Denise Remisberger

Fidibus und das Pergament aus dem Goldenen Psalter


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entfernt von ihm.

      «Zwei Pfennige Wegzoll für König Otto», brüllte Gregorius den Reitenden entgegen.

      «So viel, Gregorius», flötete Siegelinde vom Pferd herab. «Ich habe dir extra ein Krüglein vom besten Rheinwein mitgebracht. Nur für dich.»

      «Lasst mal sehen, Fräulein.»

      Siegelinde entnahm ihrer Satteltasche ein Tonkrüglein und überreichte es dem Zollbeamten feierlich. Der zog den Stopfen heraus und schnüffelte gierig mit seiner Säufernase.

      «Einverstanden. Lasst die beiden vorbei!», schrie er seine Gehilfen an.

      «Ein Krüglein besten Rheinweins ist nun wirklich nicht weniger wert als zwei Pfennige», wunderte sich Blage, nachdem sie ein Stück weit geritten waren.

      «Nein, aber ein mit verwässertem Verjus gefülltes Krüglein schon. Den benutzen wir zum Ablöschen beim Kochen.»

      8

      Im Kräutergarten wurde heute schwer gearbeitet. Novizenmeister Karl beaufsichtigte die fünf Novizen, welche die mit Brettern eingefassten acht Kräuterbeete von Unkraut befreiten. Die Sonne brannte erbarmungslos auf ihre gekrümmten Rücken, sodass ihnen der Schweiss von den Gesichtern tropfte. Natürlich murrten sie, wie üblich. Die Novizen des Klosters Sankt Gallen hatten schon immer eine rebellische Ader besessen. Mit den Klosterschülern stand es noch schlimmer. Im Jahre des Herrn 937 brannten zwei davon das ganze Kloster nieder. Zum Glück konnten Bücher, Schriften, Schätze und die teuren Glocken gerettet werden. Na ja, sie hatten das karolingische Kloster mit dem Gallusmünster und auch die Michaelskapelle und die Sankt Otmarskirche hinter dem Münster wieder aufgebaut, dachte Karl voller Freude.

      «Bertram, also wirklich», tadelte Karl gutmütig einen der Novizen, «nicht das Johanniskraut ausreissen, das brauchen wir doch, um Unheil abzuwehren.»

      «Ach, Ihr meint den Jageteufel, Meister Karl.»

      Die anderen vier Novizen kicherten.

      «Hierher kommt der Teufel bestimmt nicht», rief Novize Hans vorlaut.

      «Da täusch dich mal nicht», widersprach Karl. «Und hier steht er schon, der Teufel, in Gestalt einer Frau.» Doch diesen letzten Satz sprach er nicht laut aus. Und er meinte es auch nicht wirklich böse.

      «Novizenmeister Karl», rief Fräulein Siegelinde und winkte. Die Novizen liessen ihre Arbeit ruhen und starrten auf die herbeieilende wunderhübsche Frau mit den funkelnden Augen, die Münder offen.

      «O je!», hauchte Karl und führte Siegelinde und ihren Panzerreiter Blage geschwind am Sanatorium und an der Sankt Otmarskirche vorbei in den Baumgarten hinüber, der gleichzeitig der Friedhof war, weit weg von den ihm anvertrauten Jünglingen.

      «Was führt Euch zu uns, wertes Fräulein?»

      «Ich will meinen Verwandten besuchen, Niesbert.»

      «Niesbert hebt gerade ein Grab aus, dort, hinter dem grossen Birnbaum, seht Ihr ihn?»

      «Ja. Danke.» Und Siegelinde lief in die angedeutete Richtung, Blage dicht auf ihren Fersen, während der Novizenmeister zurück zu seinen Zöglingen ging, um zu sehen, ob sie sich erholt hatten.

      Beim grossen Birnbaum angekommen, hörte sie Stimmen, so dass sie innehielt, um zu lauschen. An die alte Rinde gelehnt, standen Fidibus und Kunibert, nicht ahnend, dass da noch jemand mithörte.

      «Fidibus, wie sollen wir bloss herausfinden, wer das wertvolle Pergament gestohlen hat?»

      «Wahrscheinlich die aus Konstanz. Die hassen uns. Seit jeher. Vielleicht sogar im Auftrag des Bischofs.»

      «Du denkst auch immer das Schlechteste, Fidibus.»

      «Ja, ich kenne eben die Menschen, Kunibert.»

      «Ich könnte euch bei der Suche helfen. Ich reise oft durch die Gegend», begeisterte sich die hinter dem dicken Baumstamm hervortretende Siegelinde. Panzerreiter Blage legte sicherheitshalber seine Hand fester um die Lanze.

      «Oh nein! Nicht ausgerechnet Ihr!», warf Fidibus die Hände in die Luft.

      «Siegelinde, meine Kleine. Lass dich begrüssen», lachte Niesbert, legte die Schaufel nieder und umarmte seine spassige Verwandte.

      «Niesbert, red ihr das aus, auf ihr lastet ein Fluch», flehte Fidibus.

      «Erzähl keinen Unsinn. Sie kommt wirklich viel herum. Und sie schnappt eine Menge auf.»

      «Kein Wunder, wenn sie hemmungslos lauscht.»

      9

      Während Niesbert mit Siegelinde im Baumgarten spazierte und plauderte, Blage dicht im Schlepptau, Fidibus die neue Lieferung an Leinenstoffen begutachtete und Kunibert ins Sanatorium zurückging, um sich um die Kranken und Rekonvaleszenten zu kümmern, stand der Ministeriale Furdin vor dem in seiner Pfalz sitzenden Bischof Konrad von Konstanz und erzählte nichts Wichtiges.

      «Aha, aha», brummte Konrad unzufrieden, mit den Gedanken halb bei den Bauplänen für eine der Pfarrkirchen, nämlich Sankt Paul vor den Mauern, die sich erst ganz am Anfang ihrer Entstehung befand.

      «Hast du da nicht eine kleine Freundin? Im Kloster Münsterlingen?»

      «Nein, Herr.»

      Für den Geschmack des Bischofs rankten sich viel zu viele Legenden um dieses seltsame winzige Frauenkloster. Wie Efeu an einer Mauer. Eine heidnischer als die andere. Warum konnten sich die Leute nicht einfach auf eine einzige und dazu noch fromme Geschichte einigen? Und wenn er ein glaubwürdiges Gerücht streuen würde? Oder sollte er das anderen überlassen, die nach ihm kamen?

      «Die Laienschwester, Furdin, die Laienschwester Helwi.»

      «Also, sie ist nicht meine Freundin. Ich habe sie noch nicht rumgekriegt, äh, also, ich meine, ich habe ihr holdes Herz noch nicht gewonnen.»

      «Na ja, dann tu es. Ich muss wissen, wie innig das Verhältnis zwischen den beiden Klöstern Münsterlingen und Sankt Gallen ist. Ob sie sich gegen Konstanz verbündet haben oder so. Geh jetzt, Furdin, und tu deine Pflicht als mein Ministeriale.»

      Furdin eilte schnurstracks den Hügel hinab, durch eines der Tore hindurch und weiter bis ins Gästehaus des Klosters am Bodensee, um nach Helwi zu fragen.

      «Helwi muss arbeiten, junger Mann, wie alle anderen auch, ausser dir. Du bist ein richtiger Nichtsnutz», schimpfte Hospitalarin Krätzhilde. Und nicht zum ersten Mal.

      «Furdin», rief Helwi, die sich im angrenzenden Raum aufgehalten hatte, einen Stapel Wolldecken im Arm. «Heute nach der Vesper hab ich kurz Zeit für einen Spaziergang am See. Die beiden Pilger und der eine Gast sind alle kerngesund. Wir müssen sie also nur bewirten und nicht auch noch hätscheln.»

      «Gut, bis dann», frohlockte Furdin.

      «Was für ein dummes Stück», dachte die Hospitalarin grimmig, «die lässt sich von dem Trottel noch ein Kind andrehen. Und dann muss sie ihn heiraten. Und dann hat sie den lebenslänglich an der Backe. Das wäre dann insgesamt viel mehr Arbeit als die Wehwehchen der Gäste zu heilen.»

      Helwi war tatsächlich nicht immer die Gescheiteste und liess sich auch prompt von Furdin dazu überreden, Äbtissin Dagoberta ein bisschen auszuspionieren, anscheinend zum Wohl der Dame. Angeblich müsse sie beschützt werden. Vor einem bösen Unhold, der im Schilf am Rande des Bodensees hause und nächtens mit seinem Ruderboot am Klostersteg anlege. Und eventuell die Äbtissin heimsuche. Vielleicht auch nicht. Der Bischof wolle es wissen. Er mache sich Sorgen.

      10

      Der Richter sass schwer auf seinem hohen Ross und starrte griesgrämig auf die Felder zu seinen Füssen, die um Kloster und Klosterdorf Sankt Gallen gruppiert lagen. Von Abt Craloh als Klostervogt