auch bei seinen Kollegen als Einzelgänger ohne Freunde und ohne Feinde, wie die Befragten sagen.«
»Weder Freund noch Feind, hm«, dachte Hellhausen laut nach.
»Dann haben wir noch eine ganz interessante Spur. Neumann war offensichtlich mal ein Kollege von uns, Polizist. In der DDR. Wir haben am Tatort seine Dienstmarke gefunden. Sofern es sich bei der Marke um keine Fälschung handelt, arbeitete Neumann in Dresden für das K1. Das Dezernat war bekannt für delikate Einsatzgebiete, wie wir mittlerweile wissen. Republikflüchtlinge, politische Gegner und so weiter. Vielleicht ein Rachedelikt mit Bezug zu seiner DDR-Vergangenheit? Auf jeden Fall war bei der Ermordung des Mannes eine Menge Hass im Spiel«, fasste Hansen zusammen.
»Ein Motiv, das so weit zurückreichen könnte? Interessanter Ansatz. Wie wollt ihr weiter vorgehen?«
»Da uns die Kollegen in Dresden keine Akten von Herbert Neumann zur Verfügung stellen konnten, hat Stefan Kontakt zur Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen aufgenommen.«
»Da bin ich ja mal gespannt, ob der Mann in den Dokumenten auftaucht. Schließlich hat man kurz nach der Wende versucht, alles, was die DDR in schlechtem Licht dastehen lassen konnte, zu vernichten«, stellte der Kriminalrat fest.
»Wir werden sehen. Man bekommt langsam das Gefühl, dass sich Aachen zum Paradies für Mörder entwickelt. So viele Tötungsdelikte in letzter Zeit«, sagte Hansen und ließ einen Seufzer folgen.
»Das wollen wir doch nicht hoffen, Karl. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Ich habe gleich einen Termin.«
»Ein galanter Rausschmiss«, erwiderte er mit einem schiefen Grinsen und verließ das Büro des Kriminalrates. Auf dem Weg in sein Büro traf der Hauptkommissar auf seinen Kollegen Riedmann.
»Gibt es schon was Neues?«, fragte Hansen beiläufig.
»Nihil novi sub sole, leider nein«, antwortete sein Partner. »Bei dir?«
»Ebenfalls Fehlanzeige, du alter Lateiner! Ich war gerade bei Cäsar, äh Hellhausen, und habe ihm erzählt, was wir bislang herausgefunden haben.«
»Das wird ja ein kurzes Gespräch gewesen sein«, scherzte Riedmann.
»War es auch. Lass mich wissen, wenn dir die Informationen von der BStU vorliegen.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sich Hansen um und ging zu seinem Büro. Noch bevor er die Tür öffnete, machte er kehrt in Richtung Kantine. Er hatte jetzt Lust auf einen Kaffee. Dort gab es wenigstens einen frisch aufgesetzten. Die Brühe aus dem Automaten mochte er gar nicht und trank sie nur, wenn er keine Zeit hatte, extra in die Kantine zu laufen. Wieder im Büro beschloss er, erst einmal im Internet die neusten Zeitungsartikel zur Ermordung von Herbert Neumann zu studieren. Dabei stellte er zufrieden fest, dass die Reporter mehr oder weniger die offizielle Version der Polizeipressestelle übernommen hatten, und zwar ohne weitere Spekulationen anzustellen. Schließlich begann er, seinen Tagesbericht vom Vortag zu schreiben. Er hasste diesen Teil seiner Arbeit. Hansen fasste die Ereignisse des Vortages anhand der Notizen, die er gemacht hatte, zusammen und listete die Namen und Adressen der Zeugen auf, die er gemeinsam mit Riedmann befragt hatte. Als er mit dem Bericht fertig war, fiel ihm ein, dass er umgehend noch etwas mit Laura Decker klären musste. Hansen wählte ihre Nummer und hatte die Kollegin direkt am Telefon.
»Hallo, Laura. Mir ist da etwas eingefallen, als ich den Tagesbericht geschrieben habe«, sagte Hansen.
»Ist das also doch für was gut?«, fragte Decker gewohnt flapsig zurück.
»Seid ihr euch eigentlich wirklich sicher, dass der Täter das Haus durch die Terrassentür in der Küche betreten hat? Wäre es nicht möglich, dass Neumann seinen Mörder selbst ins Haus gelassen hat? Soweit ich mich erinnere, war die Tür doch durch ein Sicherheitsschloss gesichert. Und eine Alarmanlage gab es auch.«
»Gut beobachtet, Karl. Aber wir haben keine Zweifel daran, dass sich der Täter mit einem speziellen Werkzeug, wie es auch Schlüsseldienste verwenden, Zutritt verschafft hat. Aber um das vorwegzunehmen, solche Tools, sogenannte Lock Pick Guns, kann sich heute jedes Kind im Internet bestellen. Ich befürchte, dass uns die Suche nach der Herkunft dieses Werkzeuges nicht sonderlich weiterbringt. Trotzdem sollten wir es natürlich versuchen. Das steht übrigens auch in meinem Bericht, den ich dir eben gemailt habe«, erklärte die KTU-Chefin.
»Den habe ich noch nicht gelesen. Ich war bis gerade mit meinem eigenen Bericht beschäftigt. Und was ist mit der Alarmanlage? War sie ausgeschaltet?«
»Das ist in der Tat eine gute Frage. Ich habe dazu bereits einen Bekannten von der RWTH konsultiert und er kam zu dem Schluss, dass die Anlage zwar eingeschaltet war, sie aber manipuliert wurde.«
»So etwas geht?«
»Wenn du das entsprechende Wissen hast, ja. Bei der Alarmanlage in Neumanns Haus handelt es sich um ein veraltetes System. Mein Bekannter vermutet, dass der Täter einen Störsender verwendet hat. Jammer nennt man die auch in Fachkreisen. Ebenfalls sehr beliebt bei Autodieben, die es auf Luxusautos abgesehen haben. Jedenfalls müssen wir uns das so vorstellen, dass mit einem solchen Gerät die Funkschärfungs- und Unschärfungsbefehle der Funkhandsender der Alarmanlage aufgezeichnet werden. Der Täter muss dieses Signal also irgendwann einmal aufgenommen haben, und zwar in dem Moment, als Neumann die Anlage mittels seiner Fernbedienung aktiviert hat. Der übermittelte Code ist nämlich immer derselbe. Vor dem Einbruch wird die Aufnahme mit dem Jammer abgespielt und schon ist das Sicherheitssystem abgeschaltet. Neue Anlagen verwenden verschiedene Codes. Beim Abspielen der aufgezeichneten Aufnahme stellt das System fest, dass der Code schon einmal verwendet wurde, und löst den Alarm aus. Was bei Neumann nicht der Fall war, weil die Anlage veraltet ist.«
»Also verfügt Neumanns Mörder über ein gewisses Maß an technischem Verständnis und weiß dieses auch anzuwenden«, stellte Hansen fest. »Diese Jammer sind wahrscheinlich der Verkaufsschlager im Internet beziehungsweise Darknet, oder?«
»So ungefähr. Dennoch könnte man da mal ansetzen und Firmen aufsuchen, die Sicherheitstechnik verkaufen. Sie besitzen zu Demonstrationszwecken auf jeden Fall solche Geräte. Diese Spur ist aus meiner Sicht vielversprechender als die Suche nach der Herkunft der verwendeten Lock Pick Gun zum Öffnen der Terrassentür. Das könnt ihr ja übernehmen. Wir versuchen bereits, von den Internetanbietern des Jammers eine Auflistung aller Käufer zu bekommen. Sie sind nicht gerade erpicht darauf, uns zu helfen«, meinte Decker.
»Das ist doch schon mal ein vielversprechender Anfang. Vielen Dank, Laura.«
»Adieda, Karl.«
»Bis bald«, erwiderte er und legte auf.
Kapitel 8
Hansen hatte den Telefonhörer noch nicht ganz aufgelegt, als es an der Tür klopfte und die Kollegen Beck, Marquardt und Riedmann das Büro betraten.
»Wir haben wie gewünscht den Backgroundcheck von Neumann gemacht. Damit ich nicht alles zweimal erzählen muss, haben wir Stefan gebeten dazuzukommen«, erklärte Beck.
»Also gut, setzt euch. Dann lass mal hören, Markus«, erwiderte Hansen.
»Ich hoffe, du hast dir davon nicht zu viel versprochen. Wir haben nämlich nichts Auffälliges gefunden, wenn ich das vorwegnehmen darf. Aber der Reihe nach. Neumann hatte keine Schulden. Im Gegenteil, er hatte knapp zwanzigtausend Euro auf dem Sparbuch. Verdächtige Ein- oder Auszahlungen gab es keine. Darüber hinaus besaß er eine kleine Münzsammlung. Ein paar Gold- und Silbermünzen. Wenn wir die aktuellen Kurswerte zugrunde legen, hatte die Sammlung einen Wert von knapp fünftausend Euro. Ansonsten hatte er keine Hobbys. Neumann ging auch nicht großartig aus. Hin und wieder ist er allerdings zum Fußball gegangen. Wir haben ein paar Eintrittskarten vom Tivoli gefunden. Alles Spiele der Alemannia gegen Clubs aus dem Osten der Republik. Aber auch das ist schon eine Weile her, so lange wie die Kartoffelkäfer bereits in der vierten Liga spielen«, erklärte Beck, und als bekennender Alemannia-Fan klang ein wenig Wehmut in seiner Stimme. »Der Mann lebte ein durch und durch normales, langweiliges Leben hier in Aachen.«
»Wann ist er eigentlich von Dresden