Marc Aurel

Wege zu sich selbst


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sein Dienst: ihn rein zu erhalten von Leidenschaft, von Unbesonnenheit und von Unlust über das, was von Göttern und Menschen geschieht. Denn die Handlungen der Götter zu ehren, gebietet die Tugend und mit denen der Menschen sich zu befreunden die Gleichheit der Abkunft, obwohl die letzteren allerdings auch zuweilen etwas Klägliches haben, weil so Viele nicht wissen, was Güter und was Uebel sind, – eine Blindheit, nicht geringer als die, wenn man Schwarz und Weiss nicht unterscheiden kann.

      11. Und wenn Du 3000 Jahre leben solltest, ja noch 10 Mal mehr, es hat ja doch Niemand ein anderes Leben zu verlieren, als eben das, was erlebt, so wie Niemand ein anderes lebt, als was er einmal verlieren wird. Und so läuft das längste wie das kürzeste auf dasselbe hinaus. Denn das Jetzt ist das Gleiche für Alle, wenn auch das Vergangene nicht gleich ist, und der Verlast des Lebens erscheint doch so als ein Jetzt, indem Niemand verlieren kann weder was vergangen noch was zukünftig ist. Oder wie sollte man Einem Etwas abnehmen können, was er nicht besitzt? – An die beiden Dinge also müssen wir denken: einmal, dass Alles seiner Idee nach unter sich gleichartig ist und von gleichem Verlauf, und dass es keinen Unterschied macht, ob man 100 oder 200 Jahre lang oder ewig Ein und Dasselbe sieht. Und dann, dass auch der, der am Längsten gelebt hat, doch nur dasselbe verliert, wie der, der sehr bald stirbt. Denn nur das Jetzt ist es, dessen man beraubt werden kann, weil man nur dieses besitzt, und Niemand verlieren kann, was er nicht hat.

      12. Die Seele des Menschen thut sich selbst den grössten Schaden, wenn sie sich von der Natur abzusondern, gleichsam aus ihr herauszuwachsen strebt. So, wenn sie unzufrieden ist über irgend Etwas, das sich ereignet. Es ist dies ein entschiedener Abfall von der Natur, in der ja diese eigenthümliche Verkettung der Umstände begründet ist. Ebenso, wenn sie Jemand verabscheut oder anfeindet oder im Begriff ist, Jemand weh zu thun, wie allemal im Zorn. Ebenso wenn sie von Lust oder von Schmerz sich hinnehmen lässt; oder wenn sie heuchelt, heuchlerisch und unwahr Etwas thut oder spricht; oder wenn ihre Handlungen und Triebe keinen Zweck haben, sondern in's Blaue hinausgehen und über sich selbst völlig im Unklaren sind. Denn auch das Kleinste muss in Beziehung zu einem Zweck gesetzt werden. Der Zweck aber aller vernunftbegabten Wesen ist: den Principien und Normen des ältesten Gemeinwesens Folge zu leisten.

      13. Das menschliche Leben ist, was seine Dauer betrifft, ein Punkt; des Menschen Wesen flüssig, sein Empfinden trübe, die Substanz seines Leibes leicht verweslich, seine Seele – einem Kreisel vergleichbar, sein Schicksal schwer zu bestimmen, sein Ruf eine zweifelhafte Sache. Kurz, alles Leibliche an ihm ist wie ein Strom, und alles Seelische ein Traum, ein Rauch: sein Leben Krieg und Wanderung, sein Nachruhm die Vergessenheit. Was ist es nun, das ihn über das Alles zu erheben vermag? Einzig die Philosophie, sie, die uns lehrt, den göttlichen Funken, den wir in uns tragen, rein und unverletzt zu erhalten, dass er Herr sei über Freude und Leid, dass er Nichts ohne Ueberlegung thue, Nichts erlüge und erheuchele und stets unabhängig sei von dem, was Andere thun oder nicht thun, dass er Alles, was ihm widerfährt und zugetheilt wird, so aufnehme, als komme es von da, von wo er selbst gekommen, und dass er endlich den Tod mit heiterem Sinn erwarte, als den Moment der Trennung aller der Elemente, aus denen jegliches lebendige Wesen besteht. Denn wenn den Elementen dadurch nichts Schlimmes widerfährt, dass sie fortwährend in einander übergehen, weshalb sollte man sich scheuen vor der Verwandlung und Lösung aller auf einmal? Vielmehr ist dies das Naturgemässe, und das Naturgemässe ist niemals vom Uebel.

      Drittes Buch

      1. Wir müssen uns nicht blos sagen, dass das Leben mit jedem Tage schwindet und ein immer kleinerer Theil davon übrig bleibt, sondern auch bedenken, dass es ja ungewiss ist, wenn man ein längeres Leben vor sich hat, ob sich die Geisteskräfte immer gleichbleiben und zum Verständniss der Dinge, so wie zu all' den Wahrnehmungen und Betrachtungen hinreichen werden, welche uns auf dem Gebiete des Göttlichen und Menschlichen erfahren machen. Denn wie Viele werden im Alter nicht kindisch! und bei wem ein solcher Zustand eingetreten ist, dem fehlt es zwar nicht an der Fähigkeit zu athmen, sich zu nähren, sich Etwas vorzustellen und Etwas zu begehren; aber das Vermögen, sich frei zu bestimmen, die Reihe der Pflichten, die ihm obliegen, zu überschauen, die Erscheinungen sich zu zergliedern und darüber, ob's Zeit zum Sterben sei oder was sonst einer durchaus geweckten Denkkraft bedarf, sich klar zu werden – das ist bei ihm erloschen. Also eilen muss man, nicht blos weil uns der Tod mit jedem Tage näher tritt, sondern auch weil die Fähigkeit, die Dinge zu betrachten und zu verfolgen, oft vorher aufhört.

      2. Merkwürdig ist, wie an den Erzeugnissen der Natur auch das, was nur beiläufige Merkmale sind, einen gewissen Reiz ausübt. So machen z.B. die Risse und Sprünge im Brot, die gewissermassen gegen die Absicht des Bäckers sind, die Esslust besonders rege. Ebenso bei den Feigen, die, wenn sie überreif sind, aufbrechen, und bei den Oliven, die gerade wegen der Stellen geschätzt werden, wo sie nahe daran sind faul zu werden. Die niederhängenden Aehren, die Stirnfalte des Löwen, der Schaum am Munde des Ebers und manches Andere dergleichen hat freilich keinen Reiz, wenn man's für sich betrachtet; aber weil es uns an den Werken der Natur und im Zusammenhange mit ihnen entgegentritt, erscheint es als eine Zierde und wirkt anziehend. Fehlt es uns also nur nicht an Empfänglichkeit und an Tiefe des Blicks in die Welt der Dinge, so werden wir kaum Etwas von solchen Nebenumständen auffinden, was uns nicht angenehm däuchte. Ebenso werden wir dann aber auch z.B. wirkliche Thierkämpfe nicht weniger gern ansehen, als die Darstellungen, die uns Maler und Bildhauer davon geben; und unser keusches Auge wird mit gleichem Wohlgefallen auf der würdigen Gestalt des Greises wie auf der liebreizenden des Mädchens ruhen. Doch gehört dazu eben eine innige Vertrautheit mit der Natur und ihren Werken. –

      3. Hippokrates hat viele Krankheiten geheilt, dann ist er selbst an einer Krankheit gestorben. Die Chaldäer weissagten Vielen den Tod, dann hat sie selber das Geschick ereilt. Alexander, Pompejus, Cäsar – nachdem sie so manche Stadt von Grund aus zerstört und in der Schlacht so viele Tausende ums Leben gebracht, schieden sie selbst aus dem Leben. Heraklit, der über den Weltbrand philosophirt, starb an der Wassersucht, den Demokrit brachte das Ungeziefer um, den Sokrates – ein Ungeziefer anderer Art. Kurz, zu einem Jeden heisst es einmal: Du bist eingestiegen, gefahren, im Hafen eingelaufen: so steige nun aus! Geht's in ein anderes Leben – gewiss in kein's, das ohne Götter ist. Ist's aber ein Zustand der Unempfindlichkeit – auch gut: wir hören auf von Leid und Freude hingehalten zu werden und verlassen ein Behältniss von um so schlechterer Art je edler der Eingeschlossene, denn der ist Geist und göttlichen Wesens, jenes aber Staub und Materie.

      4. Verschwende Deine Zeit nicht mit Gedanken über das, was Andere angeht, es sei denn, dass Du. Jemand damit erspriesslich sein kannst. Du versäumst offenbar nothwendigere Dinge, wenn Dich Nichts weiter beschäftigt, als was Der und Teuer macht und aus welchem Grunde er so handelt, was er sagt oder will oder anstellt. So Etwas zieht den Geist nur ab von der Beobachtung seiner selbst. Man muss alles Eitle und Vergebliche aus der Kette der Gedanken zu entfernen suchen, vorzüglich alle müssige und nichtswürdige Neugier, und sich nur an solche Gedanken gewöhnen, über die wir sofort, wenn uns Jemand fragt, was wir gerade denken, gern und mit aller Offenheit Rechenschaft geben können, so dass man gleich sieht: hier ist Alles lauter und gut und so wie es einem Gliede der menschlichen Gesellschaft geziemt, hier wohnt Nichts von Genusssucht und Lüsternheit, Nichts von Zank oder Neid oder Misstrauen, Nichts von alle dem, wovon der Mensch nur mit Erröthen gestehen kann, dass es seine Seele beschäftige. Und ein solcher Mensch – dem es nun ja auch nicht an dem Streben nach Auszeichnung fehlen kann – ist ein Priester und Diener der Götter, der des Gottes in ihm zu gebrauchen weiss, so dass ihn keine Lust beflecken, kein Schmerz verwunden, kein Stolz berücken, nichts Böses überhaupt ihn reizen kann; er ist ein Held in jenem grossen Kampfe gegen die Leidenschaft, und eingetaucht in das Wesen der Gerechtigkeit vermag er jegliches Geschick von ganzer Seele zu begrüssen. Ein solcher Mensch aber denkt selten und nur, wenn es das allgemeine Beste erfordert, an das was Andere sagen oder thun oder meinen. Sondern die eigene Pflicht ist der einzige Gegenstand seines Thuns, so wie was ihm das Schicksal gesponnen im Gewebe des Ganzen der Hauptgegenstand seines Nachdenkens. Dort hält er Tugend, hier den guten Glauben. Und in der That ist Jedem zuträglich, was sich mit ihm zuträgt nach dem Willen des Schicksals. Stets ist er eingedenk, dass alle Vernunftwesen einander verwandt sind, und dass es zur menschlichen Natur gehört für Andere zu sorgen. Nach Ansehen strebt er nur bei denen, die ein naturgemässes Leben führen, da er ja weiss, was