Norbert Wibben

Raban und Röiven Eine magische Freundschaft


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dass so etwas passieren kann.«

      »Wir wissen, warum das passiert ist!«, knarzt es in seinem Kopf. Er dreht sich zum Kolkraben und sieht ein unheilvolles Glimmen in dessen Augen. Wenn Baran jetzt in der Nähe wäre, würde er sicher nicht mehr lange Unheil verbreiten können.

      Raban schaut zu seinen Eltern.

      »Ich gehe jetzt nach oben und bereite meine Reise vor. Das Ein-Mann-Zelt werde ich mitnehmen, falls es doch mal regnet und ich keine Scheune zum Übernachten finde.«

      Entschlossen eilt er die Treppe hinauf.

      Der Rucksack ist schnell gepackt und die Wanderschuhe stehen bereit. Raban freut sich auf die bevorstehende Reise. Er hat nur ein etwas mulmiges Gefühl im Bauch, wenn er an eine mögliche Auseinandersetzung mit Baran denkt. Aber er vertraut Minerva. Sie hat Röivens Zauberkräfte größer als die des bösen Zauberers bewertet. Was soll da schon passieren? Er muss nur immer in der Nähe des Kolkraben bleiben. Das sollte sicher nicht schwer sein. Andere mögliche Gefahren kann er nicht sehen, also verursachen sie ihm noch keine Unruhe. In der Nacht schläft Raban tief und fest.

      Er hat sich einen Wecker gestellt. Als der Morgen dämmert, schrillt es laut in seinem Zimmer.

      »Wer greift an. Zauberei? Wo sind …«, erschrocken flattert der Rabe mit seinem linken Flügel. Das Gleichgewicht kann er so nicht mehr halten und schon ist er auf seine rechte Seite gekippt. »Au, das tut doch weh!«, krächzt er vorwurfsvoll.

      »Was?« Der Junge stellt mit einer geübten Handbewegung den Wecker ab und reibt sich die Augen. »Oh, entschuldige. Das ist kein Angriff. Ich habe mich nur damit«, dabei zeigt er auf eine kupferfarbene, runde Uhr, »wecken lassen. Ich will mich von Vater verabschieden, bevor er zur Arbeit muss. Ich werde heute das Frühstück vorbereiten. Danach essen wir gemeinsam und anschließend geht unsere Reise los.« Der Vogel versucht unbeholfen, sich aufzurichten. Immer wieder misslingt es.

      »Dämlicher Verband«, schimpft Röiven. »Der ist nicht gut für mich, gar nicht gut!« Er zupft mit dem Schnabel daran herum und versucht ihn zu entfernen.

      »Doch, ist er wohl! Du musst deinen Flügel noch mindestens zwei Tage schonen. Der Wickel bleibt, wo er ist.« Rabans Stimme ist energisch. Vorsichtig hilft er dem Vogel auf, der sofort sein Gefieder richtet.

      »Das ist noch einmal gut gegangen. Keine Feder ist beschädigt. Ich hätte dich in … Nein, ich hätte dich natürlich nicht verzaubert. So etwas ist strengstens untersagt.«

      Falls das überhaupt möglich ist, meint Raban ein Grinsen im Gesicht des Kolkraben zu erkennen.

      Der Morgen verläuft anschließend wie von Raban geplant. Nach dem Frühstück verabschiedet er sich von seinen Eltern. Die üblichen Ermahnungen dauern heute lange, also sollte er jetzt für alle möglichen Vorkommnisse bestens gerüstet sein. Die Mutter trägt ihm Grüße für den Großvater auf, ihren Vater. Als Rabans Vater dann doch zur Arbeit muss, ist es auch für den Jungen soweit. Er wandert durch den Birkenweg in Richtung Norden los.

      »Machen deine Eltern immer so ein großes Ereignis aus einer Verabschiedung?«, staunt Röiven. »Bei uns Fithich ist das anders. Wir trauen unseren Kindern zu, sich in der Welt alleine zurechtzufinden. Alles, was wir ihnen nicht im Nest und eine kurze Zeit danach, beibringen können, lernen sie am besten durch Ausprobieren. Eigene Erfahrungen sind für uns sehr wichtig. Das fängt bereits damit an …«

      Hier wird er unterbrochen:

      »Kann es sein, dass du etwas voreingenommen bist? Ich versuche zu entscheiden, zu welchem Ort wir zuerst sollten, aber du plapperst und plapperst. Du scheinst gerne zu reden, aber ich kann mich dabei nicht konzentrieren.«

      »Pfff«, meint der Junge zu vernehmen.

      »Meine Eltern sind sehr vorsichtig, darum bekomme ich all diese Ratschläge. Sie meinen es nur gut, auch wenn es mich etwas nervt. Besonders dann, wenn andere das mitbekommen«, grinst er, um den Vorwurf an den Kolkraben etwas abzumildern.

      Da dieser jetzt längere Zeit schweigt, ist Raban doch besorgt.

      »Habe ich dich verärgert? Ich wollte dich nicht beleidigen! Verzeihst du mir die Worte?«

      »Pff.«

      »Ich meine die Entschuldigung ernst.«

      »Pf… Na gut. Ich nehme die Entschuldigung an. Du hast aber Recht, ich rede wirklich gerne. Das liegt an meiner schweren Kindheit. Verdrehst du jetzt deine Augen?«, krächzt eine schon wieder beleidigte Stimme.

      »Nein, ich kenne deine Kindheit nicht. Darum kann ich sie nicht bewerten. Erzählst du sie mir?«

      Stille. Keine Antwort.

      »Bitte, ich möchte das hören«, fordert der Junge den Vogel auf.

      »Wenn du das wirklich möchtest?« Nach einer längeren Pause beginnt er leise und langsam: »Ich sollte das älteste von vier Kindern werden. Jedenfalls war das die Absicht meiner Eltern. Meinen Vater habe ich nicht kennengelernt. Er wurde von Menschen getötet.«

      Erschrocken unterbricht Raban ihn: »Das tut mir wirklich sehr leid.« Vorsichtig streicht er über den Kopf des Vogels.

      Nach einem leisen Seufzer fährt dieser fort:

      »Meine Mutter hatte nach unserem Ausbrüten viel mit uns Kindern zu tun. Sie schaffte es aber nicht, mich und meine Geschwister großzuziehen. Sie mühte sich sehr ab und war von morgens bis spät in der Nacht unterwegs. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass die beiden Jüngsten noch vor ihrem ersten Federwechsel starben. Mein Bruder verunglückte später bei seinem ersten Flug. Sein Gefieder war noch nicht ausreichend ausgebildet. Er stürzte ab und krachte auf den harten Boden. Das war sehr schlimm.« Er macht eine Pause, dann fährt er etwas kräftiger fort: »Meine Mutter brachte mir nachts die ersten Zauber bei, damit meine Chancen besser sein würden, in der Zukunft zu überleben. Sie verausgabte sich durch die notwendige Nahrungsbeschaffung und die nächtlichen Unterweisungen aber zu sehr. Eines Tages erspähte sie ein totes Kaninchen. Das hätte für den ganzen Tag gereicht. Als sie sich bereits dem toten Tier näherte, kam es zu einer Auseinandersetzung mit einer Elster, die ebenfalls die Nahrung haben wollte. Sehr schnell kamen vier weitere dazu. Verfluchtes Pack. Elendes Gesindel. Gegen eine hätte Mutter nie verloren, aber so? Sie hat unzählige Schnabelhiebe abbekommen und Federn verloren. Ein paar Mal fuhren die Krallen dieser unehrenhaften Lumpen sogar in ihren Körper. Saubande! Sie schaffte es noch bis zum Nest. In der Nacht starb sie, nachdem sie mir ihr ganzes Wissen über Zauber übertragen hatte.«

      Raban wagt die eingetretene Stille nicht zu unterbrechen, er streicht dem schwarzen Vogel aber fortwährend über das Gefieder. Nach langer Zeit räuspert sich der Rabe.

      »Ich konnte damals schon etwas fliegen, auch wenn die Strecken noch nicht besonders groß waren. Meine Jugend verlief damit, Futter zu bekommen und meine Magie zu üben. Ich schloss mich keinem Trupp anderer Raben an. Sie hätten meine Zauberei bemerken können. Einige Angriffe von Krähen, die immer in großer Zahl gemeinsam vorgehen, konnte ich durch meine Zauberei abwehren. Sie meinten, einen großen Verband junger Raben vor sich zu haben. Also drehten sie ab und verschwanden.«

      »Röiven, deine Kindheit und Jugend waren wirklich schlimm. Die Einsamkeit muss unerträglich gewesen sein. Redest du darum so gerne, um dich von Gedanken an deine Familie abzulenken?«

      »Das mag schon sein, aber ich hatte eigentlich auch noch nie viele … Na ja, genau genommen nicht einmal einen Freund.«

      »Verzeih mir bitte meine Worte von vorhin. Ich war dumm!«

      »An die von dir genannten Worte kann ich mich nicht erinnern. Hattest du etwas Böses gesagt?«

      »Jetzt ist das aber ein Grinsen, was ich sehe«, denkt der Junge.

      »Ja.