Wirtin“, sagte K., noch ehe die Gehilfen antworteten, „es sind meine Gehilfen, Sie aber behandeln sie so, wie wenn es Ihre Gehilfen, aber meine Wächter wären. In allem andern bin ich bereit, höflich über Ihre Meinungen zumindest zu diskutieren, hinsichtlich meiner Gehilfen aber nicht, denn hier liegt die Sache doch zu klar! Ich bitte Sie daher, mit meinen Gehilfen nicht zu sprechen, und wenn meine Bitte nicht genügen sollte, verbiete ich meinen Gehilfen, Ihnen zu antworten.“
„Ich darf also nicht mit Euch sprechen“, sagte die Wirtin und alle drei lachten, die Wirtin spöttisch, aber sanfter, als K. es erwartet hatte, die Gehilfen in ihrer gewöhnlichen, viel und nichts bedeutenden, jede Verantwortung ablehnenden Art. „Werde nur nicht böse“, sagte Frieda, „du musst unsere Aufregung richtig verstehen. Wenn man will, verdanken wir es nur Barnabas, dass wir jetzt einander gehören. Als ich dich zum ersten Mal im Ausschank sah – du kamst herein, eingehängt in Olga – wusste ich zwar schon einiges über dich, aber im Ganzen warst du mir doch völlig gleichgültig. Nun, nicht nur du warst mir gleichgültig, fast alles, fast alles war mir gleichgültig. Ich war ja auch damals mit vielem unzufrieden und manches ärgerte mich, aber was war das für eine Unzufriedenheit und was für ein Ärger. Es beleidigte mich z. B. einer der Gäste im Ausschank, sie waren ja immer hinter mir her – du hast die Burschen dort gesehen, es kamen aber noch viel ärgere, Klamms Dienerschaft war nicht die ärgste – also einer beleidigte mich, was bedeutete mir das? Es war mir, als sei es vor vielen Jahren geschehen, oder als sei es gar nicht mir geschehen, oder als hätte ich es nur erzählen hören, oder als hätte ich selbst es schon vergessen. Aber ich kann es nicht beschreiben, ich kann es mir nicht einmal mehr vorstellen, so hat sich alles geändert, seitdem Klamm mich verlassen hat.“ – Und Frieda brach ihre Erzählung ab, traurig senkte sie den Kopf, die Hände hielt sie gefaltet im Schoß.
„Sehen Sie“, rief die Wirtin, und sie tat es so, als spreche sie nicht selbst, sondern leihe nur Frieda ihre Stimme, sie rückte auch näher und saß nun knapp neben Frieda, „sehen Sie nun, Herr Landvermesser, die Folgen Ihrer Taten, und auch Ihre Gehilfen, mit denen ich ja nicht sprechen darf, mögen zu ihrer Belehrung zusehen. Sie haben Frieda aus dem glückseligsten Zustand gerissen, der ihr je beschieden war, und es ist Ihnen vor allem deshalb gelungen, weil Frieda mit ihrem kindlich übertriebenen Mitleid es nicht ertragen konnte, dass Sie an Olgas Arm hingen und so der Barnabas'schen Familie ausgeliefert schienen. Sie hat Sie gerettet und sich dabei geopfert. Und nun, da es geschehen ist und Frieda alles, was sie hatte, eingetauscht hat für das Glück, auf Ihrem Knie zu sitzen, nun kommen Sie und spielen es als Ihren großen Trumpf aus, dass Sie einmal die Möglichkeit hatten, bei Barnabas übernachten zu dürfen. Damit wollen Sie wohl beweisen, dass Sie von mir unabhängig sind. Gewiss, wenn Sie wirklich bei Barnabas übernachtet hätten, wären Sie so unabhängig von mir, dass Sie im Nu, aber aller schleunigst, mein Haus verlassen müssten.“
„Ich kenne die Sünden der Barnabas'schen Familie nicht“, sagte K., während er Frieda, die wie leblos war, vorsichtig aufhob, langsam auf das Bett setzte und selbst aufstand, „vielleicht haben Sie darin Recht, aber ganz gewiss hatte ich Recht, als ich Sie ersucht habe, unsere Angelegenheiten, Friedas und meine, uns beiden allein zu überlassen. Sie erwähnten damals etwas von Liebe und Sorge, davon habe ich dann aber weiter nicht viel gemerkt, desto mehr aber von Hass und Hohn und Hausverweigerung. Sollten Sie es darauf angelegt haben, Frieda von mir oder mich von Frieda abzubringen, so war es ja recht geschickt gemacht, aber es wird Ihnen doch, glaube ich, nicht gelingen, und wenn es Ihnen gelingen sollte, so werden Sie es – erlauben Sie auch mir einmal eine dunkle Drohung – bitter bereuen. Was die Wohnung betrifft, die Sie mir gewähren – Sie können damit nur dieses abscheuliche Loch meinen – so ist es durchaus nicht gewiss, dass Sie es aus eigenem Willen tun, vielmehr scheint darüber eine Weisung der gräflichen Behörde vorzuliegen. Ich werde nun dort melden, dass mir hier gekündigt worden ist – und wenn man mir dann eine andere Wohnung zuweist, werden Sie wohl befreit aufatmen, ich aber noch tiefer. Und nun gehe ich in dieser und in anderen Angelegenheiten zum Gemeindevorsteher, bitte, nehmen Sie sich wenigstens Friedas an, die Sie mit Ihren sozusagen mütterlichen Reden übel genug zugerichtet haben.“
Dann wandte er sich an die Gehilfen. „Kommt“, sagte er, nahm den Klamm'schen Brief vom Haken und wollte gehn. Die Wirtin hatte ihm schweigend zugesehen, erst als er die Hand schon auf der Türklinke hatte, sagte sie: „Herr Landvermesser, noch etwas gebe ich Ihnen mit auf den Weg, denn welche Reden Sie auch führen mögen und wie Sie mich auch beleidigen wollen, mich alte Frau, so sind Sie doch Friedas künftiger Mann. Nur deshalb sage ich es Ihnen, dass Sie hinsichtlich der hiesigen Verhältnisse entsetzlich unwissend sind, der Kopf schwirrt einem, wenn man Ihnen zuhört und wenn man das, was Sie sagen und meinen, in Gedanken mit der wirklichen Lage vergleicht. Zu verbessern ist diese Unwissenheit nicht mit einem Male und vielleicht gar nicht, aber vieles kann besser werden, wenn Sie mir nur ein wenig glauben und sich diese Unwissenheit immer vor Augen halten. Sie werden dann z. B. sofort gerechter gegen mich werden und zu ahnen beginnen, was für einen Schrecken ich durchgemacht habe – und die Folgen des Schreckens halten noch an –, als ich erkannt habe, dass meine liebste Kleine gewissermaßen den Adler verlassen hat, um sich der Blindschleiche zu verbinden, aber das wirkliche Verhältnis ist ja noch viel schlimmer, und ich muss es immerfort zu vergessen suchen, sonst könnte ich kein ruhiges Wort mit Ihnen sprechen. Ach nun sind Sie wieder böse. Nein, gehen Sie noch nicht, nur diese Bitte hören Sie noch an: Wohin Sie auch kommen, bleiben Sie sich dessen bewusst, dass Sie hier der Unwissendste sind und seien Sie vorsichtig; hier bei uns, wo Friedas Gegenwart Sie vor Schaden schützt, mögen Sie sich dann das Herz frei schwätzen, hier können Sie uns dann z. B. zeigen, wie Sie mit Klamm zu sprechen beabsichtigen, nur in Wirklichkeit, nur in Wirklichkeit, bitte, bitte, tun Sie’s nicht.“
Sie stand auf, ein wenig schwankend vor Aufregung, ging zu K., fasste seine Hand und sah ihn bittend an. „Frau Wirtin“, sagte K., „ich verstehe nicht, warum Sie wegen einer solchen Sache sich dazu erniedrigen, mich zu bitten. Wenn es, wie Sie sagen, für mich unmöglich ist, mit Klamm zu sprechen, so werde ich es eben nicht erreichen, ob man mich bittet oder nicht. Wenn es aber doch möglich sein sollte, warum soll ich es dann nicht tun, besonders da dann mit dem Wegfall Ihres Haupteinwandes auch Ihre weiteren Befürchtungen sehr fraglich werden. Freilich, unwissend bin ich, die Wahrheit bleibt jedenfalls bestehen, und das ist sehr traurig für mich, aber es hat doch auch den Vorteil, dass der Unwissende mehr wagt, und deshalb will ich die Unwissenheit und ihre gewiss schlimmen Folgen gerne noch ein Weilchen tragen, solange die Kräfte reichen. Diese Folgen aber treffen doch im Wesentlichen nur mich, und deshalb vor allem verstehe ich nicht, warum Sie bitten. Für Frieda werden Sie doch gewiss immer sorgen, und verschwinde ich gänzlich aus Friedas Gesichtskreis, kann es doch in Ihrem Sinn nur ein Glück bedeuten. Was fürchten Sie also? Sie fürchten doch nicht etwa – dem Unwissenden scheint alles möglich“, hier öffnete K. schon die Tür – „Sie fürchten doch nicht etwa für Klamm?“ Die Wirtin sah ihm schweigend nach, wie er die Treppe hinabeilte und die Gehilfen ihm folgten.
5. Kapitel
[Beim Vorsteher]
Die Besprechung mit dem Vorsteher machte K. zu seiner eigenen Verwunderung wenig Sorgen. Er suchte es sich dadurch zu erklären, dass nach seinen bisherigen Erfahrungen der amtliche Verkehr mit den gräflichen Behörden für ihn sehr einfach gewesen war. Das lag einerseits daran, dass hinsichtlich der Behandlung seiner Angelegenheit offenbar ein für alle Mal ein bestimmter, äußerlich ihm sehr günstiger Grundsatz ausgegeben worden war, und andererseits lag es an der bewunderungswürdigen Einheitlichkeit des Dienstes, die man besonders dort, wo sie scheinbar nicht vorhanden war, als eine besonders vollkommene ahnte. K. war, wenn er manchmal nur an diese Dinge dachte, nicht weit davon entfernt, seine Lage zufrieden stellend zu finden, trotzdem er sich immer nach solchen Anfällen des Behagens schnell sagte, dass gerade darin die Gefahr lag. Der direkte Verkehr mit den Behörden war ja nicht allzu schwer, denn die Behörden hatten, so gut sie auch organisiert sein mochten, immer nur im Namen entlegener unsichtbarer Herrn entlegene unsichtbare Dinge zu verteidigen, während K. für etwas lebendigst Nahes kämpfte, für sich selbst, überdies zumindest in der allerersten Zeit aus eigenem Willen, denn er war der Angreifer, und nicht nur er kämpfte für sich, sondern offenbar noch andere Kräfte, die er nicht kannte, aber