Emile Zola

Nana


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dem alten viereckigen Lehnstuhl aus hartem Holz und rauhem Stoff, in dem die Mutter des Grafen gestorben war, ruhte die Gräfin Sabine in einem tiefen Sessel, dessen rotseidene Polsterung weich und elastisch wie Eiderdaunen war. Es war das einzige neumodische Möbel, das wie ein Phantasiestück inmitten dieser starren Strenge erschien und sehr von allem anderen abstach.

      »Sind Sie unwohl, meine Liebe?« fragte Madame Chantereau, die Frau eines Hüttenwerksbesitzers, da sie die Gräfin leicht zittern und erblassen sah.

      »O nein, nicht im geringsten«, gab diese lächelnd zur Antwort.

      »Es ist mir nur ein wenig zu kalt … Der Salon ist zu groß, um gut durchgeheizt werden zu können.«

      Sie schaute mit ihrem finsteren Blick die hohen Wände bis zum Plafond hinauf. Estelle, ihre Tochter, ein junges Ding von sechzehn Jahren, im Backfischalter, von magerer und unscheinbarer Figur, erhob sich von dem Taburett, auf dem sie gesessen hatte, und schob schweigend eines der Scheite ins Feuer zurück, das zur Seite gerollt war. Aber Madame de Chezelles, eine Freundin Sabines, rief:

      »Ach, was gäbe ich darum, wenn ich einen solchen Saal haben könnte wie du! Du kannst doch wenigstens Besuche empfangen … Heutzutage bekommt man nichts anderes mehr als Schachteln von Sälen gebaut … Oh, wenn ich an deiner Stelle wäre!«

      Sie setzte mit lebhaften Gestikulationen auseinander, daß sie Vorhänge, Polster, alles verändern würde, dann würde sie Bälle geben, zu denen ganz Paris herbeiströmen sollte. Ihr Mann, der hinter ihr stand, eine Magistratsperson, hörte mit ernster Miene zu. Man erzählte sich, daß sie ihn hintergehe, ohne es zu verheimlichen; aber man verzieh ihr, man empfing sie trotzdem, weil sie, wie man sagte, so verdreht war.

      Der Bankier Steiner, der seit kurzer Zeit durch Léonide de Chezelles, die ganz Paris kannte, bei der Familie Muffat eingeführt war, plauderte auf einem zwischen zwei Fenstern stehenden Kanapee; er fragte einen Abgeordneten aus, dem er geschickt Neuigkeiten zu entlocken suchte, die auf eine von ihm vermutete Bewegung an der Börse Bezug hatten, während der Graf Muffat, der vor ihnen stand, schweigend, mit noch strengerem Gesicht, als er es gewöhnlich zeigte, dem Gespräch zuhörte. Vier bis fünf junge Leute bildeten eine zweite Gruppe neben der Tür, wo sie den Grafen Xavier von Vandeuvres umstanden, der ihnen mit halblauter Stimme eine zweifellos sehr schlüpfrige Geschichte erzählte, denn sie erstickten fast vor Lachen. Mitten in dem Gemach, ganz allein für sich, schwerfällig in einen Fauteuil gestreckt, schlief ein dicker, robuster Herr, der im Ministerium des Innern als Bürochef angestellt war, mit offenen Augen. Aber einer der jungen Leute mochte Vandeuvres' Geschichte nicht recht glauben, vorauf dieser laut ausrief:

      »Sie sind zuviel Skeptiker, Foucarmont; Sie verderben ja allen den Spaß!«

      Lachend trat er zu den Damen zurück. Der letzte Sproß eines angesehenen Geschlechtes, weibisch, aber geistreich, brachte er sein Vermögen durch allerlei noble Passionen, denen er leidenschaftlich nachhing, durch. Sein Pferdestall, einer der berühmtesten von ganz Paris, kostete ein rasendes Geld; seine Verluste im »Cercle Imperial« erreichten in jedem Monat eine beängstigend hohe Summe; seine Maitressen verschlangen jahraus, jahrein, mochten die Erträgnisse seiner Besitzungen gut oder schlecht sein, mindestens eines seiner Pachtgüter und ein paar Morgen Land oder Feld dazu und rissen alljährlich einen Fetzen mehr von seinen ungeheuren Besitzungen in der Pikardie ab.

      »Ich rate Ihnen, nicht die anderen für Skeptiker anzusehen, Sie, der Sie an nichts glauben«, sagte Léonide, indem sie ihm ein Plätzchen an ihrer Seite einräumte. »Kein anderer verdirbt Ihnen Ihr Vergnügen, nur Sie selbst tun es.«

      »Ganz recht«, antwortete er. »Ich will indes den anderen die Möglichkeit geben, aus meiner Erfahrung Nutzen zu ziehen.« Man nötigte ihn jedoch zu schweigen, denn Herr Venot nehme Anstoß an seinen Worten. Die Damen rückten zur Seite, und plötzlich erblickte man, tief in einen Sessel gelehnt, einen kleinen Herrn von ungefähr sechzig Jahren mit feinem Lächeln, bei dem er seine häßlichen Zähne zeigte; er hatte sich ungeniert ausgestreckt, als ob er zu Hause wäre, hörte auf jedermanns Worte, sprach aber selbst nie eine Silbe. Mit einer Handbewegung gab er zu verstehen, daß ihm die letzten Worte der Unterhaltung mit den Damen Ärgernis bereitet hätten. Vandeuvres hatte seine vornehme Haltung wieder angenommen und setzte in gewichtigem Tone hinzu:

      »Herr Venot weiß recht gut, daß ich das glaube, was man glauben muß.«

      Es war eine Art Glaubensäußerung, über die selbst Léonide sich befriedigt zeigte.

      Als die Diskussion gerade auf ihrem Höhepunkt angelangt war, öffnete sich die Tür und Hector de la Faloise erschien im Zimmer. Fauchery, der ihm folgte, näherte sich der Gräfin und sagte, sich verneigend: »Madame, ich habe mich Ihrer schätzenswerten Einladung erinnert … «

      Sie lächelte und sprach ein paar liebenswürdige Worte. Der Journalist blieb, nachdem er den Grafen begrüßt hatte, einen Moment stehen, als ob er nicht in diesen Salon gehöre, wo er nur den Bankier Steiner kannte. Vandeuvres, der sich umgedreht hatte, kam ihm entgegen und reichte ihm die Hand. Fauchery, der einerseits über diese Begegnung erfreut war, andererseits von einem Bedürfnis nach Aussprache gedrängt wurde, nahm Vandeuvres sogleich in Beschlag und fragte ihn mit leiser Stimme:

      »Sie sind also morgen dabei?«

      »Ei, das will ich meinen!«

      »Um Mitternacht bei ihr.«

      »Ich weiß, ich weiß … Ich komme mit Blanche.«

      Er wollte entschlüpfen, um wieder zu den Damen zu treten, aber Fauchery hielt ihn zurück.

      »Nie im Leben würden Sie es erraten, mit welcher Einladung man mich betraut hat.«

      Mit einem leichten Kopfnicken wies er auf den Grafen Muffat, der in diesem Augenblick einen Posten des Staatsbudgets mit dem Deputierten und Steiner diskutierte.

      »Nicht möglich!« sagte Vandeuvres, verdutzt und heiter gestimmt zugleich.

      »Mein Wort darauf! Ich habe eidlich versprechen müssen, ihn zu ihr zu führen. Ich komme eigentlich zum Teil aus diesem Grunde her.«

      Sie lachten beide still vor sich hin.

      Unterdessen schaute Faloise, der ein paar rasche, halblaut gewechselte Worte aufgefangen hatte, in Erwartung einer Erklärung auf seinen Vetter Fauchery, der sich indessen nicht dazu bequemte. Von wem sprach man denn? Was hatte man denn morgen um Mitternacht vor? Er ließ seinen Vetter nicht mehr aus den Augen. Dieser suchte soeben nach einem Platz. Die Gräfin Sabine fesselte sein Interesse vor allem. Man hatte ihren Namen oft in seiner Gegenwart ausgesprochen; er wußte, daß sie, seit ihrem siebzehnten Jahr verheiratet, jetzt ungefähr vierunddreißig Jahre zählen mußte und daß sie seit ihrer Verheiratung zwischen Mann und Schwiegermutter ein klösterliches Leben geführt hatte. In den Augen der Welt galt sie den einen als eine fromme, gottergebene Frau, die anderen beklagten sie und erinnerten sich, wie fröhlich und heiter sie gelacht und wie feurig ihre Augen geblitzt hatten, bevor sie in der Tiefe dieses alten Hauses eingeschlossen worden war. Fauchery blickte sie prüfend an und überlegte. Einer seiner Freunde, der vor kurzem als Kapitän in Mexiko gefallen war, hatte ihm am Tage seiner Abreise abends beim Aufstehen vom Abschiedsmahl eine jener rücksichtslosen Mitteilungen gemacht, die sich auch die taktvollsten Männer manchmal entschlüpfen lassen. Aber seine Erinnerungen waren undeutlich; am Abend hatte man gut diniert, und Zweifel überkamen ihn, wenn er die Gräfin inmitten dieses altehrwürdigen Saales, in ihrem ernsten schwarzen Kleide, mit ihrem ruhigen Lächeln sitzen sah. Eine hinter ihr stehende Lampe hob das feine Profil ihres runden und vollen brünetten Gesichts hervor, in dem einzig der etwas üppige Mund eine gewisse überwiegende Sinnlichkeit zeigte.

      »Sag mal, hat denn die Gräfin keinen Liebhaber?« fragte plötzlich Fauchery seinen Vetter Faloise.

      »Ach nicht doch, mein Lieber, nicht doch!« erwiderte dieser, sichtlich verwirrt durch diese unerwartete Frage. »Wo glaubst du dich denn eigentlich zu befinden?«

      Dann wurde er plötzlich inne, daß sein Unwille über die Frage nicht von Lebensart zeuge, und sich auf den Sitz eines Kanapees streckend, fügte er hinzu:

      »Den Teufel