habe«, schüttelte Maas den Kopf. »Ich kannte sie ja kaum. Wenn es nicht so ungewöhnlich gewesen wäre, Hans-Josef überhaupt in Begleitung einer Frau zu sehen, dazu noch einer so jungen und gut aussehenden, hätte ich das gar nicht erst erwähnt.
HaJo war im Grunde ein überzeugter Junggeselle. Das hing mit einer alten Geschichte zusammen, die er mir einmal erzählt hat. Er wollte vor Jahren eine Frau namens Susan heiraten. Aber es war wie in einem schlechten Hollywoodfilm: Sie hat ihn, noch bevor sie ihm das Jawort gegeben hat, einfach in der Kirche stehen lassen und ist abgehauen. Das hat ihn wohl so verletzt, dass er sich geschworen hatte, nie mehr einer Frau sein Vertrauen zu schenken. Er hatte zwar hin und wieder eine Affäre, aber nie eine feste Beziehung. Umso überraschender, dass er uns damals Juliette vorgestellt hat. Aber ich habe kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Deshalb kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen.«
»Halten Sie es für denkbar, dass es sich um eine Dame von einem Escortservice gehandelt hat?«
»Das ist interessant, dass Sie das ansprechen«, erwiderte Maas. »Ein Bekannter von mir hat damals genau das Gleiche gemutmaßt.«
Maas zuckte mit den Schultern. »Aber ich persönlich glaube das nicht. Das war nicht HaJos Stil. Außerdem habe ich die beiden bestimmt noch zwei Mal zusammen gesehen.«
»Man kann sich auch mehrmals mit einer Frau eines Escortservices verabreden«, überlegte Hansen laut. »Körlings hätte Ihnen doch sicherlich erzählt, wenn die junge Frau seine Freundin gewesen wäre? Immerhin kannten Sie sich schon so viele Jahre.«
»Ich sehe schon, Sie lassen nicht locker. Ihr Kollege war diesbezüglich nicht so hartnäckig. Aber wenn Sie mich schon fragen, wäre es auch möglich, dass HaJo sich bezüglich dieser Frau einfach nicht sicher war und es deshalb vermieden hat, mir oder anderen mehr über sie zu erzählen. HaJo war nach der Erfahrung mit Susan Frauen gegenüber grundsätzlich misstrauisch.« Maas sah ihn fast schon entschuldigend an.
»Würden Sie noch einmal kurz über den Abend nachdenken, als Sie Juliette Vermaelen kennengelernt haben. Was fällt Ihnen da spontan ein?« Hansen versuchte es ein letztes Mal.
»Also gut«, seufzte Christoph Maas und dachte einen Moment nach, bevor er antwortete. »Um es mit wenigen Worten noch einmal zusammenzufassen: Juliette war sehr jung, vielleicht Anfang zwanzig und hatte ein hübsches Gesicht. Zart, kindlich, mit großen braunen Augen. Sie war nicht sehr gesprächig, ganz im Gegenteil. Ich hatte den Eindruck, dass sie darauf bedacht war, so wenig Konversation wie nur möglich zu führen.«
»Wir würden gerne mit Ihrer Hilfe ein Phantombild von Juliette Vermaelen erstellen, das wir in der Presse veröffentlichen wollen. Wäre es Ihnen möglich, aufs Präsidium zu kommen, um bei der Erstellung des Bildes zu helfen?«
»Wenn wir das auf Anfang nächster Woche verschieben könnten, sicherlich gerne. Wie schon erwähnt, wollte ich eigentlich gerade aufbrechen. Meine Frau und meine Kinder sind in einer Pension im Hohen Venn, und ich würde sie dort gerne mit meinem Besuch überraschen, Herr Kommissar.«
Hansen überlegte kurz, ob er sich den Luxus erlauben konnte, die Erstellung des Phantombilds aufzuschieben.
»Ich weiß, dass das jetzt sehr ungelegen für Sie kommt. Aber es wäre wirklich sehr wichtig, wenn wir das heute noch erledigen könnten, Herr Maas. Es geht hier um Menschenleben. Wenn wir das gleich erledigen, wären Sie schon heute Nachmittag bei Ihrer Familie.«
»Ich fürchte, ich werde einem Kriminalhauptkommissar diesen Wunsch nicht abschlagen können«, erwiderte Maas zerknirscht.
»Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen. Erlauben Sie mir bitte noch eine abschließende Frage. Sie haben doch sicherlich auch darüber nachgedacht, wer Hans-Josef Körlings umgebracht haben könnte? Ist Ihnen da in der Zwischenzeit irgendjemand eingefallen?«
»Da muss ich leider passen. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Von den Personen, die mir aus seinem Umfeld bekannt sind, ist meiner Meinung nach niemand zu solch einer Tat fähig. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er solche Feinde hatte. Neider sicherlich, aber Feinde? Aber wie ich schon sagte, so eng war der Kontakt letztlich nicht, um das wirklich beurteilen zu können.«
»Das ist sehr schade, aber nicht zu ändern. Dann fahren wir jetzt los!«
»Wenn es Ihnen recht ist, würde ich lieber mit meinem eigenen Wagen fahren, um dann ins Hohe Venn zu fahren.«
»Selbstverständlich. Die Adresse haben Sie?«, fragte Hansen, der, ohne eine Antwort abzuwarten, seine Visitenkarte auf den Tisch legte.
»Ich weiß, wo das ist. Ich fahre los, sobald ich hier fertig bin.«
»Bis gleich im Präsidium«, erwiderte Hansen und verließ das Haus.
Nach dem Gespräch mit Christoph Maas fühlte sich Hansen bestärkt, die Suche nach Juliette Vermaelen zu intensivieren. Dabei vertraute er mehr seinem Bauchgefühl, als dass er einen konkreten Grund dafür hatte. Neben dem Presseaufruf würde er sein Team darauf ansetzen, um zu klären, ob diese Frau für einen Escortservice arbeitete. Sicherlich eine Aufgabe, die Marquardt begeistern würde.
Während Hansen auf die Landstraße abbog, meldete sich sein Magen. Er hielt am ersten Schnellimbiss hinter dem Ortseingangsschild und bestellte eine Portion Fritten mit Currywurst. Nach dem Essen setzte er seine Fahrt fort.
Gerade als er den Eingang des Präsidiums betrat, klingelte sein Handy.
»Hallo, Herr Kommissar. Hier ist noch mal Christoph Maas. Ich bin gerade auf dem Weg. Mir ist da noch etwas eingefallen, bevor ich es vergesse. Vielleicht ist es ja wichtig.«
»Da bin ich aber gespannt!«
»Sie hat mit einem Akzent gesprochen. Vielleicht belgisch oder französisch. Aber nicht sehr ausgeprägt. Der Nachname klingt ja auch nicht deutsch.«»Das ist in der Tat eine wichtige Information für uns«, erwiderte Hansen. Plötzlich ärgerte er sich, dass sie nicht selbst daran gedacht hatten, dass Juliette Vermaelen aus der Grenzregion stammen könnte. Schließlich lebten sie im Dreiländereck. Belgien und die Niederlande waren direkt um die Ecke. Dass sie erst dieser Sparkassenleiter darauf aufmerksam machen musste!
»Danke für den Hinweis, wenn Sie nachher im Präsidium ankommen, melden Sie sich doch bitte an der Information. Der Kollege weiß Bescheid und wird Sie gleich an den Erkennungsdienst verweisen.«
Hansen hatte gerade aufgelegt und die Jacke ausgezogen, als das Telefon erneut klingelte. Diesmal sein Büroanschluss. Riedmann.
»Hallo Karl. Ich bin noch an der Uni. Ich habe gerade mit einigen Studenten aus Kämpers Semester gesprochen. Ich denke, dass ich einen brauchbaren Hinweis bekommen habe. Wenn da etwas dran sein sollte, hat Kämper wohl doch nicht so eine weiße Weste, wie wir bisher gedacht haben.«
»Da bin ich aber gespannt«, unterbrach der Kommissar seinen Kollegen und fragte sich kurz, ob er diesen Satz heute zum zweiten Mal aussprach. »Also, raus mit der Sprache!«
»Du kannst dich ja sicherlich daran erinnern, dass wir uns gewundert haben, wie er sich diese teure Wohnung leisten konnte? Wir haben uns das damit erklärt, dass er diverse Nebenjobs hatte und von seinen Eltern finanziell unterstützt wurde. Aber unter Umständen hatte er auch weniger legale Nebeneinkünfte.«
»Wie meinst du das?«