Frank Esser

Der Racheengel - Ein Aachen Krimi


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Hansen es ungewöhnlich, dass es keine Fotos in der Wohnung gab. Er holte seinen Notizblock aus seiner Jackentasche. Er blätterte die Seiten bis zu der Stelle, wo er die ersten Einträge über Körlings niedergeschrieben hatte.

       Die von ihm Befragten hatten übereinstimmend ausgesagt, dass Hans-Josef Körlings sehr zurückgezogen gelebt habe. Fast alle hatten angegeben, dass der Ermordete ein sympathischer Zeitgenosse gewesen sei, stets bescheiden und hilfsbereit. Während Hansen weitere Notizen überflog, fiel ihm ein anderer Eintrag im Zusammenhang mit Körlings auf. Mehrere Befragte hatten ausgesagt, dass der Unternehmer eine Zeit lang in Begleitung einer jungen, gut aussehenden Frau gesehen wurde. Juliette Vermaelen war der Name dieser Frau. Allerdings hatten sie festgestellt, dass keine Person mit diesem Namen in Aachen oder der näheren Umgebung gemeldet war. Auch eine bundesweite Überprüfung hatte zu keinem Ergebnis geführt. Die Frauen mit gleichem Namen waren schlichtweg zu alt gewesen, um als die entsprechende Frau infrage zu kommen. Und da sie auch in Körlings´ Wohnung keine Hinweise auf die Frau gefunden hatten, wurde die Spur nicht weiter verfolgt. Aber während Hansen darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, diesem Hinweis nicht weiter nachgegangen zu sein. War es möglich, dass Juliette Vermaelen einen falschen Namen in Gegenwart von Körlings Bekannten benutzt hat? Bliebe die Frage, warum sie das getan haben könnte? Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Frau für einen Escortservice arbeitete. Jedenfalls wollte er der Sache noch einmal nachgehen.

       Vielleicht war es sogar sinnvoll, ein Phantombild von der Unbekannten erstellen zu lassen, um dies in der Presse zu veröffentlichen.

       Als Nächstes durchsuchte Hansen die Schränke im Wohn- und anschließend im Schlafzimmer. Aber auch hier konnte er nichts entdecken, was sein Interesse geweckt hätte. Er schaute auf seine Armbanduhr. Jetzt durchsuchte er bereits seit fast einer Stunde die privaten Sachen des zweiten Opfers. Aber im Grunde war bei seiner Suche nichts herausgekommen. Hansen war frustriert. Er fasste den Entschluss die Suche abzubrechen, versah die Wohnungstür mit einem neuen Polizeisiegel und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.

      Kapitel 6

       Als Nächstes suchte Hansen Christoph Maas, einen langjährigen Freund von Körlings auf. Maas hatte Körlings seit der Schulzeit gekannt. Sie hatten die ganze Zeit über Kontakt gehalten und waren regelmäßig gemeinsam Tennis spielen gegangen.

       Die erste Befragung von Christoph Maas hatte damals Riedmann vorgenommen. So ungewöhnlich diese Vorgehensweise war, Hansen musste da noch einmal nachhaken. Leider teilte ihm die Sekretärin von Maas bei seinem Anruf mit, dass er diese Woche Urlaub habe. Also wählte Hansen die Nummer der Telefonauskunft, um sich mit dem privaten Anschluss der Familie verbinden zu lassen. Schon nach dem dritten Klingeln hatte Maas das Gespräch entgegengenommen und einem Treffen in einer halben Stunde zugestimmt. So lange brauchte Hansen aber auch, um nach Roetgen in der Eifel zu fahren, wie ihm sein Navigationsgerät, ohne das er hilflos verloren war, mitteilte. Nach gut fünfundzwanzig Minuten hatte Hansen sein Ziel in der Eifel erreicht. Nachdem er an der Haustür des Bungalows geklingelt hatte, wurde ihm von einem attraktiven gepflegten Mann mittleren Alters die Tür geöffnet.

       »Kommissar Hansen nehme ich an?«, wurde der Hauptkommissar freundlich begrüßt.

       Hansen nickte und zeigte seinen Dienstausweis.

       »Ich muss zugeben, dass mich Ihr Anruf einigermaßen überrascht hat. Ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen könnte, was ich nicht schon Ihrem Kollegen berichtet habe«, meinte Maas. »Aber kommen Sie doch bitte erst mal herein, Herr Kommissar. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee oder Tee vielleicht? Ich war so frei und habe schon einmal etwas vorbereitet.«

       Hansen fiel sofort auf, dass das Haus der Familie Maas ebenso geschmackvoll eingerichtet war wie das Penthouse von Körlings. Wenn er sich richtig erinnerte, arbeitete Maas in leitender Funktion bei der Sparkasse.

       »Ich würde gerne einen Kaffee nehmen, wenn Sie sich schon die Mühe gemacht haben«, antwortete Hansen freundlich.

       »Sie haben außerordentliches Glück gehabt, dass Sie mich überhaupt noch hier angetroffen haben«, meinte Christoph Maas, während er Hansen eine Tasse Kaffee einschenkte. »Ich habe mir nämlich ein paar Tage freigenommen und wollte mich gerade auf den Weg zu meiner Familie machen. Hat Ihr Besuch vielleicht mit dem neuen Opfer des Racheengels zu tun? Eine furchtbare Sache! Sind Sie denn schon mit Ihren Nachforschungen weitergekommen?«, fragte Maas interessiert.

       »Darüber darf ich Ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen keine Auskunft geben. Aber es ist so, dass wir eine wichtige Spur verfolgen«, log Hansen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gerne noch einmal einige Fragen bezüglich Herrn Körlings stellen.« Hier machte er eine kleine Pause und blickte Maas in die Augen. »Wie lange und vor allem wie gut haben Sie ihn gekannt?«

       »Hans-Josef und ich kannten uns seit unserer Schulzeit auf dem Goethe-Gymnasium in Aachen. Im Laufe der Zeit wurden wir beste Freunde. Wir haben später sogar die gleichen Studiengänge belegt. Aber mit der Zeit haben wir uns etwas entzweit.«

       »Könnten Sie das bitte etwas konkretisieren?« bohrte Hansen nach, obwohl er die Antwort wahrscheinlich schon aus dem Ermittlungsprotokoll kannte.

       »Es begann schon kurz nach Beendigung unseres Studiums«, setzte Maas seine Ausführungen fort. HaJo, wie seine Freunde ihn nannten, bekam das Angebot ins Ausland zu gehen, um einen Job in den USA zu übernehmen. Da ich glücklicherweise direkt nach dem Studium eine Anstellung in Aachen gefunden habe, haben sich in der Folgezeit unsere Kontakte doch erheblich minimiert. Hin und wieder haben wir telefoniert. Aber das wurde mit der Zeit dann auch immer seltener. Wenn HaJo dann in Deutschland zu Besuch war, haben wir uns auch getroffen, aber ich hatte immer mehr den Eindruck, dass wir schon lange nicht mehr auf einer Wellenlänge lagen. Er hatte sich verändert.«

       »Und wann ist Herr Körlings dann wieder nach Aachen zurückgekehrt?«

       »Das muss etwa vor neun Jahren gewesen sein. HaJo hat mich eines Abends völlig überraschend angerufen und mir erzählt, dass er seine Stellung in den USA gekündigt hat und wieder in Aachen lebt. Er berichtete mir von seinen Plänen eine eigene Firma zu gründen, die Autozubehörteile herstellen und vertreiben sollte. Hans-Josef hatte wohl in den USA gute Kontakte in der Automobilbranche geknüpft und wollte sich hier in Deutschland eine Firma aufbauen, die sich mit der Produktion spezieller Zulieferteile befasste. Da er wusste, dass ich im Vorstand der Sparkasse sitze, erhoffte er sich meine Unterstützung bei der Finanzierung. Die Bewilligung des Kreditvolumens erfolgte natürlich nicht aufgrund unserer langjährigen Bekanntschaft. Nicht dass Sie da einen falschen Zusammenhang herstellen«, lächelte Maas. »Sein Konzept hatte einfach Hand und Fuß und der finanzielle Erfolg, der sich ziemlich bald eingestellt hatte, gab uns ja auch letztlich recht.«

       »Und wie würden Sie Ihre Beziehung in den letzten Jahren beschreiben? Haben Sie die alte Freundschaft wieder aufgefrischt?«

       »Von einer engen Beziehung konnte nicht die Rede sein«, erwiderte Maas. »Wir haben uns hin und wieder bei seinen Wohltätigkeitsveranstaltungen getroffen und sind alle paar Wochen Tennis spielen gegangen. Aber von Freundschaft im eigentlichen Sinne würde ich nicht sprechen. Vielleicht fehlte uns für eine intensive Freundschaft auch letztlich die Zeit. Wir beide sind, pardon, waren beruflich sehr eingespannt. Die wenige Freizeit, die mir bleibt, verbringe ich am liebsten mit meiner Frau und unseren beiden Kindern.«

       »Sie haben meinem Kollegen bei der ersten Befragung von einer jungen Frau erzählt. Juliette Vermaelen. Können Sie mir vielleicht etwas über die junge Frau erzählen?«