haustür der Levaque gab es eine besonders große Ansammlung von Leuten. Zwei Frauen waren herangekommen, dann zehn, dann zwanzig.

      Die Pierron schwieg jetzt vorsichtig; es waren zu viele Ohren da. Die Maheu, eine der Vernünftigsten, begnügte sich ebenfalls zu schauen; um Estelle stille zu machen, die erwacht war und zu heulen angefangen hatte, zog sie ganz ihre Brust hervor, die von dem nimmer versiegenden Born der Milch geschwellt lang herabhing. Als Herr Hennebeau die Damen auf den Rücksitzen des Wagens hatte Platz nehmen lassen und die Kalesche in der Richtung nach Marchiennes davonfuhr, erfolgte ein letzter Ausbruch von geschwätzigen Stimmen; alle Weiber gestikulierten und redeten einander ins Gesicht; es war eine Unruhe wie in einem in Aufruhr geratenen Ameisenhaufen.

      Doch jetzt schlug es drei Uhr. Die Erdarbeiter waren fort, Bouteloup und die anderen. Plötzlich tauchten an der Krümmung bei der Kirche die ersten Grubenarbeiter auf, die von der Grube zurückkehrten, mit schwarzem Gesicht, durchnäßter Kleidung, gekreuzten Armen und gebeugtem Rücken. Da stoben die Weiber auseinander; alle liefen erschreckt heim; sie hatten zuviel Kaffee getrunken und zuviel geschwätzt und waren dadurch in ihren häuslichen Obliegenheiten verspätet. Man vernahm jetzt von allen Seiten nur den vorwurfsvollen Ausruf:

      »Meine Suppe! Warum ist meine Suppe nicht fertig?«

       Viertes Kapitel

      Als Maheu heimkehrte, nachdem er Etienne bei dem Gastwirte Rasseneur zurückgelassen, fand er Katharina, Zacharias und Johannes bei Tische ihre Suppe essen. Wenn die Arbeiter aus der Grube kamen, waren sie dermaßen hungrig, daß sie in den durchfeuchteten Kleidern aßen, noch ehe sie sich gewaschen hatten. Keiner wartete auf den anderen; der Tisch blieb vom Morgen bis zum Abend gedeckt; immer war einer da, der seine Portion aß je nach den Anforderungen der Arbeitseinteilung.

      Kaum eingetreten, sah Maheu die Vorräte. Er sagte nichts, aber sein besorgtes Gesicht heiterte sich auf. Der Gedanke an den leeren Speiseschrank, wo es selbst an Kaffee und Butter mangelte, hatte ihn den ganzen Vormittag gequält und war ihm in schmerzlichen Zuckungen durch den Leib gegangen, während er in der erstickenden Hitze des Schlages die Kohle bearbeitete. Wie sollte das Weib sich aus der Not helfen? Und was sollte man anfangen, wenn sie mit leeren Händen zurückkehrte? Jetzt war von allem da. Sie sollte ihm das später erzählen; einstweilen lachte er vergnügt.

      Katharina und Johannes hatten schon den Tisch verlassen und tranken ihren Kaffee stehend, während Zacharias, von der Suppe nicht vollständig gesättigt, sich ein breites Stück Brot abschnitt, das er mit Butter beschmierte. Wohl sah er den Fleischkäse auf einem Teller; doch rührte er nicht daran; er wußte, das Fleisch war für den Vater, wenn nur für einen da war. Alle schwemmten die Suppe mit einem, tüchtigen Trunk frischen Wassers hinab; gegen Ende des Halbmonats mußte man sich damit begnügen.

      »Ich habe kein Bier«, sagte die Maheu, als der Vater sich zu Tische gesetzt hatte. »Ich wollte etwas Geld übrig behalten. Wenn du willst, holt die Kleine dir ein Maß.«

      Er sah sie vergnügt an. Was? Sie hatte auch Geld?!

      »Nein, nein,« sagte er; »ich habe einen Schoppen getrunken, das genügt.«

      Er begann langsam die Suppe auszulöffeln, einen Brei von Brotschnitten, Kartoffeln, Sauerampfer und Lauch; er aß sie aus einem Napfe, der ihm als Teller diente. Die Maheu war, ohne Estelle von der Hand zu lassen, Alzire behilflich, damit es ihm an nichts fehle, schob ihm die Butter und den Fleischkäse hin, und stellte seinen Kaffee ans Feuer, damit er recht heiß bleibe.

      Inzwischen begann neben dem Ofen die Waschung; die Hälfte eines Fasses diente ihnen als Waschbottich. Katharina, die den Anfang machte, hatte ihn mit lauem Wasser gefüllt und entkleidete sich ruhig; sie legte Haube, Kittel und Hose ab und zog zuletzt auch das Hemd aus; sie war seit ihrem achten Jahre daran gewöhnt und war dabei aufgewachsen, ohne etwas Schlimmes darin zu sehen. Sie wandte sich nur um, mit dem Bauch zum Feuer, und rieb sich kräftig mit schwarzer Seife. Niemand schaute hin; selbst Leonore und Heinrich waren nicht mehr neugierig zu sehen, wie sie geschaffen sei. Als sie sich gereinigt hatte, ging sie ganz nackt die Treppe hinauf und ließ das nasse Hemd und ihre anderen Kleidungsstücke in einem Haufen auf den Fliesen zurück. Doch jetzt brach ein Streit zwischen den zwei Brüdern los: Johannes hatte sich beeilt, in den Bottich, zu springen, unter dem Vorwande, daß Zacharias noch esse; dieser stieß ihn, forderte, daß er selbst an die Reihe komme, und schrie, es sei doch artig genug von ihm, daß er Katharina den Vortritt gelassen; er wolle nicht im Schmutze des Jungen baden; nach Johannes könne man mit dem Wasser die Tintenfässer in der Schule füllen.

      Schließlich wuschen sie sich zusammen, gleichfalls zum Feuer gewendet, waren sogar einander behilflich und rieben sich gegenseitig den Rücken. Dann verschwanden sie gleich ihrer Schwester, indem sie nackt die Treppe hinanliefen.

      »Machen die aber ein Durcheinander!« murmelte Frau Maheu, indem sie die Kleider vom Boden auflas, um sie zum Trocknen aufzuhängen. »Alzire, wasche doch ein wenig auf!«

      Doch sie ward durch ein Gepolter unterbrochen, das plötzlich aus dem Nachbarhause hörbar wurde. Es waren die Flüche eines Mannes und das Weinen einer Frau, ein Getümmel und ein Gestampfe,