Emile Zola

Germinal


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selbst vor sich in einer glücklichen Unwissenheit unter tausend Launen eines Kindes, welches das Buch zum Fenster hinauswarf, sobald eine Frage es langweilte.

      »Es ist Herr Deneulin«, meldete Honorine.

      Deneulin, ein Vetter des Herrn Grégoire, folgte ihr auf dem Fuße ohne Umstände und sehr geräuschvoll mit dem lebhaften Auftreten eines Kavallerieoffiziers. Obgleich er die Fünfzig schon hinter sich hatte, waren seine kurz geschorenen Haare und sein Schnurrbart schwarz wie Tinte.

      »Ja, ich bin's. Guten Morgen!... Laßt euch nicht weiter stören!«

      Er nahm Platz, während die Familie sich dagegen verwehrte, als könne er sie stören. Endlich fuhren sie fort, ihre Schokolade zu trinken.

      »Hast du mir vielleicht etwas zu sagen?« fragte Herr Grégoire.

      »Nein, nichts«, beeilte sich Herr Deneulin zu antworten. »Ich bin ausgeritten, um mir ein wenig Bewegung zu machen, und wollte nicht an eurer Tür vorbei, ohne euch guten Tag zu sagen.«

      Cäcilie fragte nach seinen Töchtern: Johanna und Luzie. Sie befanden sich vollkommen wohl; die erstere saß unablässig bei ihrer Malerei, während die andere, die ältere, vom Morgen bis zum Abend am Klavier saß und ihre Stimme übte. Während er dies sagte, zitterte seine Stimme leicht und klang ein Unbehagen durch, das seine geräuschvolle Heiterkeit nur unvollkommen verdeckte.

      »Und wie geht's in der Grube?« fragte Herr Grégoire weiter.

      »Mein Gott! Die dumme Krise trifft mich geradeso wie die andern... Wir büßen jetzt für die guten Jahre! Man hat in der Hoffnung auf eine ungeheure Produktion zuviel Fabriken, zuviel Eisenbahnen gebaut, zu große Kapitalien festgelegt. Heute verkriecht sich das Geld; man findet nicht mehr genug, um den ungeheuren Betrieb aufrechtzuerhalten. Glücklicherweise ist nicht alles verloren, und ich werde mich schon durchkämpfen.«

      Gleich seinem Vetter hatte auch er einen Anteil der Kohlengruben von Montsou geerbt. Doch er, der unternehmende Ingenieur, hatte sich von der Gier nach einem königlichen Reichtum geplagt, beeilt zu verkaufen, als der Anteil auf den Wert einer Million gestiegen war. Seit Monaten erwog er einen Plan. Seine Frau hatte von einem Oheim das kleine Grubenunternehmen von Vandame geerbt, wo nur zwei Schächte offen waren, Jean-Bart und Gaston-Marie, und diese in einem so verwahrlosten Zustande, so kläglich ausgerüstet, daß ihr Betrieb kaum die Kosten deckte. Sein Plan war, Jean-Bart instandzusetzen, den Zufahrtsschacht zu erweitern, damit mehr Leute anfahren könnten, während der Schacht Gaston-Marie bloß der Kohlenförderung dienen sollte. Das Geld müsse in Scheffeln zu holen sein, meinte er. Der Plan war richtig; allein, er hatte die Million aufgezehrt, und diese unglückselige Industriekrise brach in dem Augenblicke aus, wo die reichen Erträgnisse der Grube ihm rechtgeben sollten. Er war überdies ein schlechter Verwalter, hatte plötzliche Anwandlungen von Güte seinen Arbeitern gegenüber und ließ sich ausplündern, seitdem seine Frau tot war. Auch ließ er seinen Töchtern volle Freiheit; die ältere sprach davon, zum Theater zu gehen, die jüngere hatte sich im Salon schon drei Bilder zurückweisen lassen; übrigens bewahrten beide ihre gute Laune. Inmitten des Zusammenbruches ihres Hauses und angesichts der drohenden Armut entpuppten sich beide als sehr gute Haushälterinnen.

      »Siehst du, Leon,« fuhr er mit zögernder Stimme fort, »du hattest unrecht, nicht zu verkaufen, als ich es tat. Jetzt sinken alle Aktien im Werte, du kannst hinterdreinlaufen... Hättest du mir dein Geld anvertraut, dann hättest du gesehen, was wir aus Vandame gemacht hätten.«

      Herr Grégoire trank bedächtig seine Schokolade. Als er damit fertig war, antwortete er ruhig:

      »Niemals!... Du weißt ja, ich mag nicht spekulieren. Ich lebe ruhig und wäre dumm, wollte ich mir den Kopf mit Geschäftssorgen zerbrechen. Was Montsou betrifft, so mögen die Aktien noch weiter im Werte sinken, wir werden unsere Bedürfnisse doch immer gedeckt sehen. Man muß es nicht gar zu fein haben wollen, zum Teufel! Übrigens sage ich dir, du beißt dir eines Tages in die Finger, denn Montsou wird sich wieder heben und noch Cäciliens Kindeskinder werden ihr gutes Auskommen haben.«

      Deneulin hörte ihm mit einem verlegenen Lächeln zu.

      »Wenn ich dir also vorschlagen würde,« murmelte er, »hunderttausend Franken in meinem Unternehmen anzulegen, würdest du ablehnen?«

      Angesichts der bestürzten Gesichter der Familie Grégoire bedauerte er, seine Sache überhastet zu haben; er verschob diesen Anleiheplan auf ein anderes Mal, wenn die Lage sich noch mehr verschlimmern sollte.

      »Ich bin noch nicht so weit, es war nur ein Scherz«, sagte er. »Mein Gott! Du hast vielleicht recht: von dem Gelde, das uns andere erworben, wird man am sichersten fett.«

      Man sprach jetzt von etwas anderem. Cäcilie fragte wieder nach ihren Basen, deren künstlerische Neigungen sie interessierten, wenngleich sie ihr mißfielen. Frau Grégoire versprach, an dem nächsten sonnigen Tage mit ihrer Tochter die lieben Kinder zu besuchen. Indes war Herr Gregoire zerstreut und nicht bei der Sache. Er bemerkte laut:

      »Ich an deiner Stelle würde den eigensinnigen Widerstand aufgeben und in Unterhandlungen mit der Gesellschaft von Montsou eintreten. Diese verlangt nichts Besseres, und du würdest wieder zu deinem Gelde kommen.« Er spielte damit auf die alte Freundschaft an, die zwischen dem Unternehmen von Montsou und von Vandame bestand. Obgleich das letztere wenig Bedeutung hatte, ärgerte sich die mächtige Nachbarin, weil sie zwischen ihre siebenundsechzig Gemeinden diese Geviertmeile eingekeilt sah, die nicht ihr gehörte; nachdem sie vergeblich den Versuch, gemacht hatte, das Unternehmen Vandame umzubringen, rechnete sie jetzt darauf, es zu einem niedrigen Preis an sich zu bringen, wenn es sich in Nöten befand. Es war ein Krieg ohne Waffenruhe; die beiderseitigen Betriebe näherten ihre Galerien nicht weiter als bis auf zweihundert Meter; es war ein Zweikampf bis zur Erschöpfung, wenngleich die beiderseitigen Direktoren und Ingenieure freundschaftlichen Verkehr miteinander pflogen.

      Jetzt flammten die Augen Deneulins auf.

      »Niemals!« rief er. »Solange ich lebe, soll Montsou Vandame nicht haben... Ich habe Donnerstag bei Hennebeau gespeist und wohl bemerkt, daß er wieder an mich heran wollte. Schon im vorigen Herbst, als die Spitzen der Verwaltung da waren, um die Gruben zu besichtigen, legte man allerhand Köder... Ja, ja, ich kenne sie, diese Marquis und diese Herzöge, diese Generäle und diese Minister! Lauter Räuber, die einem das letzte Hemd nehmen möchten!«

      Er ward nicht müde, über diese Leute zu schimpfen. Herr Grégoire nahm übrigens nicht die Verwaltung von Montsou in Schutz, die im Sinne des Vertrages vom Jahre 1760 eingesetzten sechs Geschäftsleiter, welche die Gesellschaft mit unumschränkter Gewalt regierten und deren fünf, wenn einer starb, das fehlende Mitglied unter den reichen Großaktionären wählten. Der Besitzer von Piolaine mit seinen vernünftigen Ansichten war der Meinung, daß diese Herren in ihrer übertriebenen Geldgier zuweilen jedes Maß überschritten.

      Inzwischen hatte Melanie den Tisch abgeräumt. Draußen begannen die Hunde wieder zu bellen, und Honorine wandte sich zur Tür, um nachzusehen; doch Cäcilie, der es in dem Zimmer von dem genossenen Frühstück zu warm wurde, erhob sich vom Tische und rief der Magd zu:

      »Nein, laß nur; es wird die Lehrerin sein.«

      Deneulin hatte sich gleichfalls erhoben. Er blickte dem Mädchen nach und fragte lachend, als sie draußen war:

      »Wird etwas aus der Heirat mit dem kleinen Negrel?«

      »Es ist noch nichts bestimmt«, antwortete Frau Grégoire ... »Ein Gedanke, der noch erwogen werden müßte.«

      »Gewiß«, rief er mit einem vielsagenden Lachen. »Ich glaube, daß zwischen dem Neffen und der Tante ... Mich nimmt am meisten wunder, daß Frau Hennebeau selbst Cäcilie gegenüber so liebenswürdig tut.«

      Doch Herr Grégoire widersprach der hier angedeuteten Vermutung. Eine so vornehme Dame und vierzehn Jahre älter als der junge Mann! Das sei ungeheuerlich; er liebe nicht, daß man mit solchen Gegenständen Spaß treibe. Deneulin lachte noch immer und drückte ihm die Hand zum Abschiede.

      »Es ist wieder nicht die Lehrerin«, sagte Cäcilie zurückkehrend. »Es ist die Frau mit den zwei Kindern... Du weißt wohl, Mama, die