Emile Zola

Germinal


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Doch er sagte sich, es sei unnütz, da er nicht bleiben wollte. Dieser Zwischenfall bestärkte ihn vollends in seinem Entschlusse.

      »Man trifft es nicht gleich am ersten Tage«, sagte Maheu, um Frieden zu stiften. »Morgen wird er's besser machen.«

      Indes waren alle verdrossen, von einem Bedürfnis zu streiten erfüllt. Als sie in die Laternenkammer gingen, um dort ihre Lampen abzugeben, begann Levaque einen Streit mit dem Aufseher, den er beschuldigte, die seine schlecht gereinigt zu haben. Erst in der Baracke, wo das Feuer noch immer brannte, beruhigten sie sich ein wenig. Man hatte den Ofen zu stark mit Kohlen gefüllt, denn er war ganz rot, und der fensterlose Raum schien ganz in Flammen zu stehen, weil der Widerschein der Flammen die Wände blutrot färbte. Die Leute grunzten vor Vergnügen; sie brieten ihren Rücken in entsprechender Entfernung und dampften wie heiße Suppe. Hatten sie sich rückwärts genügend gebraten, wandten sie dem Feuer den Bauch zu. Die Mouquette hatte ganz ruhig die Hose heruntergelassen, um ihr Hemd zu trocknen. Die Burschen trieben ihren Ulk mit ihr und lachten laut, weil sie ihnen plötzlich den Hintern zeigte, was bei ihr der höchste Ausdruck der Verachtung war.

      »Ich gehe«, sagte Chaval, nachdem er seine Geräte in seinem Kasten verwahrt hatte.

      Niemand rührte sich. Bloß die Mouquette beeilte sich, ihm zu folgen, unter dem Vorwande, daß beide nach Montsou gingen. Doch da fielen neue Späße, denn man wußte, daß er sie nicht mehr mochte.

      Katharina hatte inzwischen leise mit ihrem Vater gesprochen. Dieser hörte ihr erstaunt zu, dann nickte er zustimmend mit dem Kopfe. Er rief Etienne herbei, um ihm sein Paket zurückzugeben.

      »Hören Sie,« sagte er ihm leise, »wenn Sie kein Geld haben, können Sie bis zum Halbmonatlohn längst verhungert sein... Soll ich Ihnen irgendwo Kredit verschaffen?«

      Der junge Mann stand einen Augenblick verlegen da. Er wollte gerade seine dreißig Sous fordern und seiner Wege gehen. Doch angesichts des Mädchens ward er von Scham ergriffen. Sie sah ihn scharf an; vielleicht glaubte sie gar, daß er die Arbeit scheue.

      »Ich will Ihnen nichts versprechen,« sagte Maheu weiter; »schlimmstenfalls werden wir eine abschlägige Antwort bekommen.«

      Etienne sagte nicht nein. Er werde gewiß eine abschlägige Antwort bekommen, dachte er. Übrigens verpflichtete ihn das zu nichts; er könne ja noch immer weggehen, nachdem er einen Bissen gegessen. Dann wieder verdroß es ihn, daß er nicht nein gesagt, als er die Freude Katharinas sah, die ihm freundschaftlich zulächelte, ganz froh darüber, daß sie ihm zu Hilfe gekommen. Was half ihm aber alldies?

      Als die Maheu ihre Holzschuhe an sich genommen und ihre Fächer verschlossen hatten, verließen sie die Baracke und folgten den Kameraden, die einer nach dem andern sich entfernten, nachdem sie sich erwärmt hatten. Etienne schloß sich ihnen an; Levaque und sein Sohn gingen mit demselben Trupp. Doch im Siebwerke wurden sie durch eine heftige Szene zurückgehalten. Es war in einem geräumigen Schuppen mit einem von Kohlenstaub geschwärzten Gebälk und großen Fensterläden, durch die ein fortwährender Luftzug strich. Die Kohlenhunde kamen unmittelbar aus dem Aufnahmesaale hierher und wurden durch die Auslader auf lange Rutschen aus Eisenblech geleert. Bei den Rutschen standen rechts und links auf erhöhten Stufen die Sichterinnen, mit Schaufel und Rechen ausgerüstet, scharrten die Steine beiseite und stießen die reine Kohle in die Trichter hinab, durch welche sie in die Waggons der Eisenbahn fielen, die unter dem Schuppen hinlief.

      Hier arbeitete Philomene Levaque, ein mageres, bleiches, schwindsüchtiges Mädchen mit einem Schafsgesicht. Den Kopf mit einem blauen Lappen umwickelt, Hände und Arme schwarz bis zu den Ellbogen, oblag sie der Sichtungsarbeit; sie stand unterhalb einer alten Hexe, der Mutter der Frau Pierron, die Brulé genannt, einem schrecklichen Weib mit den Eulenaugen und den eingekniffenen Lippen, die an den Geldbeutel eines Geizigen erinnerten. Sie lagen im Streit miteinander; die Junge beschuldigte die Alte, daß sie ihr die Steine wegnehme, so daß sie in zehn Minuten nicht einen Korb voll zusammenbringe. Man bezahlte sie nämlich nach Körben. Da gab es denn endlosen Zank und Hader; die Zöpfe flogen, die Hände zeichneten sich in schwarzen Flecken auf dem roten Gesichte der Gegnerin ab.

      »Gib ihr doch eins in die Fratze!« rief Zacharias von oben seiner Geliebten zu.

      Alle Sichterinnen lachten. Doch die Brulé wandte sich jetzt giftig gegen den jungen Mann.

      »Du Schweinekerl tätest besser, die zwei Bälge anzuerkennen, die du ihr gemacht hast!... Hat man je so etwas gehört!... Eine Hopfenstange von achtzehn Jahren, die sich kaum auf den Beinen erhalten kann!«

      Maheu mußte seinen Sohn verhindern hinabzugehen, um sich --- wie er sagte --- die Hautfarbe dieses Gerippes anzusehen. Ein Aufseher eilte herbei, die Rechen versenkten sich wieder in die Kohle. Von der Höhe sah man nichts mehr, als die runden Rücken der Weiber, die sich aufs heftigste die Steine streitig machten.

      Draußen hatte der Wind sich plötzlich gelegt; eine feuchte Kälte senkte sich vom grauen Himmel hernieder. Die Grubenarbeiter hoben die Schultern, kreuzten die Arme und gingen in regellosen Gruppen dahin mit einer wiegenden Bewegung der Lenden, die ihre derben Knochen unter der dünnen Leinwandhülle ihrer Kleidung hervortreten ließ. Im Tageslichte sahen sie aus wie eine Bande von Negern, die man in Schmutz getaucht hat. Einige hatten ihren »Ziegel« nicht ganz verzehrt und dieser Brotrest, den sie zwischen Hemd und Jacke zurückbrachten, ließ sie bucklig erscheinen.

      »Schau, da ist Bouteloup«, sagte Zacharias grinsend.

      Ohne stehen zu bleiben, tauschte Levaque zwei Sätze mit seinem Mieter aus, einem kräftigen Burschen von fünfunddreißig Jahren mit sanftem, biederen Antlitz.

      »Ist die Puppe fertig, Louis?«

      »Ich glaube.«

      »So ist das Weib heute gut?«

      »Ja, ich glaube, sie ist gut.«

      Andere Grubenarbeiter kamen, die gruppenweise in dem Schacht verschwanden. Es war die Drei-Uhr-Schicht; neue Männer, welche die Grube verschlang, wo sie anstelle der anderen die Arbeit aufnahmen. Niemals feierte die Grube; Tag und Nacht waren menschliche Käfer da, die sechshundert Meter unter den Rübenfeldern in dem Gestein gruben.

      Indes gingen die jungen Leute voraus. Johannes vertraute Bebert einen verwickelten Plan an, wie man sich für vier Sous Tabak verschaffen könne. Lydia folgte ihnen in einer respektvollen Entfernung. Katharina ging mit Zacharias und Etienne. Niemand sprach. Vor der Gastwirtschaft »Zum wohlfeilen Schoppen« wurden sie von Maheu und Levaque eingeholt.

      »Da ist's«, sagte ersterer. »Wollen Sie eintreten?«

      Man trennte sich. Katharina blieb noch einen Augenblick stehen und betrachtete ein letztes Mal den jungen Mann mit ihren großen Augen, die von der grünlich schimmernden Durchsichtigkeit des Quellwassers waren und deren Kristallreinheit durch das schwarze Gesicht noch gehoben wurde. Sie lächelte und verschwand mit den anderen auf dem ansteigenden Wege, der zu dem Bergdorfe hinanführte.

      Die Herberge lag zwischen dem Dorfe und der Grube an der Kreuzung der beiden Wege. Es war ein zweistöckiger Ziegelbau, von oben bis unten mit Kalk getüncht, mit einem breiten, himmelblauen Saume um die Fenster. Eine viereckige Tafel über dem Tore trug in gelben Buchstaben die Inschrift: »Zum wohlfeilen Trunk« Rasseneurs Gastwirtschaft. Dahinter lag eine Kegelbahn, die eine lebende Hecke einschloß. Die Gesellschaft, die alles versucht hatte, um dieses zwischen ihre weiten Ländereien eingekeilte Stück Boden zu erwerben, war trostlos wegen dieser Gastwirtschaft, die auf freiem Felde, sozusagen am Eingange des Voreuxschachtes lag.

      »Treten Sie ein«, sagte Maheu nochmals zu Etienne.

      Die Gaststube war klein, von einer hellen Kahlheit mit ihren weißen Mauern, drei Tischen, zwölf Stühlen und ihrem Schanktisch von weißem Holze, der nicht größer war als ein Küchenschrank. Etwa zehn Schoppen waren aufgereiht, drei Likörflaschen, eine Wasserflasche, ein kleiner Zinkkasten mit zinnernem Hahn für das Bier. Nichts weiter: kein Bild, keine Tafel, kein Spieltisch. In dem blank gefirnißten gußeisernen Kamin brannte langsam ein Kohlenziegel; die Fliesen waren mit einer dünnen Lage Sand bestreut, welche die ewige Feuchtigkeit dieser regennassen Gegend aufsog.

      »Einen