der Wind war stärker und wedelte sie stets aufs Neue wieder durch.
„Wir sind ja gleich da“, versuchte ich sie zu trösten und bemühte mich die Tränen, die mir der Wind in die Augen trieb, rechtzeitig abzufangen, eh sie mir das Make Up ruinieren konnten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir das „Dark Hole“ und stürzten so schnell wir konnten hinein. Nur der Kerl am Einlass konnte uns bremsen. Wir bezahlten und gingen den langen, schmalen und dunklen Gang entlang, der nur mit einzelnen Laternen beleuchtet wurde, um uns an einem Fenster anzustellen, durch welche man seine Garderobe abgeben konnte. Es war schon einiges los. In der Luft schwebte der Duft von Patchouli gepaart mit Zigarettenqualm.
Ein paar Schritte weiter von der Garderobe entfernt befanden sich auf der rechten Seite die Toiletten. Fine und ich betraten sie um unser Aussehen im Spiegel zu überprüfen. Ein Mädchen mit Zigarette im Mund richtete gerade ihre Strapse als wir herein kamen. Sie löschte ihre Zigarette im Waschbecken, schmiss sie in den Eimer und sprühte sich noch eine halbe Flasche Haarspray in ihre auftoupierten Haare. Schließlich verschwand sie in der schwarzen Menge im Gang.
Erst als sie gegangen war, konnten wir an den Spiegel treten. Der Vorraum der Toiletten war so eng, dass man Mühe hatte, sich zu zweit darin zu bewegen. Schnell brachten wir die teils verlaufene Schminke wieder in Ordnung, kämmten unsere Haare und machten den nächsten zwei Mädchen Platz, die ebenfalls vom Wind massakriert waren.
Wir folgten den letzten paar Metern des Ganges in den großen Raum, in dem das Konzert stattfand. Auch darin wurde es nicht heller. Einzelne Lämpchen an der Wand, von denen manche flimmerten, sorgten für eine bizarre Beleuchtung.
Ich freute mich schon auf den Moment, wenn der Nebel dazu stieß und Strobolichter die Atmosphäre brachen. Es saßen bereits einige Konzertbesucher in der Mitte des Raumes auf dem Boden und lauschten der Musik aus den Boxen, während andere an der Seite standen und sich leise unterhielten.
Durch einen kleinen Durchgang gelangte man rechts von dem großen Raum in einen kleineren. In diesem befand sich die Bar mit fünf Tischen und ein paar Stühlen dazu. Fine bestellte sich eine Bloody Mary, ich einen Rotwein. Beides wurde in Plastikbechern gereicht.
Wir setzten uns an den noch letzten freien Tisch, auf dem ein kleines Teelicht flackerte. Genüsslich sogen wir an unseren Strohhalmen, die wir uns hatten geben lassen um beim Trinken unseren Lippenstift nicht zu entfernen und schauten uns das schwarze Treiben um uns herum an.
Wir hielten Ausschau, ob das eine oder andere bekannte Gesicht vorbei kam. In der Zeit, wo wir noch regelmäßig nach Berlin zum Feiern fuhren, hatten wir einige Leute kennen gelernt. Doch durch die Beziehung zu Max wurde es immer seltener, dass wir hierher kamen. Allein wollte Fine auch nicht so oft fahren und eine Begleitung aus Potsdam fand sie nur selten. So hatte auch sie schon lange niemanden mehr von den Bekannten hier getroffen.
Ich zündete mir eine Zigarette an. Fine griff beiläufig in meine Schachtel und redete, als ob nichts wäre. Ich grinste in mich hinein. Von wegen Nichtraucher. Ich sagte aber nichts.
„Wenn Matti oder Tobi heute da sind, müssten wir sie doch aber auf jeden Fall sehen, die müssen ja hier vorbei zur Bar“, grübelte Fine und renkte sich fast den Hals aus um durch den Durchgang in den großen Raum linsen zu können.
„Wir können ja, wenn wir aufgeraucht haben, mal herum laufen und schauen, ob wir noch jemanden entdecken“, meinte ich, wobei ich „wir“ besonders betonte.
Um Fines Mund spielte ein Grinsen, sie ging aber auf meine Anspielung nicht ein. „Ja, das können wir machen“, antwortete sie stattdessen und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas, an welchem sie sich halb verschluckte, als sie mit den Armen wild zu fuchteln anfing. „Hey, Maren!“, rief sie, nachdem sie es geschafft hatte ihre Bloody Mary herunter zu schlucken.
Ich drehte mich in die Richtung, in die Fine winkte und sah auch schon Maren auf uns zu laufen. Sie hatte ihre schwarzen langen Haare auf einer Seite abrasiert, die andere Seite war wild toupiert. In ihrem rechten Auge trug sie eine rote Kontaktlinse. Ihren Hals und ihre Handgelenke zierten Stachelnietenarmbänder. Das zerrissene Netzoberteil, über dem sie ein schwarzes Lackminikleid trug, arrangierte sich hervorragend mit den zerrissenen Netzstrapsen, die darunter hervor lugten. Mit schweren Lackstiefeln, welche extrem hohe Plateausohlen besaßen, stapfte sie zu uns an den Tisch. Als sie näher kam erkannte ich, dass ein Piercing mehr ihr Gesicht zierte.
Das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte, trug sie eines in Lippe und Nase, nun hatte sie sich auch eines in die Augenbraue stechen lassen. Ihre Ohren waren bereits voll mit Ringen, da konnte ich mit meinen neun Piercings in den Ohren nicht mithalten.
„Hallo! Mensch ihr seid auch mal wieder hier“, begrüßte uns Maren und drückte uns.
„Ja, ich konnte Tara endlich mal wieder dazu überreden hierher zu kommen. Aber sag mal, warum redest du so komisch?“, fragte Fine und zog eine Augenbraue hoch.
„Oh achso ja, das ist nur vorübergehend. Ich habe mir heute ein Zungenpiercing stechen lassen“, antwortete Maren und streckte stolz ihre Zunge heraus. Darauf prangte eine silberne Kugel, welche sich eng an die Zunge schmiegte.
„Sieht so aus, als drückt dir das Ding die Zunge ab“, meinte ich und beäugte es noch einmal.
„Das ist normal. Die Schwellung ist bald weg und dann kann ich damit schön herum spielen und das nicht nur allein“, antwortete sie mit einem Augenzwinkern.
„Na solange du dich damit nicht an seinem Intimschmuck verfängst“, meinte ich und wir lachten.
„Hast du eigentlich noch deinen komischen Freund?“, fragte mich Maren und setzte sich zu uns an den Tisch.
Bumm, da war es wieder. Ich wartete gerade auf den Stich im Herzen, aber nichts rührte sich. Keine Trauer, keine Wehmut, noch nicht einmal ein „schade“ empfand ich. Ich wollte nicht nur nicht darüber reden, sondern ich brauchte es auch nicht mehr. Das Gefühl, sich die Seele frei reden zu müssen, war wie weggeblasen. Sie fühlte sich noch nicht einmal schwermütig an. Das einzige was ich spürte war aufkommende Wut auf Max. Aber auch die ließ sich mit einem Schluck Rotwein schnell wieder hinunter spülen.
„Ne, mit ihm ist es aus. Ist auch gut so. Ich komme inzwischen damit klar“, antwortete ich schnell und versuchte flink das Thema zu wechseln. Zum Glück konnte ich da voll und ganz auf Fine zählen. Ihren prüfenden Blick auf mich spürend, ob auch wirklich alles in Ordnung war mit mir, fing sie an sofort über unseren gestrigen Shoppingtag zu reden und ließ sich von Maren den neuesten Tratsch erzählen.
So verging schnell eine halbe Stunde und während wir an der Bar neue Getränke bestellten, um im bald beginnenden Konzert nicht zur Bar zu müssen, klopfte es von hinten auf unsere Schultern.
Matthias und Tobias, oder auch Matti und Tobi, wie wir sie nannten, standen hinter uns.
Matti hatte immer noch seine Robert Smith - Frisur, während sich Tobi einen Undercut hatte schneiden lassen. Er besaß somit nur noch sein langes Deckhaar, dass er sich nach hinten als Pferdeschwanz gebunden hatte.
Tobi roch richtig gut nach Patchouli als ich ihn umarmte, so dass ich noch ein paar Sekunden länger ihn drückte, um an ihm zu schnuppern.
Die schwarz geschminkten Augen der beiden Jungs strahlten. Sie freuten sich ehrlich uns nach langer Zeit wiederzusehen.
Fine schien ihren Barkeeper vom gestrigen Abend schnell vergessen zu haben, während sie sich angeregt mit Matti unterhielt. Kein, in der Menge suchender Blick ließ den Augenkontakt zu Matti unterbrechen.
Zu fünft gingen wir vor zur Bühne. Der Raum war inzwischen sehr gut gefüllt. Alle standen ruhig und erwartungsvoll mit dem Blick in Richtung Bühne.
Als die erste Band die ersten Takte spielte und der Nebel begann in die Menge zu strömen, wurde mein ganzer Körper von Gänsehaut überzogen. Die Individuen um mich herum verschmolzen zu einer Masse. Wir wurden eine Gemeinschaft, die das gleiche sah, hörte und fühlte. Wir in diesem Raum waren eine Einheit geworden.
Während die erste Band