Emile Zola

Nana


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sie mit achtungsvoller Anteilnahme.

      Als Fauchery hier diese ehrbare Madame Hugon sah, diese mütterliche, von einem so wohlwollenden Lächeln verklärte Gestalt im grauen Haar, kam er sich selbst lächerlich vor, die Gräfin Sabine auch nur einen Augenblick im Verdacht gehabt zu haben.

      Trotzdem hatte der große, mit roter Flockenseide überzogene Lederstuhl, in den sich die Gräfin setzte, soeben seine Aufmerksamkeit erregt. Er entdeckte daran einen rohen Geschmack und eine sinnverwirrende Phantasie in diesem altersschweren Salon. Sicherlich hatte nicht der Graf dieses Möbel lüsterner Behaglichkeit hierhergebracht. Man hätte es für einen ersten Versuch halten können, für den Beginn eines Wunsches nach Genuß. Hierauf vertiefte er sich wieder in Träumereien und kam auf die vertrauliche unbestimmte Mitteilung zurück, die ihm eines Abends in dem Nebenzimmer eines Restaurants gemacht worden war. Von einer sinnlichen Neugier getrieben, hatte er danach verlangt, bei Muffat eingeführt zu werden. Da sein Freund in Mexiko geblieben war, wer konnte wissen, was kommen würde? Man mußte eben zusehen. Er beging ohne Zweifel eine Torheit; schon der Gedanke verwirrte ihn, er fühlte sich angelockt, und seine Sinnlichkeit erwachte.

      Die Damen unterhielten sich über eine Nonnenweihe, einen sehr rührenden Akt, über den das weltliche Paris seit drei Tagen tiefbewegt war. Die älteste Tochter der Baronin von Fougeray war nämlich soeben in den Karmeliterorden eingetreten; sie hatte dem unwiderstehlichen Drang ihres Herzens nachgegeben. Madame Chantereau, die mit der Familie Fougeray verwandt war, erzählte, das Tränenvergießen habe die Baronin dermaßen angegriffen, daß sie gezwungen gewesen sei, am nächsten Tage das Bett zu hüten.

      »Ich hatte einen vortrefflichen Platz«, erklärte Léonide. »Ich habe die Sache sonderbar gefunden.«

      Indes beklagte Madame Hugon die arme Mutter. Welch ein Schmerz, auf diese Weise eine Tochter zu verlieren!

      »Na ja doch! Sie heiraten den Herrgott, wenn sie ihren Cousin nicht haben heiraten können«, murmelte Vandeuvres zwischen den Zähnen, da ihn dieses Thema langweilte und er Fauchery wieder aufgesucht hatte. »Haben Sie je gehört, mein Lieber, daß ein Frauenzimmer, das sich geliebt weiß, ins Kloster geht?«

      Er wartete nicht auf die Antwort, denn er mochte nichts mehr hören, und fuhr halblaut fort:

      »Sagen Sie mir doch, zu wie vielen werden wir morgen sein? Es werden sich Mignon, Steiner, Sie, Blanche und ich einfinden … Wer sonst noch?«

      »Caroline, denke ich … Simonne … Gaga, ohne Zweifel … Man weiß dies nie genau, nicht wahr? Bei solchen Gelegenheiten glaubt man vielleicht, es seien ihrer zwanzig, und nachher sind es dreißig.«

      Als Vandeuvres' Blicke jetzt die Damen streiften, sprang er schnell zu einem anderen Thema über.

      »Jene Dame du Joncquoy muß vor fünfzehn Jahren sehr hübsch gewesen sein … Die arme Estelle ist immer noch höher aufgeschossen – ein wahres Plättbrett!«

      Allein er unterbrach sich und kam wieder auf das Souper des nächsten Tages zu sprechen.

      »An jenen Geschichten ist nur dies eine langweilig, daß es immer dieselben Frauen sind … Man müßte einmal etwas Neues schaffen. Versuchen Sie doch, ein junges Gemüse zu finden … Halt, ich habe einen Gedanken! Ich werde jenen dicken Herrn dort bitten, die Dame mitzubringen, die er an einem der letzten Abende im Varieté mithatte.«

      Er sprach von dem Bürochef im Ministerium des Innern, der mitten im Salon eingeschlummert war. Fauchery ergötzte sich aus der Ferne daran, dieser delikaten Unterhaltung zu lauschen. Vandeuvres hatte sich in die Nähe des dicken Herrn gesetzt, der einen äußerst ehrwürdigen Eindruck machte. Beide schienen einen Augenblick lang mit gemessener Ruhe die schwebende Frage zu erörtern, welches Gefühl eigentlich ein junges Mädchen dahin bringen könne, den Schleier zu nehmen. Bald darauf kam der Graf zu Fauchery zurück und sagte:

      »Es ist nicht möglich! Er beteuerte, sie sei tugendhaft und würde sich weigern … Und doch hätte ich jede Wette angenommen, sie bei Laura gesehen zu haben.«

      »Wie, Sie gehen zu Laura?« murmelte Fauchery lachend. »Sie wagen sich an solche Orte? Ich glaubte, dort verkehren nur wir armen Teufel.«

      »Nun, mein Lieber, man muß wohl alles kennenlernen.«

      Sie lachten amüsiert und erzählten einander mit leuchtenden Augen Einzelheiten über die Table d'hote in der Rue des Martyrs, wo die dicke Laura Piédefer Dämchen, die in knappen Geldverhältnissen waren, für drei Franken speiste. Ein schönes Nest! Alle Dämchen küßten Laura den Mund. – Da sich jetzt die Gräfin Sabine umwandte, die ein flüchtiges Wort davon vernommen haben mochte, verbargen sie sich und stritten in unbefangener Erregtheit miteinander herum. Allein ganz in ihrer Nähe hatten sie Georges Hugon übersehen, der ihnen zuhörte; eine flammende Röte hatte sich von seinen Ohren bis hinab auf seinen mädchenhaften Hals ergossen. Dieser Jüngling war voll von verschämtem Entzücken. Seitdem ihn seine Mutter im Salon allein gelassen hatte, war er hinter Madame de Chezelles getreten, die einzige Frau, die ihm (natürlich nächst Nana, die noch immer jenen tiefen Eindruck auf ihn machte) »famos« erschien.

      »Gestern abend«, versetzte Madame Hugon, »hat mich Georges ins Theater geführt; ja, nach den Varietés, wohin ich seit zehn Jahren sicher nicht gekommen war. Dieses Kind vergöttert die Musik … Ich selbst habe mich gar nicht amüsiert, aber er war so glücklich! … Man spielt heutzutage sonderbare Stücke. Übrigens muß ich gestehen, daß die Musik mich wenig begeistern kann.«

      »Wie, Madame, Sie lieben die Musik nicht?« rief Madame du Joncquoy mit zum Himmel erhobenen Blicken aus. »Ist es möglich, daß man Musik nicht gern hat?«

      Dies war die Ansicht aller. Niemand verlor ein Wort über das Stück der Varietés, von dem die gute Madame Hugon nichts verstanden hatte; alle diese Damen kannten es, sprachen jedoch nicht davon. Plötzlich warf man sich allgemein auf die sentimentale Seite, indem man feine und begeisterte Bewunderung den klassischen Meistern zollte. Madame du Joncquoy liebte nur Weber, während Madame Chantereau sich für die Italiener erklärte. Die Stimmen dieser Damen waren weich und schmachtend, so daß man hier vor dem Kamin an Kirchenandacht, an den leise verhallenden Gesang in einer kleinen Kapelle hätte denken können.

      »Hm«, brummte Vandeuvres, während er Fauchery wieder in die Mitte des Zimmers führte, »wir müssen für morgen ein weibliches Wesen ausfindig machen. Wollen wir uns nicht einmal an Steiner wenden?«

      »Oh«, entgegnete der Journalist, »wenn Steiner eine Person hat, so ist's eine, die in Paris kein anderer mehr will.«

      Unterdessen durchspähte Vandeuvres die Umgebung.

      »Warten Sie, neulich habe ich Foucarmont mit einer reizenden Blondine getroffen. Ich werde ihn bitten, diese uns zuzuführen.«

      Sogleich rief er Foucarmont zu sich und wechselte schnell einige Worte mit ihm. Es schien sich eine Verwicklung dabei zu entspinnen, denn beide gingen, behutsam über die Kleider der Damen hinwegsteigend, vorsichtig fort und fanden einen anderen jungen Mann, mit dem sie in einer Fensternische die Unterhaltung fortsetzten. Fauchery, jetzt allein, entschied sich, in die Nähe des Kamins zu treten, als eine Stimme hinter ihm sprach:

      »Das ist nicht eben höflich von dir.«

      »Was denn?« fragte er und erkannte, sich umdrehend, Faloise.

      »Nun, ich meine, daß du mich wohl zu dem morgen stattfindenden Souper hättest einladen können.«

      Fauchery wollte eben antworten, als Vandeuvres zurückkam und sagte:

      »Hm, mir scheint, die Blondine geht Foucarmont gar nichts an; sie ist das Schätzchen jenes Herrn dort unten … Sie wird nicht kommen können! Welch ein Pech! Allein ich habe eben Foucarmont gewonnen, und er wird Louise aus dem Palais Royal zu bringen versuchen. Ich werde mir auch noch mehr Herren gewinnen … Diese jungen Leute müssen unsere hübschen Dämchen kennenlernen.«

      Darauf sah man ihn mit liebenswürdigem Lächeln die Herren anreden und überall im Salon Unterhaltung anknüpfen. Er mischte sich unter die einzelnen Gruppen, diente jedem mit einer Phrase, und unter freundlichem Augenzwinkern und mit Zeichen des Einverständnisses