Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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anästhesiert im Operationssaal lag, bis ein anderer Arzt den Eingriff zu Ende führen konnte.[1170] Für die Annahme des ärztlichen Erfolgsvorsatzes genügt es sowohl bei einem vollendeten als auch bei einem versuchten Unterlassungsdelikt,[1171] dass der Täter den Erfolgseintritt für möglich hält; ein Täterbewusstsein, dass bei seinem fiktiven Handeln eine Erfolgsvermeidung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einträte, ist hingegen nicht erforderlich.[1172]

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      Ist hingegen eine Einwilligung des Patienten in den Heileingriff infolge fehlender oder mangelhafter Aufklärung unwirksam, so liegt nach ständiger Rechtsprechung und einem Teil der Lehre eine tatbestandsmäßige vorsätzliche Körperverletzung i.S.v. § 223 StGB vor.[1173] Ist hiermit dann eine schwere Folge (also eine gravierende Gesundheitsbeschädigung oder gar der Tod des Patienten) verbunden, so kommt ärztliche Strafbarkeit nach §§ 226, 227 StGB in Betracht. Bei diesen erfolgsqualifizierten Delikten würde dann gemäß § 18 StGB bereits einfache Fahrlässigkeit[1174] hinsichtlich einer dem Arzt unerwünschten Folge der Heilbehandlung zur erhöhten Strafbarkeit führen.[1175]

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      Gemäß der Neuregelung[1176] von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB[1177] hat der Behandelnde seinen Patienten auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren über erkennbare Umstände zu informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen könnten.[1178] Das Patientenrechtegesetz[1179] brachte zusätzlich mit § 630c Abs. 2 S. 3 BGB eine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Verwendbarkeit dieser durch § 630c Abs. 2 S. 2 BGB vom Behandelnden geforderten Patienteninformation im Rahmen eines Straf- oder Bußgeldverfahrens mitsich.[1180] Diese Normierung ist allerdings nicht sonderlich geglückt.[1181] Insoweit ist weniger zu beklagen, dass eine strafprozessuale Frage im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt wird.[1182] In unserer Rechtsordnung lassen sich einige Regelungen außerhalb der Strafprozessordnung finden, in denen Informationspflichten statuiert werden, die sogleich in diesem Gesetz von einem Beweisverwendungs- oder Beweisverwertungsverbot flankiert werden.[1183]

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      Problematisch ist allerdings, dass die Reichweite dieser Vorschrift in mehrerlei Hinsicht unklar bleibt. Als gesichert kann nur gelten, dass die durch den Behandelnden gegebenen Informationen als solche jedenfalls nicht direkt als Urteilsgrundlage in einem Straf- oder Bußgeldverfahren herangezogen werden dürfen.[1184] Auch ist es unzulässig, sie durch die Vernehmung des Patienten (oder des Krankenhauspersonals) als Zeugen in die Verhandlung einzuführen.[1185] Fraglich ist jedoch, ob § 630c Abs. 2 S. 3 BGB darüber hinaus zunächst eine „Vorwirkung“ dahin entfaltet, dass die vom Behandelnden erteilten Informationen auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen verwendet werden dürfen.[1186] Ferner ist problematisch, ob der Vorschrift eine „Fernwirkung“ zukommt,[1187] ob also Umstände, die aufgrund der ärztlichen Mitteilung erst ermittelt werden konnten, zur Urteilsgrundlage werden dürfen. Klärungsbedürftig ist schließlich auch, ob und ggf. inwieweit das Verwertungsverbot über den Bereich des Straf- und Bußgeldrechts hinaus Wirkungen entfaltet.

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      Nimmt man diese in den Blick, so fällt ins Auge, dass § 630c Abs. 2 S. 3 BGB davon spricht, dass „die Information nach Satz 2“ nicht „verwendet“ werden darf. Diese weite – über ein bloßes Beweisverwertungsverbot hinausgehende – Formulierung wird freilich durch die Einschränkung „zu Beweiszwecken“ begrenzt. Nach der Gesetzesbegründung[1188] soll durch diese Regelung erreicht werden, dass „dem Behandelnden aus der Offenbarung eigener Fehler […] keine unmittelbaren strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Nachteile erwachsen“. Ferner wurde im Gesetzgebungsverfahren[1189] auch darauf hingewiesen, dass bei § 97 Abs. 1 S. 3 InsO „eine vergleichbare Interessenlage zugrunde liegt“. Hieraus wird geschlossen, dass sich der Gesetzgeber bei der Fassung des Wortlautes maßgeblich an dem Beweisverwendungsverbot in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO orientiert habe.[1190] Daher ist für die Interpretation von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB die Entstehungsgeschichte und Interpretation dieser insolvenzrechtlichen Regelung in den Blick zu nehmen.

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      Anlass für die Schaffung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO war der sogenannte „Gemeinschuldnerbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichtes, in dem aus dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ ein verfassungsrechtliches Beweisverwertungsverbot für jene Informationen abgeleitet wurde, die im Insolvenzverfahren vom Schuldner erzwungen werden können.[1191] Auch in nachfolgenden Entscheidungen[1192] hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass sich ein verfassungsunmittelbares Beweisverwertungsverbot ergibt, wenn in strafrechtlicher Hinsicht selbstbelastende Auskünfte zwangsweise durchgesetzt werden können. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO geht mit der Statuierung eines „Beweisverwendungsverbotes“ über diese verfassungsrechtlichen Vorgaben sogar noch hinaus. In der Gesetzesbegründung hieß es dazu: „Entsprechend einem Anliegen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wird damit zum Ausdruck gebracht, dass eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf.“. Daraus hat die Literatur zum großen Teil gefolgert, dass jedwede Nutzung der Informationen, die der Schuldner nach § 97 Abs. 1 S. 1, S. 2 InsO erteilt hat, außerhalb des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen sein soll.[1193] Sie sollen nicht zur Begründung eines Anfangsverdachtes[1194] herangezogen werden können; darüber hinaus soll auch eine (mittelbare) Fernwirkung[1195] eingreifen. Einige Autoren verneinen auch die Möglichkeit, hypothetische Ermittlungsverläufe insoweit zu berücksichtigen.[1196] Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Rechtspraxis eine solch weitgehende Wirkung dieses Beweisverwendungsverbotes nicht anerkannt hat. Dort wird einhellig davon ausgegangen, dass jedenfalls die erzwungene Vorlage von Geschäftsunterlagen wie Handelsbüchern und Bilanzen, die der Schuldner ohnehin kraft gesetzlicher Verpflichtung führen muss, nicht von dem Beweisverwendungsverbot erfasst wird.[1197]

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      Würde man diese letztgenannte Rechtsprechung auf § 630c Abs. 2 S. 3 BGB übertragen,[1198] dann dürften jedenfalls die nach § 630f BGB anzufertigenden Behandlungsdokumentationen als Urteilsgrundlage verwendet werden.[1199] Die oben angesprochene Wortlauteinschränkung „zu Beweiszwecken“ müsste dann sogar noch dazu führen, dass die Informationen nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB zumindest als Ermittlungsansatz genutzt werden dürften, da diese Wendung allgemein[1200] und bspw. für § 477 StPO ausdrücklich auch vom Gesetzgeber[1201] so verstanden wird.[1202] Das würde auch dazu führen, dass keine Fernwirkung einträte, da es inkonsequent wäre, den Ermittlungsansatz erst zu legalisieren, um die darauf beruhenden Ermittlungsergebnisse dann für unverwertbar zu halten.[1203]

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      Ein derartiges Verständnis dieser Vorschrift dürfte die Ärzteschaft kaum dazu motivieren, ihrer Informationspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 2 BGB nachzukommen.[1204] Dies stünde aber im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers, der durch diese Informationspflicht ja gerade die Patientenrechte stärken wollte.[1205] Deshalb ist der Anwendungsbereich von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB nicht mit dem der Regelung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO gleichzusetzen. Er ist vielmehr vom Ansatz her so zu bemessen, dass die vom Behandelnden erteilten Informationen nicht als Anknüpfungspunkt für Ermittlungen genutzt werden dürfen.[1206] Ferner ist eine umfassende Fernwirkung dergestalt anzuerkennen, dass alle in der Offenbarung des Behandelnden enthaltenen Informationen als Urteilsgrundlage auszuscheiden