sich um den Kursker Bahnhof, die Idioten!“
„Nein, das meine ich nicht.“
Limontschik nahm Ussuris Unterstellung, er wolle einen Bandenkrieg vom Zaune brechen, gelassen hin. Er wusste, das war seine Art, Widerspruch heraus zu kitzeln, um schließlich doch die Antwort zu bekommen, die er gerne hören wollte.
„Ich glaube, wir haben eine Chance, einige von Tkatschenkos Leuten, die bisher mit Aladin gekungelt haben, auf unsere Seite zu ziehen. Wenn er sie denn mit nach Moskau bringt.“
„Und wie soll das gehen?“
„Wir könnten sie für uns gewinnen.“
„Häh?“ Ussuri war nun doch überrascht. Was sollte das?
Limontschik erklärte geduldig: „Wie ich gehört habe, sind die da unten ziemlich sauer auf den Alten. Seine Leute sind grob, wollen alles abgreifen, aber nicht so richtig teilen. Eben die alte Schutzgeld-Masche. Wenn wir ihnen hier in Moskau bessere Möglichkeiten bieten, zudem Sicherheitsgarantien und Geld – dann könnte das klappen.“
„Hm, mag sein. Aber kläre die Sicherheitslage. Dass für alle Fälle auch die Kämpfer bereit stehen. Ohne sie wird das möglicherweise nicht abgehen.“
Limontschik nickte zustimmend.
Ussuris Mobiltelefon klingelte. Es war eines seiner nicht registrierten Geräte, die er nach zwei, drei Anrufen schreddern ließ. „Hallo Chef“, meldete sich Nikititsch, ein schlichter Geist, aber eine treue Seele. „Treffen am übernächsten Sonnabend. 14.00 Uhr am nördlichen Flusshafen. Der Kahn heißt Aurora.“
„Die Morgenröte, wie passend! Ok, ich werde da sein. Wer kommt noch?“
„Alle, die etwas zu sagen haben.“
„Und Djadja Aladin?“
„Der alte Fettsack ist extra deshalb aus seinen Bergen heraus gekrochen. Kam vor zwei Tagen hier an und hält seitdem ununterbrochen Hof.“ Nikititsch kicherte verächtlich und fügte hinzu, „nützen wird es ihm nichts.“
Ussuri legte auf. Er nahm den Akku und die Sim-Karte heraus und warf das Prepaid-Telefon in den Müll zu den anderen.
“Mach mal den Fernseher an”, befahl er Limontschik. “Die Nachrichten kommen gleich.”
Limontschik schaltete das Gerät ein, auf dem Bildschirm erschien die hübsche Nachrichtensprecherin, deren Markenzeichen schwarze, straff nach hinten gekämmte Haare und große dunkle Augen waren. In getragenem Ton, als sei die Welt gerettet worden, vermeldete sie die Ereignisse aus dem nördlichen Teil der Föderation.
„Präsident Dmitri Lukanow hat heute den Konflikt um das Betonwerk in Chrenowo beigelegt. Die Belegschaft dankte ihm für seinen persönlichen Einsatz mit langanhaltendem Beifall…“
Ussuri lehnte sich befriedigt in seinem Ledersessel zurück. Das Ding war gelaufen, er wusste das schon seit Stunden. Seine Leute am Ort hatten ihn über eine sichere Leitung angerufen. Die örtliche Verwaltung hatte mitgespielt, ebenso das Management des Werkes. Und das Wichtigste: Das Geschäftliche war zur Zufriedenheit aller geregelt worden.
Nur noch mit halbem Ohr hörte er hin, wie Dima von der Verantwortung des Staates, des Unternehmertums im Allgemeinen und von seiner und des Unternehmers Babitschkin im Besonderen plauderte. Die Arbeiter hätten ein Recht auf soziale Sicherheit. Und wenn ein Besitzer eines Unternehmens sein Werk schließe, weil es nicht mehr rentabel sei, werde er, der Präsident, stets der erste sein, der sich für die Rechte der Werktätigen einsetze.
Befriedigt verfolgte Ussuri die Szene auf dem Bildschirm, in der Präsident Dima ein Papier unterschrieb, und dann den Eindruck erweckte, als zwinge er den Milliardär Babitschkin, es ihm gleich zu tun.
“Hier, unterschreiben Sie hier”, forderte der Kreml-Herr den Unternehmer im Befehlston auf. Der Milliardär folgte der Anweisung. Mit seiner Unterschrift verpflichtete er sich zu weiteren Zuwendungen an das eigentlich bankrotte Unternehmen. Als er wieder auf seinen Platz zurückkehren wollte, stoppte ihn der Präsident. “Hej, Babitschkin, der Stift gehört mir.”
Limontschik kicherte. “Mein Gott, an dem ist ja ein Schauspieler verloren gegangen! Sowas sieht man ja in keinem Mosfilm!”
Nur wenige Eingeweihte wussten, dass Babitschkin für seine devote Rolle und die finanziellen Verluste vorab mit Anteilen an staatlichen Zelluloseunternehmen im Norden entschädigt worden war. Das war dem Präsidenten die Show in der Provinz wert. Er wolle sein soziales Profil schärfen, pflegte er zu sagen. Er will, dass die Leute ihn für großartig und mitfühlend halten, flüsterten seine Aktenträger. Über die realen Abläufe machten sie sich, obwohl sie die nur ahnten, keine Illusionen.
Tatsächlich würde in Chrenowo ein Teil der Babitschkin-Gelder, abgesichert durch Scheinverträge, in Scheinfirmen fließen. An denen waren neben dem Management auch Bürokraten aus der örtlichen Verwaltung und natürlich er, Ussuri, beteiligt. Daran hatten seine Leute rechtzeitig gedreht.
Ohne sein Team, das er nach Chrenowo geschickt hatte, wären die örtlichen Betonköpfe doch nie auf die Idee gekommen, wichtige Verbindungsstraßen von den Arbeitern blockieren zu lassen. Die Bilder von der Straßenblockade, ausgestrahlt im Fernsehen, waren letztlich der Grund, der den Präsidenten zur Fahrt nach Chrenowo bewogen hatte.
Auf dem Breitwand-Plasmabildschirm tauchte für Sekunden das zufrieden lächelnde Gesicht des Staatschefs auf. Dann kam die präsidiale Fahrzeugkolonne ins Bild, bestehend aus schwarzen, gepanzerten deutschen Limousinen und Geländewagen, die in eine Staubwolke gehüllt das Werksgelände wieder verließ. Jubelnde Betonarbeiter hinter sich zurücklassend.
“Klasse gelaufen”, freute sich Limontschik. Er wusste so gut wie Ussuri selbst, dass das Unternehmen, von dem eine ganze Stadt lebte, tatsächlich unrentabel und zur Insolvenz verurteilt war. Jetzt, nach diesen Bildern, würde die Kreml-Mannschaft weitere Gelder nachschieben müssen. Chrenowo durfte nicht zum Symbol präsidialen Scheiterns werden. Dieser Umstand würde den Geldzufluss auf Jahre sichern.
Nun nickte auch Ussuri beifällig. Das musste man dem Präsidentendarsteller, wie er den Staatschef in vertrautem Kreise nannte, erst einmal nachmachen! Eine feine schauspielerische Leistung. Auch die Leute vom Fernsehen hatten ihre Sache gut gemacht.
“Hej, Limontschik, lass doch dem Team, das heute in Chrenowo gearbeitet hat, einen Umschlag mit ein paar Dollar zukommen. Vergiss auch unsere Lieblings-TV-Sprecherin nicht.”
“Geht in Ordnung, Chef.”
Ussuri goss sich etwas Tee nach. Bester Gun Powder, sein Faktotum besorgte ihn über die chinesische Linie. Andachtsvoll zündete er sich eine kubanische Zigarre an, die ihm ein Geschäftspartner aus Florida mitgebracht hatte. Zigarren waren das einzige Laster, das er sich gönnte. Er trank prinzipiell keinen Alkohol. Säufer haben ein kurzes Leben, pflegte er zu sagen, wurde er zum Mittrinken aufgefordert. Nicht nur einer seiner Freunde war im Verlaufe seines Aufstiegs wegen dieser Schwäche auf der Strecke geblieben. Der Kopf arbeitete langsamer, man wurde leichtsinnig, die Reflexe ließen nach. Das, so hatte er sich an der Leiche eines im Suff erschossenen Kumpels geschworen, sollte ihm nicht passieren.
Seine blassen, kräftigen langgliedrigen Finger mit sorgfältig gepflegten Fingernägeln umspannten die Teetasse. Wollte man von seinen Händen auf seinen Beruf schließen, käme am ehesten wohl eine künstlerische Tätigkeit in Frage. Das wurde unterstrichen durch ein schmales, blasses Gesicht, das ihm ein ätherisches Aussehen verlieh.
Nur wer versuchte, ihm in die Augen zu blicken, erkannte instinktiv, dass er es mit einer äußerst gefährlichen Spezies zu tun hatte. Es war lange her, dass sich ein überheblicher Dummkopf erdreistet hatte, ihn einen „schwulen Schauspieler“ zu nennen. Das sollte doch nur ein Scherz sein, jammerte der Scherzbold, bevor Ussuri ihm das Lebenslicht ausblies. “Ich mag solche Scherze nicht”, gab er dem bereits Toten mit auf den Weg.
Ussuri war stolz auf sein gepflegtes Äußeres. Er gefiel sich in seinem schwarzen Maßanzug, zu dem er stets ein schwarzes T-Shirt und schwarze, maßangefertigte Schuhe trug. Seinen Palast, ausgebaut