Norbert Wibben

Raban und Röiven Eine magische Freundschaft


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schaut beide ernst an.

      »Hab ich das noch nicht gesagt? – Die Elfen werden von Baran bedroht. Er will nicht nur ihre Festung zerstören, sondern sie auch alle vernichten.« Zum Kolkraben gewendet erklärt sie: »Grimur gehörte zu deiner Familie. Er hat uns das eingebrockt. Es ist nicht nur eine Frage der Ehre, aber du musst helfen, das wieder geradezubiegen.« Sie blickt nun zum Jungen. »Du solltest das verhindern können, weil dein Name Raban ist.«

      »Was hat das mit meinem Namen zu tun?«

      »Er ist aus denselben Buchstaben gebildet, wie »Baran«. Eure Namen sind Anagramme! Er ist böse und du bist gut. Das stimmt doch?« Die dunklen Augen scheinen ihn zu durchdringen.

      »Er ist ein mitfühlender Mensch, der sich um andere kümmert. Das habe ich am eigenen Leib erfahren«, bestätigt Röiven.

      »Aber kann ich es deshalb mit einem bösen Zauberer aufnehmen? Wenn man mal außer Acht lässt, dass ich kein Erwachsener bin, ist nicht zu übersehen: ich bin für mein Alter nicht einmal besonders kräftig. Zaubern kann ich natürlich auch nicht.«

      Die Eule antwortet erst nach einer kurzen Pause:

      »Trotzdem weiß ich, Gleiches bekämpft man am besten mit Gleichem. Wenn irgendwo ein Feuer ausgebrochen ist, sagen wir mal in einem Wald, dann werden von euch Menschen Gegenfeuer gelegt, um eine Ausbreitung zu verhindern.

      Für Gegenzauber ist Röiven zuständig, für die möglicherweise notwendigen Kenntnisse eines Menschen dann du, Raban.

      Baran wird somit durch euch beide an der Ausführung seiner Pläne gehindert werden können.« Die nächsten Laute ergeben für den Jungen keinen Sinn.

      »Was, das hoffst du also nur?« vernimmt er statt dessen die Stimme des Kolkraben.

      »Oh. Ich habe ganz vergessen, wie klug ihr Raben seid. Natürlich konntest du mich jetzt verstehen. Ich will also ehrlich sein. Genau weiß ich natürlich nicht, ob sich das in diesem Fall anwenden lässt. Dafür können zu viele Faktoren eure Aufgabe beeinflussen. Aber ich kenne keine andere Möglichkeit, um die Elfen zu retten.«

      In einer kurzen Pause klappert Minerva entschuldigend mit den Augendeckeln.

      »Solveig ist mittlerweile sehr alt und zeitweise schon enorm vergesslich. Falls sie sich mittels Zauber verteidigen müsste, wüsste sie vermutlich nicht, welche zu nutzen wären. Andere Elfen mit Zauberkräften gibt es im geheimen Wald nicht mehr. Aber die Gefahr besteht nicht unbedingt in einem direkten Zauberangriff. Dann würde es ausreichen, wenn du, Röiven, vorsorglich dort wohnen würdest. Deine Zauberkräfte sind gewaltig und können es vermutlich mit denen Barans aufnehmen, der sie ja von deinem Vetter erhalten hat. Aber es ist auch wichtig, Unterstützung durch einen Menschen zu erhalten.«

      Raban räuspert sich, bevor er unbehaglich fragt:

      »Worin besteht die andere Möglichkeit, die Elfen zu vernichten?«

      Gespannt warten beide, der Junge und der schwarze Vogel, auf die Antwort.

      »Habt ihr schon einmal von der Legende über die Raben im Tower von London gehört? Sie lautet: Der Weiße Turm, die Monarchie und das gesamte Königreich, würden zugrunde gehen, falls die Raben jemals den Tower verlassen.

      Ob die Sage für London zutrifft, weiß ich nicht genau. Möglicherweise ist die ursprüngliche Aussage durch die lange Zeit der Überlieferungen verfälscht worden. In einem alten Buch der Mythen und Sagen ist der mögliche Kern zu finden, der sich aber auf die Elfen bezieht. Dort steht geschrieben: so lange Kolkraben in diesem Land existieren, sind die geheimen Plätze der Elfen vor den Menschen verborgen, wodurch sie und ihre Festung vor Vernichtung geschützt sind.«

      Plötzlich umgibt sie unheimliche Stille. Keiner wagt auszusprechen, was er gerade denkt. Der Junge äußert sich noch vor dem Raben:

      »Was sagst du? Jemand könnte beabsichtigen, alle Kolkraben des Landes zu töten? Wer würde so eine ungeheure Tat nur zu denken wagen?« Empört steht er stocksteif da.

      »Oh … glaube mir, vielen Menschen ist so etwas zuzutrauen«, beginnt der Kolkrabe, erst mit leiser, trauriger, aber dann mit fester, lauter Stimme. »Für die meisten von ihnen sind wir Unglücksboten, möglicherweise eine Gefahr für deren Tiere, auf jeden Fall aber ohne Nutzen für sie.«

      »Darum ist Eile geboten«, ergänzt nun Minerva. Mit jedem Augenblick der vergeht, stirbt vielleicht irgendwo in unserem Land ein Rabe. Vielleicht erfolgte der Angriff auf dich«, hierbei blickt sie zu Röiven, »bereits als Folge von Barans Plan. Er wird sicher nicht alleine alle Kolkraben töten können. Aber er kann die Einstellung der Menschen zu diesen Vögeln beeinflussen, zumal er Zauberkräfte besitzt!«

      »Ja …« Schweigen.

      »Aber …« Erneutes Schweigen.

      »Wo sollen wir denn dann anfangen?«, fragen der Junge und der Kolkrabe gleichzeitig.

      »Beginnt da, wo es die meisten Kolkraben gibt und bringt sie in den geheimen Wald. Dort sollten sie vorläufig sicher sein.«

      Die große Schleiereule klappert mit den Augendeckeln, nickt beiden kurz zu und breitet die Flügel aus. Ohne ein hörbares Geräusch oder eine spürbare Luftbewegung, schwebt sie über Raban hinweg. Sie will sich nach der langen Rede mit einer leckeren Maus stärken.

      »Ich glaube, Minerva wird langsam gaga. Wie soll denn das zu schaffen sein?«, krächzt Röiven ungläubig.

      »Das habe ich gehört!«, ist aus der Ferne noch zu hören.

      »Ja, wie?«, überlegt der Junge. »Können wir vielleicht zuerst zurück in mein Zimmer? Ich glaube, ich könnte noch etwas Schlaf vertragen. Und du sicher auch, mit deiner Verletzung. Nach einem guten Frühstück schmieden wir dann einen Plan.«

      »Wenn du meinst? Hunger hätte ich wohl …«, und schon krächzt der schwarze Vogel: »Portaro!«

      Der Berghang und die Eiche beginnen sich zu verwischen. Es flimmert kurz.

      Als das Gleißen aufhört, liegt Raban mit geschlossenen Augen in seinem weichen Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen.

      Der Kolkrabe hockt wieder auf dem Tischchen neben dem Bett. Er hält seinen Kopf leicht schräg und sieht die Schuhe des Jungen unter der Decke hervorschauen.

      »Da ist ja wieder etwas schiefgegangen«, denkt er und gibt einige, knarzende Laute von sich.

      Danach sieht er zufrieden zum Bett hinüber, vor dem nun die Schuhe auf dem Boden stehen. Hose und Shirt liegen ordentlich gefaltet auf dem Stuhl.

      »Was für eine Nacht«, denkt der Vogel noch, dann schließt auch er die Augen und schlummert ein.

      Erschrocken öffnet Raban die Augen. Hat er geträumt? Schnell richtet er sich auf und blickt zum Tischchen. Den schwarzen Vogel mit dem weißen Schulterverband gibt es also wirklich.

      »Das war aber sicher geträumt. Gespräche mit Eulen und Raben gibt es ebenso wenig, wie Zauberer und Reisen mit Magie!«, grübelt er verwirrt.

      »Das gibt es, so wahr ich hier hocke und auf dein Erwachen warte«, holt ihn die knarzige Stimme in die Wirklichkeit zurück.

      »Aber … was bedeutet das? Warum kann ich dich verstehen? Offenbar habe ich auch die Eule verstanden. Wie ist das möglich?«

      In diesem Moment hört Raban eine Stimme von unten. Seine Mutter Ciana ruft die Treppe hinauf:

      »Hör auf, dich mit dem Vogel zu unterhalten. Der versteht dich nicht. Komm lieber herunter, wenn du etwas frühstücken möchtest. Das Essen wartet nicht länger. Ich räume gleich ab.«

      Hastig springt Raban aus dem Bett, zieht sich an und sprintet kurz ins Badezimmer.