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Handbuch des Verwaltungsrechts


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zuweisen.[18]

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      Spezifika einer verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre?

      Innerhalb der deutschen Rechtsordnung bestehen erhebliche Unterschiede, wie das Recht der verschiedenen Rechtsgebiete (Strafrecht, Verwaltungsrecht, Steuerrecht) auszulegen und fortzubilden ist.[19] Dagegen differenziert sich die Rechtsquellenlehre bislang weniger nach Rechtsgebieten als nach Rechtskreisen aus (Völkerrecht, Unionsrecht, Bundesrecht, Landesrecht), innerhalb derer verschiedene Rechtsschichten bzw. Normebenen (z. B. Verfassung, Gesetz, Verordnung unterschieden werden. Die sich in den verschiedenen Rechtsgebieten stellenden Fragen der Rechtsquellenlehre sind aber grundsätzlich auch gleich zu beantworten. Statt einer rechtsgebietsspezifischen Ausdifferenzierung der Rechtsquellenlehre geht es damit eher um eine unterschiedliche Akzentuierung bzw. Schwerpunktsetzung.[20] Tendenziell größere Bedeutung kommt im Verwaltungsrecht der Mehrebenenthematik und den hiermit verbundenen Normkollisionen zu.[21] Sonderthemen einer verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre sind die Einordnung von Verwaltungsvorschriften[22] und der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts[23] sowie die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Bereich der Eingriffsverwaltung.[24]

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      Sonderthema Binnenrecht

      Zu den Sonderthemen gehört auch das Binnenrecht. Aus einer gerichtszentrierten Perspektive[25] erscheint es als Recht minderen Ranges, da ihm im Verhältnis zum Bürger keine oder doch nur sehr eingeschränkte Verbindlichkeit zukommt.[26] Dies erklärt, warum die verwaltungsrechtliche Rechtsquellenlehre das Binnenrecht traditionell ausblendet. Dies ist aus rechtshistorischer Perspektive nachvollziehbar, aus rechtstheoretischer Sicht hingegen nicht mehr zu rechtfertigen. Die Ordnung des staatlichen Binnenbereichs aus dem Rechtsbegriff auszuklammern, diente im Konstitutionalismus dazu, der monarchischen Exekutive einen Reservatsbereich zu sichern, in dem sie ohne rechtliche Bindungen an die Volksvertretung bzw. die Ständeversammlung agieren konnte. Solche, durch die sog. Impermeabilitätstheorie[27] abgesicherte Reservatsbereiche haben sich im demokratischen Rechtsstaat längst überholt. Auch aus rechtstheoretischer Sicht erscheint es nicht zwingend, einem Sollensgebot nur deshalb den Rechtscharakter abzusprechen, weil es nicht allgemein gilt, sondern bereits seiner Form nach nur einen begrenzten Adressatenkreis betrifft.[28] Gleichwohl ist schon aus rechtspraktischen Gründen deutlich zwischen Innen- und Außenrecht zu unterscheiden.[29] Das zeigt etwa die Einordnung von Verwaltungsvorschriften in den Stufenbau der Rechtsordnung.[30] Im Rahmen dieses Beitrags ist es nicht möglich, die binnenrechtliche Perspektive durchgehend auszuarbeiten, sodass mit Ausnahme binnenrechtlicher Ausblicke[31] die Rechtsquellenlehre des Außenrechts im Vordergrund stehen wird.

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      Doppelnatur der exekutiven Rechtssetzung

      Im neuen verwaltungsrechtlichen Schrifttum wird vielfach vorgeschlagen, das von der Verwaltung gesetzte Recht (Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften) nicht ausschließlich im Rahmen der Rechtsquellenlehre zu behandeln, sondern auch als Handlungsinstrument zu begreifen.[32] Das Anliegen, den instrumentalen Charakter des selbstgesetzten Rechts der Verwaltung zu betonen, ist einsichtig. Durchaus zweifelhaft ist aber, ob es sich dabei um ein Spezifikum der exekutiven Rechtssetzung handelt. Jegliche Rechtsanwendung schließt schöpferische Elemente ein. Auch das von der Judikative gesetzte Recht trägt insofern eine „Doppelnatur“.[33] Insbesondere dürfte die Gestaltungsmacht, die dem BVerfG und dem EuGH bei der Interpretation von Grundrechten und Grundfreiheiten eröffnet ist, noch über das hinausgehen, was die Verwaltung kraft ihrer eigenen Rechtssetzungsmacht bewirken kann.[34]

B. Begriffliche Klarstellungen

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      Recht als Sollensordnung

      Das Recht wird durch die Gesamtheit aller geltenden Rechtsnormen im Sinne von Sollensgeboten gebildet.[35] Sollensgebote können abstrakt-generell formuliert oder individuell adressiert sein. Der Gegenstand der Rechtsquellenlehre beschränkt sich üblicherweise auf allgemeinverbindliche Regelungen,[36] „individuelle Rechtsnormen“ (u. a. Verwaltungsakte, Verträge, gerichtliche Urteile) liegen hingegen außerhalb ihres Gegenstandes.[37] Klassisch ist die Begriffsbestimmung von Peter Liver, Rechtsquelle sei die Form, in der Recht als positives Recht in Erscheinung tritt.[38] Manifestiert wird die Rechtsnorm in Rechtssätzen.[39]

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      Form und Inhalt der Rechtssätze

      Rechtssätze enthalten häufig Rechtsnormen, müssen dies aber nicht. Damit ist bei Rechtssätzen zwischen ihrer Form (z. B. einfaches Bundesgesetz, Richtlinie, Verordnung) und ihrem Inhalt (Rechtsnorm oder sonstiger Hoheitsakt, z. B. Haushaltsgesetz, Planfeststellung durch Gesetz) zu unterscheiden.[40] Geläufig ist die Unterscheidung zwischen Rechtssätzen im materiellen und im formellen Sinne. Rechtssätze, die Rechtsnormen enthalten, sind Rechtssätze im formellen und im materiellen Sinne. Rechtssätze im nur formellen Sinne sind ihrem Inhalt nach keine Rechtsnormen, sondern sonstige Hoheitsakte. Das klassische Beispiel ist das Haushaltsgesetz, das den Haushaltsplan feststellt.[41] Rechtssätze können bereits als vollständige Rechtsnormen formuliert sein. Häufig handelt es sich aber um unvollständige Rechtssätze (Rechtsnormen im weiteren Sinne[42]), beispielsweise um Legaldefinitionen, aus denen sich erst in der Zusammenschau mit anderen Rechtssätzen Rechtsnormen ableiten lassen.

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      Unschärfe des Rechtsquellenbegriffs

      Der Begriff der Rechtsquelle verweist mit der Quellenmetapher auf den Ursprung und die Entstehung des Rechts.[43] Der Begriff ist mehrdeutig und bedarf der Präzisierung.[44] Oftmals erschweren terminologische Unterschiede die Verständigung, ohne dass die verschiedenen Definitionsansätze tatsächlich miteinander inkompatibel sind. Auch noch in jüngerer Zeit wird im verwaltungsrechtlichen Schrifttum regelmäßig auf die bereits 1929 erschienene, grundlegende Untersuchung von Alf Ross zur „Theorie der Rechtsquellen“[45] Bezug genommen. Ross unterscheidet eine kausalwissenschaftliche (bzw. rechtssoziologische), eine ethische und eine spezifisch rechtstheoretische Dimension des Begriffs.[46] Hieran knüpft jedenfalls in der Sache auch eine 1955 publizierte Abhandlung des schweizerischen Zivilisten Peter Liver[47] an, die im verwaltungsrechtlichen Schrifttum viel rezipiert worden ist.[48] Rechtserzeugungsquellen sind die auch außerrechtlichen Faktoren der Rechtsbildung, die die Ursachen der Entstehung einer bestimmten Rechtsordnung bilden. Rechtswertungsquellen sind die Beziehungen, in denen das positive Recht zu absoluten Werten, wie dem der Gerechtigkeit oder der Rechtssicherheit steht. Im Mittelpunkt dieses Beitrags werden nicht die rechtssoziologische und die ethische Perspektive, sondern allein die dritte, rechtstheoretische Perspektive stehen. Liver spricht hier von Rechtserkenntnisquellen. Einer so verstandenen Rechtsquellenlehre kommt nach Liver die Aufgabe zu „festzustellen, wo die Rechtssätze, die zum Bestand des positiven Rechts gehören, zu finden sind.“

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      Primäre und sekundäre Rechtsquellen

      Im Schrifttum wird dazu zwischen formellen Rechtsquellen (oder Rechtsquellen im engeren Sinne[49]/primären Rechtsquellen[50]) und Rechtsquellen im weiteren Sinne unterschieden. Rechtsquellen im formellen Sinne sind die klassischen Rechtsquellen, wie die Verfassung, die Richtlinie, das einfache Gesetz oder die Rechtsverordnung, die in förmlichen Rechtssetzungsverfahren erlassen werden. Sekundären Rechtsquellen soll eine geringe Verbindlichkeit zukommen. Beispiele hierfür sind Richterrecht, Verwaltungsvorschriften und die private Normsetzung.[51]

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      Rechtserkenntnisquellen

      Zu den Rechtsquellen im weiteren Sinne zählen Einflussfaktoren, die das objektive Recht prägen können.[52] Als derartige Einflussfaktoren werden die Gerichtspraxis, ausländische Urteile, Modellgesetze, aber auch die Volksanschauung genannt.[53] Anstatt von Rechtsquellen im weiteren Sinne ist hier auch oft von Rechtserkenntnisquellen die Rede,[54] was erkennbar quer zu dem deutlich weiteren Begriffsverständnis steht, das