Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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Beitrages stehenden klinischen Prüfung mit Arzneimitteln oder Medizinprodukten existieren weitere Formen der Forschung am Menschen, die als Begleitforschung bei der Durchführung medizinischer Forschungsvorhaben auftreten können. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Studien zu diagnostischen Verfahren, Forschungsprojekte unter Anwendung von radioaktiven Stoffen oder ionisierenden Strahlen (Röntgen, CT, PET) sowie die psychometrische Befragung. Kommen im Rahmen der Forschung radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlen zur Anwendung, so sind neben den allgemeinen Vorschriften die Sondervorschriften des Gesetzes zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzgesetz – StrlSchG) vom 27. Juni 2017, das überwiegend am 31. Dezember 2018 in Kraft getreten ist,[177] und der zeitgleich novellierten Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) zu beachten.[178] Nach dem StrlSchG ist die Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlung am Menschen zum Zweck der medizinischen Forschung entweder genehmigungsbedürftig (§ 31 StrlSchG) oder zumindest anzeigepflichtig (§ 32 StrlSchG). Für die Erteilung einer Genehmigung ist gemäß § 185 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchG das Bundesamt für Strahlenschutz zuständig; fehlt es an einer solchen Genehmigung, liegt eine Ordnungswidrigkeit i.S.v. § 194 Abs. 1 Nr. 2j StrlSchG vor. Vor dem 31. Dezember 2018 nach §§ 23 Abs. 1, 24 Abs. 1, 2 der StrlSchV a.F. oder nach §§ 28a Abs. 1, 28b Abs. 1, 2 der RöV a.F. erteilte Genehmigungen gelten als Genehmigungen bzw. Anzeigen i.S.d. §§ 31, 32 StrlSchG fort (vgl. § 205 StrlSchG). Neben der naturwissenschaftlichen existiert schließlich auch noch die sozialwissenschaftliche Forschung, auf die hier aus Raumgründen nicht näher eingegangen werden kann. Unzulässig sind wegen ihrer nicht-wissenschaftlichen Zielsetzung sog. Marketingstudien.[179]

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      Ethischen Bedenken gegen die Durchführung medizinischer Forschungsvorhaben soll durch die Prüfungstätigkeit der Ethikkommissionen Rechnung getragen werden. Die Funktionen der Ethikkommissionen liegen auf verschiedenen Ebenen; zu ihren Aufgaben zählt der Schutz der Patienten und Probanden, die Beratung der Forscher, die Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten und – aus einer übergeordneten Perspektive – die Gewährleistung des Vertrauens in die Integrität der medizinischen Forschung.[180]

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      Vorschriften, welche die Einbeziehung von Ethikkommissionen in die Entscheidung über die Genehmigung von Forschungsvorhaben vorsehen, finden sich in zahlreichen medizinischen Spezialnormen (vgl. §§ 40 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 AMG; §§ 20 Abs. 1 S. 1, 22 MPG a.F. bzw. §§ 31 Abs. 1 Nr. 2, 33 Abs. 1 MPDG; § 15 Abs. 1 MBO-Ä; §§ 31 Abs. 4 Nr. 5, 36 StrlSchG). Zusätzlich richten Krankenhäuser und Universitäten eigene Ethikkommissionen ein, zu deren Aufgaben neben dem Schutz von Patienten und Probanden und der Beratung der Forscher auch der Schutz der Forschungseinrichtung vor möglichen negativen Folgen rechtlich und ethisch bedenklicher Forschung zählt.[181] Nachdem in den USA seit den 1960er Jahren zunehmend mit der Einrichtung sog. Institutional Review Boards auf die Aufdeckung von Missständen im Bereich der medizinischen Forschung reagiert wurde, entstanden in den 1970er Jahren auch in Deutschland erste Ethikkommissionen. Verbindlich vorgeschrieben wurde ihre Konsultation zunächst im ärztlichen Berufsrecht und sodann 1994 in der 5. Novelle zum Arzneimittelgesetz, die den Beginn eines Forschungsvorhabens erstmalig von der zustimmenden Bewertung einer Ethikkommission abhängig machte.[182] Aktuell schreibt § 40 Abs. 1 S. 2 AMG vor, dass der Sponsor mit der klinischen Prüfung eines Arzneimittels bei Menschen nur beginnen darf, wenn neben der Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde auch eine zustimmende Bewertung der zuständigen Ethikkommission vorliegt.[183] Der Verstoß gegen diese Vorschrift ist gemäß § 96 Nr. 11 AMG strafbewährt. Über die Einbindung der ursprünglich als Organe der Selbstregulierung geschaffenen Ethikkommissionen in die staatliche Forschungsaufsicht wird seit langem intensiv diskutiert.[184]

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      Einige Neuerungen für die Arbeit der Ethikkommissionen wird die Implementierung der VO (EU) Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln mit sich bringen. Nach der in Art. 2 Abs. 2 Nr. 11 der Verordnung aufgenommenen Definition handelt es sich bei einer Ethikkommission um ein in einem Mitgliedstaat eingerichtetes unabhängiges Gremium, das gemäß dem Recht dieses Mitgliedstaats eingesetzt wurde und dem die Befugnis übertragen wurde, Stellungnahmen für die Zwecke dieser Verordnung unter Berücksichtigung der Standpunkte von Laien, insbesondere Patienten oder Patientenorganisationen, abzugeben. Da nicht alle nach Landesrecht gebildeten Ethikkommissionen in Deutschland einen Patientenvertreter in ihren Reihen hatten, war es erforderlich, deren Zusammensetzung durch nationales Recht neu zu regeln.[185] Seit Ende 2016 müssen sich die Ethikkommissionen gemäß § 41a AMG registrieren;[186] Vorgaben für ihre Zusammensetzung enthält § 41a Abs. 3 Nr. 2 AMG. Gemäß § 41 AMG n.F. muss die Stellungnahme der Ethikkommission, die von der zuständigen Bundesoberbehörde gemäß § 41 Abs. 3 S. 1 AMG n.F. maßgeblich zu berücksichtigen ist, ein klares Votum zur Vertretbarkeit der Durchführung der klinischen Prüfung sowie eine entsprechende Begründung enthalten.[187] Aufgrund der verkürzten Fristen und des Prinzips der stillschweigenden Genehmigung, wird die Gefahr einer negativen Beeinflussung der Qualität der Entscheidungen gesehen.[188] Vorschriften zur Beteiligung der Ethikkommission enthält schließlich auch das Strahlenschutzgesetz (vgl. §§ 31 Abs. 4 Nr. 6, 36 StrlSchG).[189]

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      Auf dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen sollen nunmehr die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Risiken der medizinischen Forschung in den Blick genommen werden. Dabei bietet sich eine Differenzierung an, die am Forschungsobjekt und an der gewählten Forschungsmethode anknüpft. Im Vordergrund sollen die Vorschriften des Kern- und Nebenstrafrechts stehen, die von den weniger eingriffsintensiven Tatbeständen des Ordnungswidrigkeitenrechts lediglich flankiert werden.

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      Den Ausgangspunkt der Betrachtung bildet die Arzneimittelforschung mit Erwachsenen, die gewissermaßen den Grundfall des medizinischen Forschungseingriffes bildet und die größte praktische Bedeutung besitzt.[190] Der bislang dem AMG zugrunde liegenden Systematik folgend, ist dabei zwischen gesunden und kranken Probanden sowie zwischen einwilligungsfähigen und einwilligungsunfähigen Probanden zu unterscheiden.

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      Wie beim individuellen Heilversuch (dazu Rn. 31 ff.) entfaltet auch beim Forschungseingriff vor allem die unangemessen riskante und die nicht konsentierte Behandlung strafrechtliche Relevanz. Anknüpfungspunkte für einen strafrechtlichen Vorwurf können sich danach zum einen aus einem unvertretbaren Verhältnis zwischen eingriffsspezifischen Risiken und zu erwartendem Nutzen und zum anderen aus Aufklärungs- und Einwilligungsmängeln ergeben, welche die Wirksamkeit der Zustimmung des Probanden beeinträchtigen. Darüber hinaus vermögen auch Verstöße gegen prozedurale Sicherungsmechanismen wie z.B. Genehmigungserfordernisse oder Qualifikationsanforderungen eine Strafbarkeit des Prüfers zu begründen. Wie bereits dargelegt (vgl. Rn. 41 ff.), haben die bei der Durchführung klinischer Prüfungen zu beachtenden formellen und materiellen Anforderungen in den (noch) geltenden §§ 40, 41 AMG eine spezialgesetzliche Regelung erfahren. Die Einhaltung dieser Vorgaben ist auch bei der strafrechtlichen Bewertung von Forschungseingriffen zu berücksichtigen, die im Rahmen einer klinischen Prüfung vorgenommen werden.[191] Dabei ist zwischen den nebenstrafrechtlichen Tatbeständen in § 96 Nr. 10 und 11 AMG und den Vorschriften des Kernstrafrechts zu unterscheiden, die neben denen des AMG anwendbar bleiben.[192]