Jacob Burckhardt

Die Zeit Constantins des Großen


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Aurelius Victor, speziell zum Vorwurf gemacht wird, könnte leicht zu seinem Lobe umschlagen. In einer leider unklaren und verdorbenen Stelle Aur. Vict., Caes. 39, § 31. – Es war die Grundsteuer, vgl. Preuss, S. 110 samt Anm. wird darüber geklagt, dass »ein Teil von Italien« zu gewissen allgemeinen Steuern und Lasten (pensiones) herbeigezogen worden sei, welche »bei der damaligen Mässigung« leidlich gewesen, im Verlauf des vierten Jahrhunderts aber zum Verderben des Landes geworden seien. Welcher Art diese Steuer auch gewesen sein mag, jedenfalls war es billig, dass Italien mitbezahlen half, seitdem es nicht mehr fähig war, das Reich zu retten und zu beherrschen. – Für die Beurteilung des römischen Finanzwesens im allgemeinen ist auf die besondern Forschungen über diesen Gegenstand, bei Hegewisch, Naudet, Dureau, Mommsen u. a. zu verweisen; nur ein spezieller Punkt muss hier noch berührt werden.

      In verschiedenen Annalen findet sich zum Jahre 302 die Notiz: »Damals befahlen die Kaiser Wohlfeilheit«, das heisst: Diocletian stellte ein Maximum der Lebensmittelpreise fest. Keine Massregel wird von der jetzt herrschenden Ansicht stärker verdammt als die Maximumspreise, zu deren Behauptung bekanntlich der unausgesetzte Taktschlag der Guillotine gehört, wie das lehrreiche Beispiel des Nationalkonventes zeigt. Die Massregel setzt entweder die äusserste, verzweifeltste Not voraus, oder ein gänzliches Verkennen der wahren Begriffe von Wert und Preis. Die Folgen waren denn auch die unausbleiblichen De mort. persec. 7.: die Ware verbarg sich, wurde trotz dem Verbote teurer als zuvor und zog unzähligen Verkäufern die Todesstrafe zu, bis man das Gesetz aufhob.

      Von dieser Massregel hat sich nun ein genaues Andenken erhalten in der berühmten Inschrift von Stratonicea Vollständig bei Haubold-Spangenberg, Antiq. Rom. monum. legalia, Nachtrag. – Erläutert u. a. bei Dureau de la Malle, Economie politique des Romains, vol. I, und seither in der Abhandlung Th. Mommsens: Das Edikt Diocletians de pretiis rerum venalium vom Jahre 301, abgesehen von spätem Ergänzungen durch neu entdeckte Fragmente, vgl. Preuss, a. a. O., S. 115, und Vogel, Der Kaiser Diocletian, S. 78 ff. – Das Edikt, im Namen aller vier Herrscher erlassen, war doch für den Orient bestimmt und wurde vielleicht nur dort (zwischen September 301 und März 302) publiziert., welche das ganze Edikt samt mehrern hundert Preisbestimmungen (zum Teil unleserlich und schwer erklärbar) wiedergibt. Die Imperatoren äussern sich im Eingang ungefähr wie folgt: Der Preis der Dinge, die man auf den Märkten kauft oder täglich in die Städte bringt, hat so sehr alle Grenzen überschritten, dass die zügellose Gewinnsucht weder durch reichliche Ernten noch durch Überfluss der Waren gemässigt wird . . . Die Raubsucht tritt überall auf, wo nach dem Gebot des öffentlichen Wohles unsere Heere hinziehen, nicht nur in Dörfern und Städten, sondern auf allen Strassen, so dass die Preise der Lebensmittel nicht bloss auf das Vierfache und Achtfache, sondern über jedes Mass steigen, öfter sogar ist durch Aufkauf (?) einer einzigen Ware der Krieger seines Soldes und unserer Geschenke beraubt worden . . . Diese Habsucht soll in unserm Gesetz Grenzen und Mass finden. (Worauf den Zuwiderhandelnden die schwersten Strafen angedroht werden.)

      Die Erwägungsgründe sind an sich so rätselhaft als die Verfügung selber. Am ehesten lässt sich denken, dass im Orient eine Sippschaft von Spekulanten ziemlich rasch die Preise der unentbehrlichsten Mittel des Daseins in die Höhe getrieben hatte, dass jedermann darunter litt, das Leiden der Armee jedoch weit die grössten und nächsten Gefahren herbeizuführen drohte. Das Reich, dessen Haupteinnahmen bei weitem in Naturalien bestanden, konnte vielleicht nicht im gehörigen Augenblick bei jeder Garnison damit zur Stelle sein. Und da nun der Beschluss der Abhilfe, vielleicht in Eile und in heftiger Stimmung, gefasst war, dehnte man die Fürsorge gleich auf alle Menschenklassen und auf Werte jeder Art aus, um besonders auch für die städtischen Massen Hilfe zu schaffen.

      Die Tabelle selbst ist ein Dokument ersten Ranges, weil sie die Werte der Gegenstände und der Arbeiten im Verhältnis zueinander für die damalige Zeit offiziell angibt. Viel schwieriger ist die Reduktion der einzelnen Werte auf unsern jetzigen Münzfuss. Man hat sich nämlich über die Einheit, welche im Edikt bloss mit einem * bezeichnet wird, noch nicht verständigen können, so dass die einen den damaligen Silberdenar (9 Sous), andere dagegen So Dureau de la Malle. Höher, doch noch ebenfalls niedrig, wird die Einheit taxiert von Mommsen (10 Cents) und von Waddington (6,2 Cents). den Kupferdenar (½ Sou) dafür annehmen; im erstern Fall entstehen ungeheure Preise, im letztern Fall solche, die von den unsrigen nicht sehr weit abweichen würden und gewiss die weit grössere Wahrscheinlichkeit für sich haben, das heisst soweit man wiederum über die vorausgesetzten Masse und Gewichte im klaren ist. Wäre wirklich der Kupferdenar gemeint, so wären die Hauptresultate folgende: die festgesetzten Arbeitslöhne erscheinen etwas niedriger als der vor etwa drei Jahrzehnten für Frankreich geltende Durchschnitt, diesen zu 1 Fr. 25 Cent. angenommen; der Ackerknecht erhielt täglich 65 Centimes, der Maurer, der Zimmermann, der Schmied, der Bäcker, der Kalkbrenner 1 Fr. 25 Cent., der Maultiertreiber, Schäfer, Wasserträger, Kloakenreiniger usw. die Nahrung und 50 bis 60 Cent.; von den Lehrern bekam der eigentliche Pädagog für jeden Zögling monatlich 1 Fr. 25 Cent., ebenso der Leselehrer und Schreiblehrer, dagegen der Rechnungslehrer und Schnellschreiblehrer 1 Fr. 90 Cent., der Grammatiker für griechische Sprache 5 Fr., ebenso der für lateinische Sprache und der Geometrielehrer. Ein Paar Schuhe sollte kosten: für Bauern und Tiertreiber 3 Fr., für Soldaten 2 Fr. 50 Cent., für Patrizier 3 Fr. 75 Cent., für Frauen 1 Fr. 50 Cent., wobei Gestalt und Arbeit natürlich ungleich war. Die Fleischpreise waren, in römischen Pfunden zu 24 Lot, für Rind- und Hammelfleisch etwa 28 Cent., für Lamm- und Schweinefleisch etwa 35 Cent.; der sehr umständlich aufgezählten Würste und der eigentlichen Leckerbissen nicht zu gedenken. Der gewöhnliche Wein, den Sextarius zu ½ Liter gerechnet, wurde etwas wohlfeiler angesetzt, als er jetzt gilt, nämlich zu 20 Cent., der bessere alte Wein zu 60 Cent., die edlen italienischen Weine, auch Sabiner und Falerner, zu 75 Cent., das Bier (cervesia cami?) zu 10 Cent., eine geringere Art (zythum) zu 5 Cent. Wir haben diese wahrscheinlich zu niedrig berechneten Preise (aus Dureau de la Malle) beibehalten, weil sie den einstweilen einzig möglichen Zweck, das Proportionale in den Werten zu veranschaulichen, genügend erreichen. Leider fehlt völlig der Preis des Weizens, welcher entscheiden würde. Die Preise sind im Edikt selbst ohne Zweifel hoch genommen, weil mit niedrigen von vornherein nichts wäre zu erreichen gewesen, und man darf sich nicht durch jenes Wort der Idatianischen Jahrbücher irren lassen: »Die Kaiser befahlen, dass Wohlfeilheit sei«.

      Von allem, was Diocletian je getan hat, wird man diese Einführung des Maximums vielleicht am schärfsten tadeln können. Hier hatte sich einmal der absolute Staat im Vertrauen auf seine Zwangsmittel vollständig verrechnet; doch wird man die gute Absicht auch nicht ganz verkennen dürfen. Dieselbe tritt auch in dem neuen Kataster deutlich hervor, welchen Diocletian im letzten Jahre seiner Regierung (305) durch das ganze Reich hindurch aufnehmen liess. Wohl heisst Ioh. Lydus, De magistrat. Rom. I, 4. es »er liess das Land vermessen und beschwerte es mit Abgaben« – allein es war dabei sicher nicht bloss auf die Erhöhung, sondern auch auf die billigere Verteilung der Steuern abgesehen.

      Überhaupt möchte seine Regierung alles in allem genommen eine der besten und wohlwollendsten gewesen sein, welche das Reich je gehabt hat. Sobald man den Blick freihält von dem schrecklichen Bilde der Christenverfolgung Von deren wahrscheinlichen Ursachen im achten Abschnitt die Rede sein wird. und von den Entstellungen und Übertreibungen bei Lactantius, so nehmen die Züge des grossen Fürsten einen ganz andern Ausdruck an. Man wird vielleicht einen Zeitgenossen, welcher ihm ein Werk dedizierte, nicht als gültigen Zeugen anerkennen; immerhin darf es nicht übergangen werden, dass laut dem Biographen des Marc Aurel in der Historia Augusta (Kap. 19) dieser edle Fürst in Sitte und Wandel sowohl als in der Milde das Vorbild Diocletians war und in dessen Hauskult eine der vornehmsten Stellen einnahm. Hören wir jedoch einen Spätern. Der ältere Aurelius Victor, welcher auch für die Schattenseiten keineswegs blind und, wo Italien in Frage kommt, sogar ein Gegner ist, sagt von ihm: »Er liess sich den Herrn nennen, benahm sich aber als Vater; der kluge Mann wollte ohne Zweifel zeigen, dass nicht schlimme Namen, sondern schlimme Taten entschieden.« Und weiter nach Aufzählung der Kriege: »Auch die Einrichtungen des Friedens wurden durch gerechte Gesetze befestigt; . . . für die Verproviantierung, für Rom, für das Wohl der Beamten wurde eifrig und emsig gesorgt, überhaupt durch Beförderung der Wackern und Bestrafung der Missetäter der Trieb zum Guten gesteigert . . .«. Endlich bei Anlass der Abdankung schliesst Victor:

      »Bei dem Widerstreit der Meinungen ist der Sinn für den wahren Sachverhalt