Lars Burkart

Die letzte Seele


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weiße Haut dort und kneteten die prallen, knackigen Bäckchen. Ihr nackter Körper erregte ihn bereits von neuem. Doch noch ehe er irgendwelche Anstalten machen konnte, erneut über sie herzufallen, drehte sich wieder zu ihm. Sie hatte zwei Zigaretten aus der Hose gefischt und schob ihm eine davon in den Mund. Sie glimmten sogar schon; sie musste sie eben angezündet haben. Die andere behielt sie selbst. Hm, das tat gut.

      „Jetzt aber mal im Ernst: Du weißt, dass du nicht mein erster warst und ich weiß, dass ich nicht deine erste war. Das haben wir ja alles längst ausbaldowert. Wie aber hast du es geschafft, das hinter deiner Schüchternheit zu verstecken?“

      „Was denn?“

      „Frag nicht so scheinheilig. Du weißt genau, was ich meine.“

      „Nein, weiß ich nicht.“

      „Ich meine, dass du so ein Tiger bist. Und das bist du. Was du da mit deiner Zunge gemacht hast, grenzt ja fast an Wahnsinn. Du hast mir fast das Hirn rausgelutscht. Echt affengeil. Du bist eine richtige Sexmaschine. Die obendrein noch eine geile Schlabberzunge hat.“

      „Ich hab dich überrascht, wie?“

      „Das kannst du laut sagen! Meine Muschi tropft noch immer wie ein Wasserhahn.“

      „Ich kann auch nichts dafür. Du machst mich einfach verrückt …“

      Mit einem Mal begann Paul zu heulen. Es war kein stilles Wimmern, es war richtig laut. Er heulte Rotz und Wasser. Der Text, der von ihm geschrieben worden war (nur er konnte ihn geschrieben haben, obwohl er sich nach wie vor nicht daran erinnerte), führte ihm etwas vor Augen. Er hatte einen Grund gefunden, warum sie ihn verlassen hatte. Sie hatten zwar noch hin und wieder Sex gehabt, zwar lange nicht mehr so viel wie früher, aber so richtig Spaß hatte es beiden nicht mehr gebracht. Das aber war bei weitem nicht das Schlimmste. Schließlich geschah das in jeder längeren Beziehung. Das Schlimmste war, dass er sich keine Mühe mehr gegeben hatte, und das wer weiß wie lange schon. Es war zwar dann und wann noch zum Beischlaf gekommen, aber ohne Vorspiel, ohne Zärtlichkeiten, ohne Aufregung. Er hatte es einfach runtergespult wie ein Pflichtprogramm. Kein Spaß, keine Spontanität, kein gar nichts. Eigentlich grenzte es schon an ein Wunder, dass sie überhaupt hin und wieder Sex gehabt hatten – vor allem deshalb, weil Frauen zärtliches Kuscheln und Schmusen brauchen wie die Luft zum Atmen.

      Trotz dieser negativen Erinnerungen zwang er sich, mit eiserner Miene und zusammengebissenen Zähnen weiterzulesen. Und die Tränen rannen ihm dabei nur so die Wangen hinunter.

       Ich liebe Dich!!!!!!!

      Das stand dort geschrieben, und es war so ziemlich das Letzte, was er entziffern konnte. Denn der Text entwickelte sich nun zu einem Kauderwelsch. Er bestand nur noch aus sinnlos aneinander gepressten Buchstabenreihen, und wenn man es lesen wollte, ergab es beim besten Willen kein Wort.

      „Bestimmt ist der Alkohol daran schuld“, murmelte Paul.

      Er fuhr den Text mit dem Cursor bis zum Ende hinunter. Und je weiter er kam, umso unverständlicher wurde er. Schließlich gab er es auf, feuerte das Notebook erneut zu Boden und stürmte schreiend und heulend aus dem Zimmer.

      Kapitel 3

       3. Kapitel

      „Paul, kommst du mit in den Club? Du hast dich ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr sehen lassen!“

      Er stand auf dem Flur, hielt den Telefonhörer in der einen Hand und eine glimmende Kippe in der anderen. Sein Kopf brummte, und seine Finger schmerzten. Aber diesmal kam das Kopfweh nicht vom Alkohol, sondern war ein Produkt geistiger Arbeit. Seit dem Tag, an dem er die Kontrolle über sich und seine Handlungen verloren hatte, hatte er keinen Tropfen mehr angerührt. Seine Hände zuckten und kribbelten noch vor Anstrengung. Er hatte mit ihnen wie eine Berserker auf die Tastatur eingehämmert, aber nicht vor Wut und Raserei, sondern weil sprudelnd wie ein Wasserfall ein Text aus ihm herausgeprescht kam. Noch vor drei Minuten hatte er am Schreibtisch gesessen, so in seine Arbeit vertieft, dass er das Klingeln des Telefons fast überhört hätte. Erst beim zwanzigsten Mal drang es zu ihm durch

      Während er so dastand, kam er sich vor wie ein Fremder in der eigenen Haut. Er hatte keine Ahnung, wovon der Kerl am anderen Ende der Strippe faselte. Er wusste weder wer es war noch, um was für einen Club es sich handelte. Da er aber nicht wie ein Idiot dastehen wollte, schwieg er. Für den Anrufer schien das nichts Ungewöhnliches zu sein.

      „Lass mich raten! Du arbeitest an einem neuen Buch. Stimmt’s, oder hab ich recht?“

      „Ja.“

      Jetzt war er überrascht. Ja, er arbeitete an einem neuen Buch. Oder zumindest an einer neuen Geschichte, vielleicht wurde ja später ein Buch daraus. Er musste erstmal schauen, wie sich das alles entwickelte. Insofern hatte der Anrufer recht, und das hieß, dass er den Störenfried schon länger kannte. Es ging ihm fast immer so, wenn er ein neues Projekt anfing: Wenn eine Idee, die noch in den Kinderschuhen steckte, ihn in ihren Bann zog, konnte er den Eindruck erwecken, an Alzheimer erkrankt zu sein.

      „Hab ich’s mir doch gedacht“, fuhr der andere fort. „Dann leidest du immer ein bisschen unter Gedächtnisschwund.“

      Jetzt dämmerte es Paul langsam. Der Anrufer konnte nur den Tennisclub meinen. Und nun, da ihm ein Licht aufgegangen war, wurde ihm bewusst, dass er schon lange nicht mehr gespielt hatte. An Lust mangelte es ihm nicht, aber momentan war einfach keine Zeit dafür.

      „Tut mir echt leid. Momentan sieht’s schlecht aus. Ich stecke bis zum Hals in Arbeit. Hab ’ne echt phänomenale Idee, sag ich dir. Das wird der Reißer, der Reißer schlechthin.“ Sein Erzähltempo hatte sich nun verdoppelt.

      „Mensch, du bist ja hin und weg! Ich wünschte, ich wäre nur halb so arbeitsgeil wie du. Aber leider, leider … egal, sei’s drum. Ich wünsche dir gutes Gelingen! Und falls du noch Lust bekommst, ein paar Bälle zu schmettern: Du weißt ja, wo du mich finden kannst.“

      Er verabschiedete sich und legte auf. Paul hatte versprochen, sich bei ihm zu melden. Jetzt, da das Gespräch beendet war, merkte er erst, dass er keinen Schimmer hatte, wer der Kerl nun war. Egal. Fröhlich pfeifend schlenderte er zurück ins Arbeitszimmer, setzte sich wieder an den Schreibtisch und war nur wenige Sekunden später wieder weggetreten. Die konzentrierte Stille wurde nur unterbrochen, wenn er einen Satz vor sich hinmurmelte, bei dem er sich nicht sicher war, wie er aufgebaut sein sollte. Wenn er ihn hörte, war es oft anders, als wenn er ihn nur stumm las.

      Während er angestrengt arbeitete, wiederholte sich in seinem Kopf noch einmal das Geschehen, als er das Notebook zu Boden geworfen hatte und er heulend aus dem Zimmer gestürmt war. Paul registrierte davon nichts. Es geschah in seinem Unterbewusstsein. Es waren nur Bruchstücke, die, noch ehe sie bemerkt werden konnten, weggespült wurden. Weggespült von der Begeisterungswelle, die sein neues Projekt in ihm auslöste.

      Noch bevor der Laptop auf den Boden geschlagen war, war er aus dem Zimmer gerannt und wie ein Wirbelwind durch das ganze Haus gefegt, durch das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, die zwei Bäder, die Gästezimmer und sogar durch den Keller. Er warf alles um, was ihm vor die Füße kam: Sessel, Stehlampen, Stereoanlage. Er hob es auf und pfefferte es gegen die Wand. Als ob die Dinge an alledem Schuld trügen. Selbst ein Orkan hätte nicht mehr Schaden anrichten können. Die einzigen Dinge, die blieben, wo sie waren, waren zu schwer für ihn. Und dabei schrie er. Er machte einen Lärm wie zehn startende Düsenjets zusammen. Er schrie sich die Lunge aus dem Hals. Das Kratzen in seiner Kehle und das Kreischen in seinem Ohr waren unerträglich. Aber er konnte einfach nicht aufhören. Eine blinde Zerstörungswut hatte ihn gepackt.

      Irgendwann dann sackte er in sich zusammen und blieb liegen, wo er war. Er hatte Schuldgefühle, weil er dem Zerstörungsdrang nachgegeben hatte. Gleichzeitig aber war er auch froh darüber. Vielleicht war es das einzig Richtige, was er hatte tun können? Denn nach der Hysterie fühlte er sich besser, viel besser als zuvor. Als wäre damit alles herausgeschleudert worden, was nicht gut für ihn war.