Emile Zola

Die Bestie im Menschen


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schon eine Geliebte?«

      Jacques wurde ernst. Seine Augen wandten sich zur Seite in die Nacht hinaus und flimmerten unstät.

      »Nein,« antwortete er kurz.

      »Es stimmt also,« meinte sie. »Man hat mir nämlich erzählt, daß Du die Frauen haßtest. Und dann kenne ich Dich auch nicht erst seit gestern. Etwas Liebenswürdiges bekommt man von Dir überhaupt nicht zu hören ... Warum ist das so?«

      Er schwieg, sie ließ die Knoten fahren und blickte zu ihm auf.

      »Liebst Du nur Deine Lokomotive? Man macht sich darüber schon lustig, wie Du weißt. Man behauptet, Du putztest sie in einem fort, um sie recht leuchten zu lassen, als hättest Du nur für sie Deine Zärtlichkeiten übrig. Ich darf Dir das schon sagen als Deine Freundin.«

      Auch er betrachtete sie in der bleichen Helle des bedeckten Himmels. Er erinnerte sich, daß sie schon als kleines Kind heftig und eigensinnig gewesen war, aber so oft er kam, ihm mit der Leidenschaftlichkeit einer Wilden an den Hals sprang. Später verlor er sie mehrfach aus den Augen, jedesmal aber, wenn er sie wiedersah, schien sie gewachsen; trotzdem fiel sie auch dann noch ihm um den Hals, aber die Flammen in ihren großen, klaren Augen genirten ihn mehr und mehr. Jetzt war sie ein herrliches, begehrenswerthes Weib, er war zweifellos noch immer ihre Jugendliebe. Sein Herz klopfte heftig, er hatte das plötzliche Gefühl, daß er der von ihr Erwartete sei. Mit dem Blut zugleich aber stieg eine wachsende Verwirrung ihm zu Kopf, die ihn folternde Angst drängte ihn zunächst zur Flucht. Jedesmal, wenn das Verlangen nach einem Weibe in ihm aufstieg, wurde er wie toll und sah alles roth.

      »Was stehst Du noch?« begann Flore von Neuem, »so setze Dich doch.«

      Er zögerte abermals. Doch er fühlte seine Füße schwach werden und von dem Drange getrieben, es noch einmal mit der Liebe zu versuchen, ließ er sich neben sie auf den Haufen Stricke nieder. Er sagte nichts, da ihm die Kehle wie ausgedörrt schien. Sie, die Schweigsame, Stolze, schwatzte dagegen jetzt, daß sie kaum zu Athem kam. Sie schien sich betäuben zu wollen.

      »Es war eine Dummheit von Mutter, Misard zu heirathen. Das wird ihr schlecht bekommen ... Mich geht es ja weiter nichts an, ich habe genug zu thun. Und will ich einmal dazwischen fahren, dann schickt mich Mutter zu Bett ... Mag sie sehen, wie sie mit ihm fertig wird. Ich lebe außerhalb des Hauses. Ich habe an zukünftige Dinge zu denken ... Ich habe Dich heute früh von einem Strauch aus, unter welchem ich saß, auf Deiner Lokomotive vorüberfahren sehen. Aber Du siehst ja nie hin ... Ich werde Dir auch sagen, woran ich immer denke, aber nicht jetzt, erst später, wenn wir erst vollständig gute Freunde geworden sind.«

      Sie hatte die Scheere fallen lassen und er hatte, noch immer stumm, sich ihrer beiden Hände bemächtigt. Entzückt ließ sie sie ihm. Trotzdem durchzuckte sie, als er jene an seine brennenden Lippen führte, ein jungfräulicher Schrecken, die Kriegerin in ihr erwachte und bäumte sich bei dieser ersten Annäherung des Bösen streitbar auf.

      »Nein, nein, lasse mich, ich will nicht ... Verhalte Dich hübsch ruhig, wir wollen plaudern ... Ihr Männer denkt nur an so etwas. Wenn ich Dir wiederholen wollte, was mir Louisette an dem Tage, als sie bei Cabuche starb, erzählt hat! ... Uebrigens wußte ich schon von der Unzucht des Präsidenten, denn er kam oft mit jungen Mädchen hierher ... Von einer vermuthet das kein Mensch, weil er sie später verheirathet hat ...«

      Er hörte nicht hin, er hörte nicht zu. Er umschlang sie und drückte bei der brutalen Umarmung seinen Mund heftig auf den ihren. Ein halbunterdrückter Schrei, nein, mehr ein sanfter, von Herzen kommender Klageruf entschlüpfte ihr, das Geständniß ihrer so lange unterdrückten Liebe. Aber sie kämpfte und wehrte sich halb unbewußt. Sie wünschte ihn sich, trotzdem rang sie mit ihm, sie wollte von ihm besiegt sein. Wortlos, Brust an Brust, mit fliegendem Athem, suchte eines das andere unterzubekommen. Einen Augenblick schien sie die Stärkere zu sein. Sie würde ihn wahrscheinlich geworfen haben, so sehr er sich auch sträubte, wenn er sie nicht an der Kehle gepackt hätte. Die Taille sprang auf und die beiden festen, von dem Ringen geschwollenen Brüste schimmerten wie flüssige Milch durch das Dunkel. Sie sank auf den Rücken, sie gab sich besiegt.

      Anstatt seinen Sieg zu benutzen, kniete er, an allen Gliedern zitternd, athemlos vor ihr und starrte sie an. Dann schien ihn eine Wuth, eine Wildheit zu packen, seine Augen suchten nach einer Waffe, einem Steine, nach irgend etwas, um sie zu tödten. Seine Blicke entdeckten die aus dem Gewirr der Knoten hervorleuchtende Scheere. Er griff nach ihr und war schon im Begriff, sie in den weißen Hals, zwischen die rosig schimmernden weißen Brüste zu tauchen, als ihn ein eisiger Schauder ernüchterte. Er warf die Scheere von sich und entfloh wie wahnsinnig, während sie mit geschlossenen Augenlidern liegen blieb und nicht anders dachte, als daß er sie verschmähte, weil sie ihm widerstanden hatte.

      Jacques floh durch die melancholische Nacht. Im Galopp rannte er den Fußsteig einer Anhöhe empor und taumelte auf der andern Seite in eine enge Schlucht hinunter. Unter seinen Schritten davonrollende Kieselsteine erschreckten ihn, er drang links durch die Gebüsche und auf einem Umweg nach derselben Seite wieder hinaus, wodurch er rechts auf ein leeres Plateau gerieth. Er ließ sich herab und gerieth gegen die den Bahndamm einfriedigende Hecke: ein Zug kam schnaubend und dampfend vorüber. Er erschrak und begriff zuerst nicht recht. Ach, ganz recht, da fährt ja alle Welt vorüber, in einem fort, während er hier mit fliegenden Pulsen fiebert! Er kletterte abermals hinauf und abermals hinunter. Immer wieder stieß er auf die Geleise, bald auf der Sohle tiefer Schluchten, an Abgründen entlang, bald auf Abhängen, deren riesige Barrikaden die Fernsicht abschnitten. Dieses wüste, von Anhöhen kupirte Gelände glich einem ausgangslosen Labyrinthe. Durch die gruftähnliche Trostlosigkeit dieser unbebauten Länderstrecken jagte ihn sein Wahnsinn. Schon lange war er auf den Höhen und Abhängen umhergeklettert, als er vor sich eine schwarze Oeffnung, den offenen Schlund des Tunnels erblickte. Ein bergauf fahrender Zug stürzte sich heulend und pfeifend dort hinein und verschwand, als hätte ihn die Erde verschlungen, mit einem Gedröhne, von dem noch lange hernach der Boden erzitterte.

      Jacques stürzte neben dem Eisenbahndamm zu Boden, seine Beine trugen ihn nicht weiter. Auf dem Bauche liegend und das Gesicht tief in den Rasen gedrückt schluchzte er krampfhaft. Das Uebel, von dem er sich geheilt wähnte, war also wirklich wiedergekommen? Er hatte dieses Mädchen tödten wollen! Ein Weib tödten, ein Weib tödten wollen! Von Jugend auf, je mehr das Fieber und die Sehnsucht nach dem Besitz eines Weibes in ihm wuchsen, desto stärker wurde auch dieses Verlangen. Andere träumen beim Erwachen der Mannbarkeit nur von dem Besitz des Weibes, in ihm aber gährte der Gedanke, dann eine zu tödten! Er konnte es nicht leugnen, er hatte die Scheere ergriffen, um sie ihr in das Fleisch zu stoßen, sobald sein Auge dieses gesehen, in dieses Fleisch, in diese warme weiße Brust. Und nicht in einem Anfalle von Wuth, sondern lediglich aus dem Vergnügen an der Sache heraus. Dieses Vergnügen verlangte so mächtig seine Befriedigung, daß er am liebsten im Galopp zurückgelaufen wäre um sie zu morden, hätten seine Hände sich nicht mit aller Gewalt in den Erdboden gekrampft. Und gerade sie, mein Gott, diese Flore, die er hatte aufwachsen sehen, dieses wilde Kind, von dem er sich so heißgeliebt fühlte! Seine gekrümmten Finger wühlten sich noch tiefer in das Erdreich, das Schluchzen zerriß ihm die Kehle, es war ein Röcheln fürchterlichster Verzweiflung.

      Dann rang er nach Ruhe, er wollte klar sehen. Welch ein Unterschied war eigentlich zwischen ihm und den Anderen? Er hatte es sich schon in seiner Jugend dort unten in Plassans gefragt. Seine Mutter Gervaise erhielt ihn allerdings etwas zeitig, sie zählte damals erst fünfzehn und ein halbes Jahr, und er war noch dazu der zweite, denn Claude wurde ihr geboren, als sie knapp vierzehn alt war. Aber keiner seiner Brüder, weder Claude, noch der nach ihm geborene Etienne litt unter der Jugend seiner Mutter und seines knabenhaften Vaters, des schönen Lantier, dessen schlechtes Herz Gervaise so viele Thränen kosten sollte. Vielleicht litt auch ein jeder seiner Brüder an irgend einem Uebel und gestand es nur nicht ein. Der Aelteste namentlich, den es so heiß danach verlangte, ein Maler zu sein, daß man ihn und sein Genie für halb verrückt hielt. Mit seiner Familie war es entschieden nicht richtig, viele Mitglieder derselben hatten etwas weg. In gewissen Stunden fühlte er sehr wohl diesen erblichen Riß. Seine Gesundheit war keine schlechte, nur hatten ihn die Furcht und die Scham vor seinen Krisen etwas abmagern lassen. Aber von Zeit zu Zeit verlor er das Gleichgewicht seines Lebens und dann schien es, als zeigte sein