Wege. Und dennoch wagt sich der Mensch in den Sonnenbrand und trotzt den Gefahren, welche ihn von allen Seiten umdrohen. Freilich ist deren Schilderung oft eine übertriebene, aber es bleibt trotzdem genug Übrig, um die Sehnsucht nach einem ›Wüstenritte‹ zu verleiden, dessen Opfer man in der Sahel häufiger findet, als in der wasserreicheren eigentlichen Sahara. Da liegen dann die ausgedorrten Leichen der Menschen und Tiere in Grauen erregenden Stellungen neben- und übereinander; der eine hält den leeren Wasserschlauch noch in den entfleischten Händen; ein anderer hatte wie wahnsinnig die Erde unter sich aufgewühlt, um sich Kühlung zu verschaffen; ein dritter sitzt als vertrocknete Mumie auf dem gebleichten Skelett seines Kameles, den Turban noch auf dem nackten Schädel, und ein vierter kniet am Boden; das Gesicht ist gegen Morgen nach Mekka gerichtet, und die Arme sind über die Brust gekreuzt. Sein letzter Gedanke hat, wie es dem frommen Moslem geziemt, Allah und seinen Propheten gesucht.
Und dennoch hat die Wüste ihren Zweck zu erfüllen in dem großen Haushalte der Natur. Sie bildet den Glutofen, welcher die erhitzten Lüfte emporsteigen läßt, daß sie nach Norden streichen und, sich dort zur Erde niedersenkend, den Gegenden der Mitternacht die notwendige Wärme und Belebung bringen. Die Weisheit des Schöpfers duldet keinen Ueberschuß und hat von Anbeginn dafür gesorgt, daß alle Gegensätze und Extreme zur wohlthätigen Ausgleichung gelangen. – –
Das berüchtigte Bab-el-Ghud liegt ungefähr auf dem einundzwanzigsten Breitengrade an der Grenze zwischen der Sahara und Sahel, wo auch das Gebiet der Tuareg oder Imoscharh mit demjenigen der Tebu oder Teda zusammenstößt.
Diese Grenzverhältnisse geben sowohl der Landschaft als auch ihrer menschlichen Staffage etwas fortwährend Kampfbereites. Die wandernden Sandberge der Sahel werden von dem herrschenden Westwinde immer weiter nach Osten getrieben und stoßen beim Bab-el-Ghud auf die Felsen der Serir, an denen sie sich aufbäumen und, die Thäler, Schluchten und sonstigen Zwischenräume mit unerbittlicher Sicherheit ausfüllend, tiefe Sandlager bilden, denen die Feuchtigkeit mangelt, um zu einer festen kompakten Masse zusammengepreßt zu werden. Wehe dem Wanderer, der in eine solche verräterische Sandsee gerät! Noch vor einigen Augenblicken hat sein Dromedar den sichern felsigen Boden unter den Hufen gefühlt, plötzlich aber reicht ihm der feine, leichte Sand bis an den Leib; es macht eine kräftige Anstrengung, zurückzukehren, und gerät durch dieselbe nur noch tiefer in die brennende Körnerflut. Der Reiter darf nicht vom Tiere steigen, weil er sonst versinkt; er kämpft mit den Krallen des Sandes, die ihn immer enger, immer fester umschließen; das Dromedar arbeitet sich immer tiefer hinab; es verschwindet endlich ganz; das Bahr-el-Ghud, das Dünenmeer, reicht immer höher an dem Reiter hinauf; es faßt ihn bei den Beinen, bei den Hüften, an den Schultern; schon kann er sich nicht mehr regen; er wendet das Haupt nach der heiligen Kaaba –»Allah kehrim, wie Gott will, Allah ist gnädig!« flüstern seine bleichen vertrockneten Lippen, die nun der Sand verschließt. Die Düne schnürt ihm die Brust zusammen, die Lider schließen sich; der Engel des Todes rauscht vorüber, und hoch oben in der Luft schwebt der Bartgeier. Er hat den letzten Kampf des Wanderers beobachtet, aber in einer langsamen, weit sich aufwickelnden Spirallinie läßt er sich von seinen gewaltigen Schwingen in die Ferne tragen; er weiß, daß die Düne ihre Opfer vollständig verschlingt und ihm nicht den mindesten Anteil an ihrem Raube gönnt.
Das ist das Bab-el-Ghud. Wer sich zwischen seine Felsen und Sandwogen wagt, muß von schwer wiegenden Gründen dazu gedrängt werden.
Und doch giebt es wilde Gestalten, welche vor einem solchen Wagnisse nicht zurückbeben. Sie schöpfen den Mut dazu aus dem fürchterlichen ›Ed dem Ued dem – en nefs Wen nefs, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut‹. Neben der Gastfreundschaft ist die Blutrache das erste Wüstengesetz, und wenn es auch zwischen den Angehörigen verwandter Stämme vorkommt, daß ein Mord mit der Entrichtung des Diyeh (Blutpreis) gesühnt wird, so ist dies doch wohl niemals der Fall bei einem Verbrechen, welches durch das Glied einer fremden oder feindlichen Völkerschaft begangen wurde. Da erfordert die Schuld blutige Rache; sie wandert herüber und hinüber, wird größer und immer größer, bis sie endlich ganze Stämme erfaßt und zu jenem öffentlichen und heimlichen Hinschlachten führt, zu welchem das Bab-el-Ghud zwischen den Tuareg und Tebu den Schauplatz bildet. Hier ist das Blutgesetz mächtiger als die Natur, welche alle ihre Schrecken aufbietet, die Feinde zu trennen, und doch grad durch diese Schrecken den Feindseligkeiten ein Grausen verleiht, wie es die zerfleischenden Kämpfe der wilden Indianerhorden Amerikas nicht größer bieten können. –
Seit unserm letzten Abenteuer waren mehrere Wochen vergangen, und ich hatte Hassan wirklich als einen ausgezeichneten Führer kennen gelernt, ein Umstand, welcher mich mit seinem Mangel an Mut zur Genüge aussöhnte. Er kannte nicht nur die Wege genau, sondern verstand es, alle seine Vorkehrungsmaßregeln so zu treffen, daß wir bisher nicht den geringsten Schaden oder Mangel zu leiden hatten. Seine Anhänglichkeit an mich hatte sich nach und nach zu einer ganz erfreulichen Stärke entwickelt, und ich hätte ihm gern mein vollständiges Vertrauen geschenkt, wenn mir nicht eine außerordentliche, beängstigende Aufregung aufgefallen wäre, an welcher er seit einiger Zeit, und zwar nur des Morgens, zu leiden schien. Er saß dann auf seiner Matte, von welcher er nicht aufzubringen war, weinte und schluchzte, lachte und jubelte in einem Atem, nannte sich bald einen Helden und bald eine Memme, bald einen guten Moslem und bald einen Ungehorsamen, der in die Tschehenna fahren müsse. Es war eine Art Wahnsinn, der ihn er faßt haben mußte und dessen Ursache ich gar zu gern auf die Spur gekommen wäre; doch stand es fest, daß ich mich der Führung eines geistig gestörten Mannes nicht ohne ganz besondere Vorsicht anvertrauen konnte, was mir seiner sonstigen Zuverlässigkeit wegen herzlich leid that.
Wir waren noch immer bloß drei Personen und zählten eine hinreichende Anzahl Packkamele, um die Lasten verteilen zu können; darum reisten wir mit doppelter Schnelligkeit als eine gewöhnliche Karawane und konnten sicher sein, das Bab-el-Ghud nach drei guten Tagemärschen zu erreichen. Da mein Hedjihn ein besserer Läufer als die andern Tiere war, so pflegte ich des Morgens später als Josef und Hassan aufzubrechen und, wenn ich sie eingeholt hatte, ihnen eine Strecke vorauszueilen, um dann bis zu ihrem Nahen entweder meinen Tschibuk in Gemütlichkeit rauchen zu können oder für die Bereicherung meiner Naturaliensammlung Sorge zu tragen.
So ritt ich auch jetzt ganz allein zwischen den Dünen dahin und hielt zuweilen mein Tier an, um dem eigentümlichen Klingen des Sandes zu lauschen, welches, beinahe unhörbar, für ein scharfes Ohr dennoch zu vernehmen war. Die einzelnen Körnchen berührten sich, drängten einander vorwärts, an der westlichen Seite der Dünen empor, an der entgegengesetzten wieder hinab, und verursachten jenes seltsame, beinahe singende Geräusch, welches in seinem zarten, metallischen Klange dem heimlichen Flüstern von Millionen Liliputkehlen gleicht. Die Myriaden und aber Myriaden Körnchen bewegten sich, ohne daß ich einen nennenswerten Lufthauch bemerkt hätte; sie waren einmal in Gang gebracht und behielten ihre Stetigkeit infolge einer so geringen Bewegung der Atmosphäre, daß die menschliche Haut für dieselbe keine Empfänglichkeit besaß.
D a bemerkte ich zwischen zwei Erhöhungen einen kleinen Sandberg, welcher nicht auf natürliche Weise entstanden sein konnte. Ich ließ mein Hedjihn niederknieen und stieg ab, um ihn zu untersuchen. Ich hatte recht vermutet. Hier lag die Leiche eines Arabers samt derjenigen seines Tieres, welche der wandernde Sand bereits überflutet hatte. Das Tier war ein echtes Bischarin gewesen und – wahrhaftig, es hatte, wie ich jetzt sah, eine Kugel vor die Stirne bekommen. Sollte hier ein Akt der Blutrache vorliegen? Ich entfernte den Sand weiter, um den Reiter genauer in Augenschein zu nehmen. Ich fand ihn in vollständiger Bekleidung und Bewaffnung; der Kapuze seines Burnus war ein A. L. eingestickt, und dieselben zwei Buchstaben fand ich auch dem Kolben seiner Flinte und dem Griffe seines Messers eingebrannt. Grad einen Zoll über der Nasenwurzel sah ich ein scharfes rundes Loch, welches von einer Kugel herrührte, die dem Manne vorn in den Kopf und hinten wieder hinaus gedrungen war.
»Emery Bothwell!« rief ich überrascht, obgleich kein Mensch in der Nähe war, der mich hören konnte.
Ich kannte diesen Kapitalschuß; ich hatte dasselbe Loch in mancher Indianerstirne gesehen, welche der sichern Büchse meines englischen Freundes zu nahe gekommen war, und wußte daher ganz genau, daß er auch hier der Schütze gewesen sei. Er befand sich also bereits in Bab-el-Ghud, und es mußten wenigstens drei Wochen seit diesem Schusse vergangen sein, wie ich aus der Höhe des Sandes und an genugsam andern Zeichen