Giacomo Casanova

Erinnerungen aus galanter Zeit


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ich, »habe ich denn einen Bart?«

      »Ich glaubte es«, erwiderte sie.

      »In diesem Falle werde ich mich in Rom rasieren lassen, denn es ist das erstemal, daß mir dieser Vorwurf gemacht wird.«

      »Nein, liebe Frau«, sagte der Advokat, »du hättest schweigen sollen, denn es ist möglich, daß der Herr nach Rom geht, um Kapuziner zu werden.«

      Dieser Einfall brachte mich zum Lachen; da ich ihm aber nicht die Antwort schuldig bleiben wollte, so sagte ich, er habe recht, aber die Lust sei mir vergangen, seitdem ich Madame gesehen.

      »Sie haben unrecht«, entgegnete der muntere Neapolitaner, »denn meine Frau liebt sehr die Kapuziner, und wenn Sie ihr gefallen wollen, brauchen Sie Ihren Beruf nicht zu ändern.«

      Da diese spaßhaften Plaudereien zu vielen andern Anlaß gaben, so verging uns der Tag auf eine angenehme Weise, und am Abend entschädigte uns eine mannigfaltige und geistreiche Unterhaltung für das schlechte Abendessen, welches man uns in Garillano vorsetzte. Meine entstehende Neigung wuchs durch die zuvorkommenden Manieren derer, die sie hervorgerufen hatten. Am folgenden Tage fragte mich die liebenswürdige Dame, sobald wir den Wagen bestiegen hatten, ob ich mich vor der Rückkehr einige Zeit in Rom aufzuhalten gedächte. Ich antwortete ihr, daß ich mich zu langweilen fürchtete, da ich niemand kenne.

      »Man liebt in Rom die Fremden, und ich bin sicher, daß Sie sich daselbst gefallen werden.«

      »Ich darf also hoffen, Madame, daß Sie mir erlauben werden, Ihnen die Cour zu machen.«

      »Sie würden uns eine Ehre erweisen«, sagte der Advokat. Meine Augen waren auf seine reizende Frau gerichtet, und ich sah sie erröten, tat aber so, als ob ich es nicht merkte. Unter fortwährendem Geplauder verging uns dieser Tag auf eine ebenso angenehme Weise wie der vorige. Wir übernachteten in Terracina, wo man uns ein Zimmer mit drei Betten gab, zwei engen und einem breiteren in der Mitte. Es war natürlich, daß die beiden Schwestern zusammen schliefen und sich in das große Bett legten, während der Advokat und ich ihnen den Rücken zudrehten und weiter plauderten. Sobald die Damen sich zu Bette gelegt hatten, begab sich auch der Advokat in sein Bett, auf welchem er seine Nachtmütze liegen sah, und ich mich in das andere, welches nur einen Fuß breit von dem großen Bette entfernt war. Ich sah, daß der Gegenstand, der mich schon fesselte, auf meiner Seite lag, und ich glaubte mir ohne Eitelkeit einbilden zu können, daß der Zufall allein dies nicht so gefügt hätte. Ich löschte das Licht aus und legte mich nieder, in meinem Kopfe einen Plan herumwälzend, welchen ich weder zu befolgen noch zu verwerfen wagte. Vergeblich rief ich den Schlaf herbei. Ein sehr schwacher Lichtschimmer, welcher mir das Bett, in welchem das reizende Weib lag, zu sehen erlaubte, zwang mich, die Augen offen zu halten. Wer weiß, wozu ich mich entschlossen haben würde, denn ich kämpfte seit einer Stunde, als ich sie aufrichten, sachte aus ihrem Bette schlüpfen, um dieses herumgehen, und sich in das Bett ihres Mannes legen sah, der ohne Zweifel ruhig weiterschlief, denn ich hörte keinen Lärm mehr. Von Ärger und Ekel erfüllt, rief ich den Schlaf mit allen Kräften herbei und wachte erst am Morgen auf. Da ich die schöne Nachtwandlerin in ihrem Bette sah, stand ich auf, und nachdem ich mich schnell angekleidet, ging ich hinaus, während die andern alle noch in tiefem Schlafe lagen. Erst im Augenblicke der Abreise und als der Advokat und die Damen schon im Wagen saßen, kehrte ich ins Gasthaus zurück. Meine schöne Dame beklagte sich mit sanfter und zuvorkommender Miene, daß ich ihren Kaffee nicht getrunken, ich entschuldigte mich damit, daß ich das Bedürfnis, spazieren zu gehen, gefühlt, und hütete mich, sie mit einem einzigen Blicke zu beehren; und unter dem Scheine, Zahnschmerzen zu haben, überließ ich mich meiner üblen Laune und dem Schweigen. Als wir in Piperno ankamen, fand sie Gelegenheit, mir zu sagen, daß meine Zahnschmerzen bestellt wären, und dieser Vorwurf war mir angenehm, denn er ließ mich eine Erklärung ahnen, die zu wünschen ich mich trotz meiner Verstimmung nicht enthalten konnte. Am Nachmittage war ich wie am Morgen düster und schweigend bis Sermoneta, wo wir schlafen sollten. Wir kamen frühzeitig an, und da der Tag schön war, so sagte Madame, sie würde gern noch eine Promenade machen, und bat mich um meinen Arm. Ich gab ihr den Arm um so eher, als die Höflichkeit mir nicht gestattete, ihn zu verweigern. Ich war in übler Stimmung, nur eine Erklärung konnte den früheren Zustand wieder herbeiführen, aber ich wußte nicht, wie ich dazu gelangen sollte. Ihr Mann folgte uns mit ihrer Schwester, aber in ziemlicher Entfernung. Sobald wir von diesen ziemlich entfernt waren, faßte ich mir den Mut, sie zu fragen, weshalb sie meine Zahnschmerzen für bestellt gehalten hätte.

      »Ich bin offen«, sagte sie, »wegen des zu deutlichen Unterschiedes im Benehmen, und weil Sie sich ersichtliche Mühe gegeben, mich im Laufe des Tages nicht einmal anzusehen. Da die Zahnschmerzen Sie nicht hindern konnten, höflich zu sein, habe ich Sie für affektiert halten müssen. Übrigens weiß ich nicht, wer von uns Ihnen Ursache gegeben, so plötzlich Ihre Laune zu ändern.«

      »Dennoch muß eine Veranlassung dazu vorhanden sein, und Sie, Madame, sind nur halb aufrichtig.«

      »Sie täuschen sich, mein Herr, ich bin es ganz, und wenn ich Ihnen einen Grund gegeben, so kenne ich ihn nicht oder darf ihn nicht kennen. Haben Sie die Güte, mir zu sagen, worin ich mich gegen Sie vergangen habe?«

      »In nichts, denn ich habe kein Recht, Ansprüche zu machen.«

      »Allerdings haben Sie Rechte, dieselben wie ich, mit einem Worte diejenigen, welche die gute Gesellschaft allen ihren Mitgliedern zugesteht. Sprechen Sie und seien Sie offen.«

      »Sie dürfen den Grund nicht kennen oder müssen vielmehr so tun, als ob sie ihn nicht kennen, das ist richtig, aber Sie werden auch zugeben, daß meine Pflicht mir verbietet, Ihnen den rechten zu nennen.«

      »Nun wohl. Jetzt ist alles gesagt; wenn aber Ihre Pflicht Sie nötigt, mir den Grund Ihrer veränderten Laune nicht zu sagen, so fordert sie ebenso gebieterisch, daß Sie nichts davon sehen lassen. Das Zartgefühl verpflichtet zuweilen den höflichen Mann, gewisse Gefühle, welche kompromittieren können, zu verbergen. Es ist ein Zwang, den sich der Geist auferlegen muß, aber er hat seinen Wert, da er dazu beiträgt, denjenigen, welcher sich ihn auferlegt, liebenswürdiger zu machen.«

      Ein mit solcher Stärke vorgebrachtes Räsonnement ließ mich vor Scham erröten, und ich drückte meine Lippen auf ihre schöne Hand, indem ich mein Anrecht eingestand.

      »Sie würden mich«, sagte ich, »es zu Ihren Füßen abbüßen sehen, wenn ich es könnte, ohne Sie bloßzustellen.«

      »Sprechen wir also nicht mehr davon«, sagte sie; und gerührt von meiner raschen Reue betrachtete sie mich mit einer Miene, in welcher die Verzeihung so deutlich zu lesen war, daß ich meine Schuld nicht zu vergrößern glaubte, als ich meine Lippen von ihrer Hand wegnahm, um sie aus ihren halbgeöffneten und lachenden Mund zu drücken. Trunken von Glück ging ich von Traurigkeit zur Freude über, und dieser Übergang war so schnell, daß der Advokat während des Abendessens hundert Späße über meine Zahnschmerzen und den Spaziergang, der mich geheilt, machte. Am folgenden Tage speisten wir in Velletri und schliefen in Marino, wo wir zwei kleine Zimmer und ein sehr gutes Abendessen fanden. Ich war mit meiner liebenswürdigen Römerin so gut daran, wie ich nur wünschen konnte, obwohl ich nur ein flüchtiges, aber so wahres, so zärtliches Unterpfand empfangen. Im Wagen sagten sich unsere Augen nicht viel; da wir uns aber gegenübersaßen, so wurde die Unterhaltung der Füße mit großer Beredsamkeit zwischen uns geführt. Der Advokat hatte mir gesagt, daß er sich wegen einer geistlichen Sache nach Rom begäbe und daß er bei seiner Schwiegermutter wohnen würde, welche seine Frau zu sehen wünschte, da sie diese seit den zwei Jahren, wo sie verheiratet wären, nie gesehen hätte, und daß ihre Schwester dort zu bleiben hoffte, da sie einen Beamten an der Bank des heiligen Geistes heirate. Da ich ihre Adresse hatte und zum Besuche bei ihnen eingeladen wurde, so versprach ich, ihnen die Zeit, welche mir meine Geschäfte übrig lassen würden, zu widmen. Wir waren beim Dessert, als meine Schöne, welche meine Dose bewunderte, zu ihrem Manne sagte, daß sie wohl eine ähnliche wünschte.

      »Ich werde sie dir kaufen, meine Teure.«

      »Kaufen Sie diese, sagte ich, ich gebe sie Ihnen für zwanzig Unzen und Sie werden sie an den Überbringer einer Anweisung, die Sie mir ausstellen, zahlen. Ich bin«, fügte ich hinzu, »diese Summe einem Engländer schuldig,