Philip Mirowski

Untote leben länger


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(CEDICE), das Centar za slobodno tržište (Belgrad), das Liberty Institute (Rumänien) und Unirule (Peking).41 Die Stiftung diente unter anderem als Geldwaschanlage, die Spenden von Konzernen wie Philip Morris und Exxon an stärker spezialisierte Think-Tanks weiterleitete. Zur effektiveren Verbreitung der Arbeitsergebnisse der inneren Puppen schuf das Denkkollektiv später außerdem eine journalistische Ebene, mit der etwa Rupert Murdochs News Corporation,42 die Bertelsmann AG und ein breites Spektrum an Blogs und Social-Networking-Webseiten verbunden sind.

      Gegenüber Sponsoren haben die Betreiber der russischen Schachtelpuppe offen zugegeben, dass es sich bei diesen Institutionen um ein integriertes System zur Produktion politischer Ideen handelt. Richard Fink zum Beispiel, der maßgeblich daran beteiligt war, die George Mason University durch direkte Beziehungen zur Koch Foundation (deren Präsident er später wurde) zu einem neoliberalen Vorposten auszubauen, teilte potenziellen Förderern mit,

      »die Umsetzung von Ideen in Taten erfordere die Entwicklung geistiger Rohstoffe, ihre Verwandlung in spezifische politische Handelsartikel und die Vermarktung und Distribution dieser Produkte an die Bürger resp. Verbraucher. Förderern empfahl Fink, entlang der gesamten Produktionskette in den Wandel zu investieren: in Wissenschaftler und Universitätsprogramme, die den geistigen Rahmen für gesellschaftliche Transformationen entwickeln, in Think-Tanks, die wissenschaftliche Ideen in politische Vorschläge übersetzen, und in Implementierungsgruppen, die diese Vorschläge auf den politischen Markt und schließlich an die Verbraucher bringen.«43

      Ungeachtet der Rhetorik von Märkten und Verbrauchern handelte es sich in Wirklichkeit um eine vertikal integrierte Reihe von Operationen, deren Konturen schließlich in den Achtzigerjahren deutlich wurden. Die Ebene der Think-Tanks wuchs Hand in Hand mit der internationalen Präsenz der MPS, wie Abb. 2.1 zeigt. Solche Indikatoren lassen erahnen, wie viel Vorarbeit das NDK leistete, bevor seinem von Fink beschriebenen Projekt in den Achtzigerjahren der Durchbruch gelang.

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      Quelle: Walpen, Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft

      Je weiter wir in die Gegenwart vorrücken, umso mehr äußere Schichten weist die Schachtelpuppe auf. So stehen etwa hinter vermeintlichen Graswurzelbewegungen, die punktuelle – oftmals religiös ausgerichtete – Kampagnen durchführen, mitunter in Wirklichkeit sogenannte Astroturf-Organisationen (dt. »Kunstrasen«).44 Der Anschein spontaner Organisation ist dabei oft genauso wichtig wie die konkrete politische Aufgabe der jeweiligen Astroturf-Kampagne. Dass die einer bestimmten Ebene zugeordneten Akteure mehrere Rollen gleichzeitig spielen und zwischen den verschiedenen Ebenen vielfältige starke Verbindungen existieren, blieb Außenstehenden meist verborgen, da ihr Blick nur selten über die einzelne Puppe hinausreichte, die sie gerade vor sich hatten. Dies förderte zugleich den Eindruck einer »spontanen Ordnung«, die Neoliberale so schätzen, auch wenn es sich oftmals um nichts dergleichen handelte. Am informellen Charakter der Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Ebenen scheiterten überdies gewöhnlich die Versuche, das neoliberale Denkkollektiv als veritable Verschwörung darzustellen. Als Denkschule, die auf eine politische Massenbewegung hinarbeitete, ging es auch über eine solche hinaus, und zudem wurde es im Lauf der Zeit durch trial and error aufgebaut. Sein Erfolg ließ das Denkkollektiv bald auf eine Größe anwachsen, bei der es gar nicht mehr zu überblicken war.

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      Das neoliberale Gebäude der MPS beruhte auf einigen hauptsächlich europäischen und amerikanischen Grundpfeilern, umschloss allmählich eine Vielfalt wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Denkschulen und bot eine transnationale Agora, auf der Lösungen für mutmaßliche Probleme debattiert werden konnten; sein bewegliches Dach konnte etablierte Machtbeziehungen in Universitäten, Politik und Gesellschaft überspannen. Die MPS war nie provinziell, sondern bereits global orientiert, bevor »Globalisierung« ein Modewort wurde. Dies machte Max Thurn (-Valsassina) in seiner Eröffnungsrede auf dem MPS-Treffen 1964 in Semmering deutlich: »Als Mitglieder der Mont Pèlerin Society interessieren wir uns nicht für die Probleme einzelner Länder oder selbst Ländergruppen. Was uns bewegt, sind allgemeine Themen wie Freiheit und Privatinitiative.«45 Die Arbeitsteilung zwischen globaler Denkschule und lokalem politischem Handeln erwies sich rasch als Erfolg, während die auf 500 Personen begrenzte Mitgliedschaft in der MPS ein exklusives Distinktionsmerkmal für namhafte Konservative wurde. Wie sich die geografische Reichweite der Organisation entwickelte, zeigen Weltkarten für das Gründungsjahr und für 1991 (Abb. 2.2 und 2.3).

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      Die ungewöhnliche Struktur des Denkkollektivs erklärt teilweise, warum sich der Neoliberalismus nicht in einer Handvoll Merksätze zusammenfassen lässt. Er ist vielmehr ein (innerhalb gewisser Grenzen) pluralistisches Unternehmen, das sich von drei Hauptgegnern abzugrenzen sucht: vom klassischen Laissez-faire-Liberalismus, Sozialliberalismus und Sozialismus. Während sich der um die Errichtung von Schutzwällen zwischen Ökonomie und Politik bemühte klassische Liberalismus durch Dichotomien und Unbeweglichkeit auszeichnete, muss der Neoliberalismus als eine flexible und pragmatische Antwort auf die vorhergehende Krise des Kapitalismus, die Große Depression, verstanden werden, geleitet von äußerster Klarheit darüber, was es mit allen Mitteln zu verhindern gilt: Planwirtschaft und starke Sozialstaaten. Entgegen den bornierten Interessen einiger Industriekapitäne (auch innerhalb der MPS) begriffen neoliberale Intellektuelle, dass dieses allgemeine Ziel umfassende und langfristige Reformbemühungen erforderte, die das gesamte soziale Gewebe einschließlich der Unternehmenswelt betreffen. Anstatt lediglich als passive Sprachrohre der Kapitalisten aufzutreten, zielten die Neoliberalen auf eine gründliche Umerziehung aller Parteien, um den Tenor und Sinn von Politik zu verändern – nicht mehr und nicht weniger.46 Ihren direkten Adressaten erkannten neoliberale Intellektuelle in der zivilgesellschaftlichen Elite: Es galt vor allem, andere Intellektuelle und Meinungsführer zukünftiger Generationen für sich zu gewinnen, und das primäre Mittel dazu bestand in einer Neudefinition des gesellschaftlichen Stellenwerts von Wissen, eine Operation, die zum Leitmotiv ihrer theoretischen Tradition avancierte. Wie Hayek in seiner Adresse an das erste Treffen der MPS erklärte:

      »Doch die für die Politiker unverrückbaren, von der öffentlichen Meinung diktierten Schranken der Machbarkeit dürfen für uns nicht als solche gelten. Die öffentliche Meinung zu solchen Fragen ist das Werk von Männern wie uns […], die das politische Klima geschaffen haben, in dem sich die Politiker unserer Zeit bewegen müssen […]. Ich bin mir sicher, dass die Macht etablierter Interessen gewaltig übertrieben wird, vergleicht man sie mit dem allmählichen Vordringen von Ideen.«47

      Die Struktur der Schachtelpuppe wirkte wie ein Verstärker, der die Stimme jedes beliebigen Mitglieds des Denkkollektivs durch eine Reihe scheinbar eigenständiger Organisationen, Personen und Übertragungskanäle verbreiten konnte, ihr dadurch zu Widerhall und Gewicht verhalf und den Ideen zum gewünschten Zeitpunkt einen Resonanzraum bot. Man muss mit Bewunderung anerkennen, dass neoliberale Intellektuelle den politischen und organisatorischen Charakter von Wissen und Wissenschaft in der Moderne genauer begriffen haben als ihre linken Gegenspieler und dass sie somit für jeden, der sich für die Archäologie des Wissens interessiert, eine würdige zeitgenössische Herausforderung darstellen.

      Natürlich sollte man den damaligen wie heutigen Neoliberalismus nicht auf die MPS und die ihr angeschlossenen Denkfabriken reduzieren – das wäre eine Karikatur der Geschichte. Meine Hervorhebung der MPS und der russischen Schachtelpuppe richtet sich gegen die Tendenz unter Linken, ihn als eine hoffnungslos diffuse, konturlose Bewegung zu betrachten. In den folgenden Kapiteln blicken wir über den begrenzten Wirkungsradius der MPS hinaus, indem wir untersuchen, wie neoliberale