Emile Zola

Germinal


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der eine achtjährige Tochter hatte. Das Ehepaar lebte indes sehr zufrieden, unbekümmert um den Klatsch, der in Umlauf war über die Gefälligkeit des Gatten und die Liebhaber der Frau. Sie hatten keine Schulden, aßen zweimal wöchentlich Fleisch, und ihr Haus war so sauber gehalten, daß man sich in den Schüsseln hätte spiegeln können. Um ihr Glück zu vervollständigen, hatte sie dank ihren Beschützern von der Gesellschaft die Erlaubnis erhalten, Bonbons und Zwieback zu verkaufen; auf zwei Brettern hinter den Scheiben ihres Fensters waren diese Süßigkeiten in gläsernen Behältern zur Schau gestellt. Sie verdiente dabei sechs bis sieben Sous täglich, an manchem Sonntag sogar zwölf. Diese glückliche Häuslichkeit ward nur durch das Geschrei der Brulé gestört, die in der Wut einer alten Aufrührerin immer den Tod ihres Mannes an den Herren rächen wollte; der zweite Störenfried war die kleine Lydia, die als Sündenbock für die ganze Familie sehr viele Maulschellen einzustecken hatte.

      »Wie groß Estelle schon ist!« sagte Frau Pierron und spielte mit dem Kinde.

      »Laß es gut sein, die macht Mühe genug«, erwiderte die Maheu. »Du kannst froh sein, daß du keines hast. Da kann man wenigstens sein Haus sauber halten.«

      Obgleich auch bei ihr alles in Ordnung gehalten wurde und sie jeden Sonnabend wusch und scheuerte, betrachtete sie doch mit den Blicken einer neidischen Hausfrau diese helle Stube, wo es sogar einigen Zierat gab, vergoldete Vasen auf dem Eßschrank, einen Spiegel und drei eingerahmte Kupferstiche.

      Die Pierron trank eben ihren Kaffee allein; alle ihre Leute waren in der Grube.

      »Trinke ein Täßchen mit mir«, sagte sie.

      »Nein, danke, ich habe soeben Kaffee getrunken.«

      »Was tut das?«

      Freilich, das tat nichts. Beide tranken nun langsam ihren Kaffee. Zwischen den Zwieback- und Bonbongläsern hindurch waren ihre Blicke auf den gegenüberstehenden Häusern haften geblieben, wo sich Fenster an Fenster reihten mit ihren Vorhängen, deren Reinlichkeit ein Gradmesser der häuslichen Tugenden der betreffenden Hausfrauen war. Die Vorhänge der Levaque waren sehr schmutzig, wahre Wischlappen, die aussahen, als habe man damit die Kochtöpfe gereinigt.

      »Ist es möglich, in solchem Dreck zu leben?« murmelte Frau Pierron.

      Da legte Frau Maheu unaufhaltsam los. Ach, wenn sie einen Mieter hätte wie diesen Bouteloup, wie ganz anders solle es in ihrem Hauswesen zugehen. Ein Mieter sei eine sehr gute Aushilfe, wenn man sie zu nützen verstehe. Allerdings dürfe man nicht mit ihm schlafen. Und ihr Mann!

      Der saufe, prügele sein Weib und laufe den Bänkelsängerinnen von Montsou nach.

      Die Pierron nahm eine tief angewiderte Miene an. Von diesen Bänkelsängerinnen kämen alle Krankheiten, meinte sie. In Joiselle gebe es eine, die eine ganze Grube verseucht habe.

      »Mich wundert,« fügte sie hinzu, »daß du deinen Sohn mit ihrer Tochter gehen läßt.«

      »Ach ja, wer kann das verhindern! ... Ihr Garten stößt an den unseren. Im Sommer steckte Zacharias immer bei Philomene hinter den Fliedersträuchen, und sie taten sich auch im Schuppen keinen Zwang an; man konnte nicht zum Brunnen gehen, ohne sie zu überraschen.«

      Es war die gewöhnliche Geschichte des Zusammenlebens der Geschlechter im Dorfe. Burschen und Mädchen verdarben zusammen und warfen sich rücklings -- wie sie sagten -- auf das niedrige Dach des Schuppens, sobald der Abend dunkelte. Alle Schlepperinnen machten da ihr erstes Kind, wenn sie sich nicht die Mühe nahmen, nach Réquillart oder in die Getreidefelder zu gehen, um es da zu machen. Es hatte nichts weiter zu bedeuten; man wurde später Mann und Frau; nur die Mütter waren wütend, wenn die Burschen zu früh anfingen; denn ein Bursche, der heiratete, brachte der Familie nichts mehr ein.

      »An deiner Stelle würde ich lieber ein Ende machen«, sagte Frau Pierron in vernünftigem Tone. »Dein Zacharias hat ihr nun schon zwei Kinder gemacht; sie werden ihrer Wege gehen und ein Paar werden. Das Geld ist einmal weg.«

      Die Maheu streckte wütend die Hände aus.

      »Höre: ich verfluche sie, wenn sie heiraten ... Ist Zacharias uns nicht Respekt schuldig? Er hat uns Geld gekostet, nicht wahr? Er soll es uns wiedergeben, ehe er sich ein Weib auf den Hals ladet. Was würde aus uns werden, sprich, wenn unsere Kinder für andere arbeiteten? Da möchte man doch lieber gleich verrecken!«

      Doch sie beruhigte sich wieder.

      »Ich spreche im allgemeinen«, sagte sie. »Wir werden ja später sehen .... Dein Kaffee ist recht stark; du tust das Nötige dazu.«

      Nachdem sie noch eine Viertelstunde von allen möglichen Dingen geplaudert hatten, eilte die Maheu fort, die Suppe für ihre Mannsleute sei noch nicht fertig. Auf der Straße sah man die Kinder wieder zur Schule gehen; einige Weiber zeigten sich an den Türen und betrachteten Frau Hennebeau, welche die Vorderseite eines Hauses abschreitend ihren Gästen die Einrichtungen des Arbeiterdorfes erklärte. Dieser Besuch machte nachgerade Aufsehen im Dorfe. Der einsame Mann in seinem Garten unterbrach sich in seiner Arbeit; zwei Hühner liefen erschreckt auseinander.

      Als die Maheu heimkehrte, stieß sie auf die Levaque, die auf die Straße gekommen war, um den gesellschaftlichen Arzt Dr. Vanderhaghen abzufassen, einen kleinen, allzeit sehr geschäftigen Mann, der durch die Straßen rennend seine ärztlichen Ratschläge erteilte.

      »Herr Doktor,« sagte sie, »ich kann nicht schlafen; mir tut alles weh .... Wir sollten doch mal darüber reden.«

      Der Arzt, der alle Bewohner des Dorfes duzte, antwortete ihr, ohne stehen zu bleiben:

      »Laß mich in Frieden! Du säufst zuviel Kaffee.«

      »Und mein Mann erst, Herr Doktor!« sagte jetzt die Maheu. »Sie sollten ihn einmal besuchen. Er hat noch immer seine Schmerzen in den Beinen.«

      »Du machst ihn so schwach, laß mich in Frieden!«

      Die zwei Weiber standen verblüfft da und schauten dem davoneilenden Arzte nach.

      »Komm herein«, sagte die Levaque, nachdem sie mit ihrer Nachbarin ein trostloses Achselzucken ausgetauscht hatte. »Du weißt wohl, daß es etwas Neues gibt ... Auch einen Schluck Kaffee trinkst du; er ist ganz frisch.«

      Die Maheu wehrte ab, aber sie konnte nicht widerstehen. Gut, einen Tropfen, um die Nachbarin nicht zu kränken. Und sie trat ein.

      Die Stube war greulich schmutzig, die Wände voll Fettflecken, Tisch und Eßschrank starrten von Unsauberkeit; und der Mißduft dieser vernachlässigten Haushaltung packte jeden Eintretenden bei der Gurgel. Neben dem Feuer saß Bouteloup, noch jung aussehend für seine fünfunddreißig Jahre, beide Ellbogen auf dem Tische, die Nase in seinem Teller, und verzehrte einen Rest Rindfleisch mit der Behäbigkeit eines wohlgenährten, ruhigen Jungen. Neben ihm stand der kleine Achilles, Philomenes Erstgeborener, der jetzt in sein drittes Jahr ging, und sah mit der stumm flehenden Miene eines gefräßigen Tieres dem Essenden zu. Der Mieter, dessen großer, brauner Bart ein feines, weißes Gesicht einrahmte, schob von Zeit zu Zeit dem Kinde ein Stück Fleisch in den Mund.

      »Wart', ich werde den Kaffee erst zuckern«, sagte die Levaque, indem sie den Mehlzucker voraus in die Kaffeekanne tat.

      Sie war um sechs Jahre älter als er, abscheulich, welk, die Brust auf dem Bauche, der Bauch auf den Schenkeln, mit einem platten Gesicht und ergrauenden, stets ungekämmten Haaren. Er hatte sie genommen, ohne sie näher zu prüfen, geradeso wie seine Suppe, wo er Haare fand, oder sein Bett, dessen Wäsche nur alle drei Monate gewechselt wurde. Sie gehörte mit zur Pension; der Mann pflegte oft zu sagen: eine glatte Rechnung macht gute Freunde.

      »Ich wollte dir nur sagen,« fuhr sie fort, »daß man gestern abend die Frau Pierron im Dorf der ›Seidenstrümpfler‹ hat sich herumtreiben sehen. Der gewisse Herr erwartete sie hinter Rasseneurs Herberge; dann sind sie zusammen längs des Kanals fortgegangen ... Das ist hübsch von einer verheirateten Frau, wie?«

      »Mein Gott!« sagte die Maheu. »Pierron hat, ehe er sie heiratete, dem Aufseher Kaninchen geschenkt; jetzt leiht er ihm seine Frau, das ist wohlfeiler.«

      Bouteloup brach in ein