Karl May

Orangen und Datteln


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Hassan, der wahre Moslem, da an der Erde und schlürfte die Sauce, in welcher diese Kreaturen schwammen, mit einem Behagen, als sei er über den Nektar des Olymps geraten. Zugleich bemerkte ich, daß dieser Opfertrank nicht der erste sei, dem er sich hingab; denn er mußte das Fäßchen gewaltig heben, um noch einige Tropfen aus dem geöffneten Zapfenloche zu erhalten. Jetzt war ich mir mit einem Male über den Wahnsinn klar, an welchem er in jüngster Zeit zu leiden schien: es war nichts gewesen als –Betrunkenheit.

      Ich schlich mich zu ihm hin und schlug ihm dann die Hand auf die Schulter. Er ließ vor Schreck das Fäßchen fallen und fuhr empor.

      »Was thust du hier?«

      »Ich trinke, Sihdi!« antwortete er, vollständig perplex vor Ueberraschung.

      »Und was trinkst du?«

      »Ma-el-Zat.«

      Die Moslemin, welche sich im stillen dem Genusse des Weines und der Spirituosen hingeben, benennen dieselben mit den verschiedensten Namen, um ihr Gewissen zu beruhigen. Nach ihrer Logik ist der Wein nicht Wein, wenn er anders heißt.

      »Ma-el-Zat, Wasser der Vorsehung? Wer hat dir den Namen des Getränkes genannt, welches sich in dem Gefäße befindet?«

      »Ich kenne ihn, Sihdi. Als die Menschen einst traurig waren, ließ die Vorsehung eine Nuktha, einen Tropfen der Erheiterung, zur Erde fallen; er bewässerte das Land, und nun wuchsen allerlei Pflanzen hervor, deren Saft einen Teil der Nuktha enthält. Darum heißt solch ein Trank, der den Menschen fröhlich macht, Ma-el-Zat, Wasser der Vorsehung.«

      »So sage ich dir, daß dies kein Ma-el-Zat, sondern Spiritus ist, der einen noch viel schlimmeren Geist hat, als der Wein, den du nicht trinken darfst.«

      »Ich trinke keinen Wein und keinen Spiritus; ich habe die Nuktha-el-Zat genossen.«

      »Aber auch diese ist dir verboten!«

      »Du irrst, Sihdi; der Moslem darf sie trinken.«

      »Hast du nicht gehört, daß der Prophet sagt: ›Kullu muskirün haram, alles, was trunken macht, ist verboten.‹«

      »Sihdi, du bist weiser als ich; du kennst sogar die Ilm et tauahhid, die Lehre von dem einen Gotte und die Gesetze des frommen Schaffey; aber ich darf das Mal-el-Zat trinken, denn es macht mich nicht betrunken!«

      »Es hat dich betrunken gemacht schon mehrere Tage, und auch jetzt hält der Geist des Schnapses deine Seele gefangen.«

      »Meine Seele ist frei und munter, als hätte ich aus der Zemzemiëh getrunken!«

      »So sage mir den Surat el kafirun!«

      Diese Sure ist die hundertundneunte des Koran und findet bei den Muselmännern oft eine eigentümliche Anwendung. Dieses Kapitel muß nämlich ein Moslem hersagen, wenn man ihn für betrunken hält. Die einzelnen Verse unterscheiden sich nur dadurch voneinander, daß dieselben Worte in ihnen eine verschiedene Stellung haben, und ein Betrunkener wird es nur selten dahin bringen, sie nicht zu verwechseln. Deutsch heißt diese Sure: »Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nicht verehren das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion und ich die meinige.« In arabischer Sprache ist allerdings die richtige Recitation eine viel kritischere und schwierigere als im Deutschen.

      »Du hast kein Recht, Sihdi, mir den Surat el kafirun abzuverlangen, denn du bist nicht ein Moslem, sondern ein Christ.«

      »Du würdest ihn sagen, doch du vermagst es nicht. Du glaubst, ein Moslem dürfe einem Christen nicht gehorchen; warum bist du dann mein Diener geworden? Du hältst es für kein Verbrechen, das Ma-el-Zat zu trinken, aber daß du es mir gestohlen hast, kannst du nicht leugnen. Der Koran bestraft den Dieb, und auch du wirst deine Strafe haben!«

      »Kannst du einen Rechtgläubigen bestrafen, Sihdi? Geh zum Kadi!«

      »Ich brauche deinen Kadi nicht!«

      Hassan war nur unser Führer, und da die Aufsicht über das Gepäck Sache des Staffelsteiners war, so wußte der gute Kubaschi nicht, welchen Inhalt das Fäßchen außer dem Spiritus noch hatte. Ich nahm das Messer her. In wenigen Augenblicken waren die oberen Reifen zerschnitten und losgesprengt; ich schlug den Boden auf und hielt dem Menschenwürger nun das übelaussehende und noch übler riechende Gewürm unter die Nase.

      »Hier hast du dein Ma-el-Zat, Hassan!«

      Er spreizte die Beine aus, warf alle zehn Finger in die Luft und schnitt ein Gesicht, in welchem sich alle in dem Gefäße befindlichen Figuren wiederspiegelten.

      »Bismillah, Sihdi, was habe ich da getrunken! Allah inhal el rhuschar, Allah verderbe dieses Faß; denn mir ist's in meiner Gurgel, als hätte ich die ganze Dschehenna hinuntergeschluckt mit zehn Millionen von Geistern und Teufeln!«

      »Dies ist der eine Teil deiner Strafe; der andere mag in der Wunde bestehen, welche dir Yussuf gestern gestoßen hat. Ihr seid quitt!«

      »Sihdi, die Wunde ist nicht so schlimm als dieses Ma-el-Zat. Paß auf, es wird mich im Augenblicke umbringen!«

      Ich hatte keine Lust, mich an dem weiteren Anblick des traurigen Djezzar-Bei zu weiden, und gab Josef, der mittlerweile aufgewacht und herbeigekommen war, den Befehl, die Tiere auf ein Reservefäßchen zu füllen, welches ich glücklicherweise bei mir führte. Dieses war nun jedenfalls vor den Angriffen Hassans sicher, der wohl nicht gleich wieder Appetit nach der Nuktha der Fröhlichkeit verspürte.

      Wir brachen auf und setzten unsere Wanderung bis gegen Mittag fort, wo wir zu unserem Erstaunen auf die Spur einer zahlreichen Karawane trafen.

      »Allah akbar, Gott ist groß,« meinte Hassan, der sich bisher sehr kleinlaut verhalten hatte; »er dürstet nie und kennt alle Wege der Wüste; was aber will diese Kaffilah im Ghud, wo es kaum eine Quelle giebt, aus welcher zwei Tiere genug zu trinken bekommen?«

      »Zählt die Spuren!« gebot ich.

      Wir fanden Eindrücke von Menschen-, Pferde- und Kamelsfüßen. Die Djemmels waren meist schwer beladen; wir hatten also eine Handelskarawane vor uns. Eine genaue Uebersicht ergab sechzig Lastkamele, elf Satteltiere, und zwei Fußgänger nebst drei Reitern zu Pferde, welche uns die Gewißheit gaben, daß sich die Karawane verirrt haben müsse, denn hier gab es für mehrere Tagereisen nicht so viel Wasser, um ein einziges Pferd zu erhalten.

      »Diese Kaffilah kommt aus Air und geht nach Safileh oder gar nach Tibesti,« bestimmte der Tebu.

      »Dann hat sie sich einem sehr unwissenden Führer anvertraut, daß sie sich so außerordentlich weit verirren konnte.«

      »Der Khabir ist nicht unwissend, Sihdi,« antwortete er mit einem eigentümlichen Lächeln um die aufgeworfenen Lippen. »Der Hedjahn-Bei nimmt in seiner Gum keinen Mann an, der die Wüste nicht kennt.«

      Was konnte er meinen? Der Gedanke, welcher mir kam, war allerdings ungeheuerlich.

      »Du denkst, der Khabir führt die Kaffilah in die Irre?«

      »So ist es, Sihdi. Ein Khabir kann sich um einige Fußbreit des Schattens irren, doch er kann nicht das Bab-el-Ghud mit dem Safileh verwechseln. Wenn er etwas nicht genau weiß, so hat er seinen Schech el Djemali (Obersten der Kameltreiber), den er fragen kann. Sieh diese Darb, Sihdi; die Djemmels sind nicht gegangen, sondern sie haben sich nur noch geschleppt. Liegt hier nicht ein leerer Schlauch, der hart ist wie Holz? Die Kaffilah hat kein Wasser mehr. Der Khabir führt sie dem Hedjahn-Bei entgegen, und sie wird untergehen, wenn wir ihr nicht Hilfe bringen.«

      »Dann vorwärts, ihr Leute, daß wir sie erreichen!«

      Ich wollte forteilen, doch der Tebu ergriff das Halfter meines Kameles.

      »Rabbena chaliëk, Gott erhalte dich, Sihdi, denn du gehst einer großen Gefahr entgegen, die du dir nicht mit den Augen deines Geistes angeschaut hast. Was wirst du dem Khabir sagen, wenn er dich fragt, was du im Sandmeer thust?«

      »Ich werde ihm sagen, daß ich von Sehliet komme, um nach Dongola zu reisen, und mich verirrt habe.