Danny King

DAS HAUS DER MONSTER


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gesäubert oder die Fenster geputzt hatte, nahm ich doch an, dass es seitdem nicht an Wert verloren hatte.

      Als einsamer alter Kauz zu enden, dessen einziger Lebensinhalt im Leeren von Dosen mit Ochsenschwanzsuppe bestand, hatte ich nie geplant. Ich meine, wer will das schon? Aber so war es nun mal gekommen. Als ich jung war, nicht mehr als ein Dreikäsehoch, träumte ich davon, zur See zu fahren, die Welt zu sehen und unbekannte Länder zu entdecken. Tja, weiter weg von diesen Träumen hätte ich wohl nicht enden können. Wahrscheinlich hatten meine Pläne einfach irgendwann Schiffbruch an den Klippen des Schicksals erlitten – aber wenn man ehrlich ist, geht es wohl den meisten Menschen so.

      Wie dem auch sei, da mein sozialer Abstieg ein langsamer gewesen war, und nicht etwa ein spektakulärer Sturz aus großer Höhe, war mir erst gar nicht bewusst, dass mein Ansehen ungefähr auf einer Stufe mit dem des Schrottplatzköters rangierte. Jedenfalls bis die Kids aus der Nachbarschaft anfingen, sich für mich zu interessieren – immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass man nicht gerade den Respekt der Gemeinde genießt. Über die Tatsache, dass ausgerechnet mir die zweifelhafte Ehre zuteilgeworden war, als Ziel ihrer Streiche zu dienen, wurde ich nicht lange im Unklaren gelassen. Gespenstisches Klopfen ertönte zu jeder Tages- und Nachtzeit an meiner Haustür, Stimmen flüsterten im verschlungenen Dschungel meines Gartens und die gelieferte Milch wartete nicht länger auf der obersten Stufe, bis ich sie hereinholte, sondern wurde mir im Morgengrauen direkt durch den Briefschlitz geschüttet. Was für Witzbolde!

      Nachdem ich diesen Unfug vier Wochen lang ertragen hatte, warf ich einen langen, prüfenden Blick in den Spiegel und musste schließlich bestürzt erkennen, dass ich der seltsame alte Kauz von Thetford war.

      Wie schon gesagt, in jedem Viertel gibt es einen. Zu meiner Zeit hieß er Harold und wohnte in einer Kate am Ende unserer Straße. In Ypres war er einer deutschen Granate in den Weg gelaufen, und deshalb sah er wie ein Monster aus, mit Hakenhänden und einem Gesicht, das irgendwie falsch zusammengesetzt wirkte. Ich und meine Freunde hatten furchtbare Angst vor ihm und dachten uns schreckliche Geschichten darüber aus, welches Schicksal einem Kind drohte, das ihm in die Klauen fiel. Das führte unweigerlich dazu, dass wir nachts in seinen Garten schlichen, um unseren Mut beim Zertrampeln von Harolds Tomatenpflanzen zu beweisen. Wenn wir anschließend über die Mauer kletterten und in der Dunkelheit verschwanden, schimpfte er jedes Mal laut hinter uns her. Wir hielten dieses Gebrüll natürlich für die Raserei eines Mörders, dem wir ganz knapp entkommen waren, bevor er seine Pasteten mit unserem Fleisch füllen konnte.

      In Wirklichkeit wollte er wohl nur, dass wir abhauten und nicht mehr in seine Gießkanne pinkelten. Der arme alte Harold; auf dem Schlachtfeld war er durch die Hölle gegangen und nicht einmal zu Hause, im hohen Alter, ließ man ihm seine Ruhe.

      Seltsam, seit fünfzig Jahren hatte ich nicht mehr an ihn gedacht, bis die Streiche vor meiner eigenen Haustür anfingen. Und in dem Moment wurde mir klar, dass ich seine Reinkarnation war.

      Natürlich hatte es keinen Sinn, sich bei den Eltern der Blagen zu beschweren. Die würden sowieso nichts tun.

      Mein Tommy macht so was nicht, und erzählen Sie mir bloß nichts anderes, Sie alter Wichser. Los, verpissen Sie sich von meinem Grundstück! Sie stinken!

      So etwas hätte es früher nicht gegeben. Hätte sich zu meiner Zeit ein Nachbar über mich beschwert, hätte mein Vater mir sofort eins mit dem Gürtel übergezogen. O ja, damals wurde den Kindern noch Respekt vor dem Alter beigebracht – vielleicht mal abgesehen von dem armen Harold. Er hatte sich bei jedem beschwert, aber niemand hatte auch nur im geringsten Notiz von ihm genommen. Ich vermute, keiner will was mit einem Sonderling zu tun haben, ob jung oder alt, denn Sonderlinge beschweren sich immer über irgendwas, seien es die Kinder im Gemüsebeet oder die Katholiken im Stadtplanungsbüro. Warum sollte man so jemandem nachgeben? Kurzer Prozess und die borstige Seite des Besens, das ist alles, was die verstehen.

      Ich kann das durchaus nachvollziehen. Ehrlich. Bei objektiver Betrachtung kann ich absolut nicht ausschließen, dass ich mir selbst auch nicht zugehört hätte, wenn ich mein Nachbar gewesen wäre. Aber das machte die Gleichgültigkeit meiner Nachbarn nicht erträglicher, besonders nachdem meine Mülltonnen anfingen, einen Tag vor der Leerung auf dem Gartenweg Kopfstand zu machen. Diese kleinen Arschlöcher!

      Es wurde so schlimm, dass ich schon darüber nachdachte, zur Polizei zu gehen. Aber diese Idee verwarf ich schnell wieder. Die Behörden und ich kommen nicht besonders gut miteinander aus. Ich mag es nicht, wenn sie in meinen Privatangelegenheiten herumschnüffeln – besonders nicht diese Fischfresser im Stadtplanungsbüro. Also ergriff ich die einzige Möglichkeit, die mir blieb, und nahm die Schädlingsbekämpfung selbst in die Hand.

      Einer der vielen Vorteile meiner Lebensweise ist es, dass ich immer genügend Material für jegliches Vorhaben parat habe, sei es im Garten einen Hühnerstall zusammenzuzimmern, einen alten Staubsauger zu reparieren oder im Keller eine Guillotine zu bauen. Also schlug ich Nägel in Wände, zog Drähte über Flaschenzüge und montierte Bolzen an Türen, bis ich eine zufriedenstellende Lösung für meine Sorgen geschaffen hatte.

      Meine Falle war fertig.

      »So sollte es klappen«, murmelte ich und bewunderte mein Werk, während ich mir eine Körperreinigung mit dem Taschentuch gönnte. »Fehlt nur noch ein Köder.«

      Drei Nächte lang ließ ich einen Fünfer offen auf dem Wohnzimmertisch liegen, aber niemand brach ein, um ihn zu klauen. Offensichtlich war eine weniger subtile Herangehensweise vonnöten. Ich kramte den alten Filzhut meines Vaters hervor.

      Mein Vater hatte sein Leben lang Melone getragen. Ich selbst war von dieser Mode verschont geblieben, deshalb war der Hut in den letzten vier Jahrzehnten im hinteren Schlafzimmer verstaubt. Aber jetzt war seine Zeit endlich gekommen. Ich fischte ihn vom Kleiderschrank, wischte den Rand mit meiner Hemdmanschette ab und setzte ihn mir in einem kecken Winkel auf den Kopf. Und was soll ich sagen? Als ich mich in der Diele im Spiegel bewunderte, musste ich zugeben, dass ich wie ein totaler Schwachkopf aussah. Nun, Melonen sind wohl nicht ohne Grund aus der Mode gekommen.

      Als Nächstes griff ich nach meinem Mantel und dem Einkaufskorb. Da ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wer die kleinen Gangster waren, die mich so piesackten, und auch, wo ich sie finden würde, machte ich mich klar zum Gefecht und setzte Kurs in Richtung Supermarkt.

      Einen Vorteil hat es immerhin, wenn man im Ort als verrückter Sonderling gilt: Man kann sich auch wie einer anziehen. Und deshalb wurde ich trotz meines extravaganten Kopfschmucks keines Blickes gewürdigt – jedenfalls, bis ich auf die miesen kleinen Ratten traf, die in einer Gasse neben dem Supermarkt Zigaretten schnorrten. Unterdrücktes Kichern, Gejohle und spöttische Rufe aus ihrer Richtung verrieten mir, dass sie mich zur Kenntnis genommen hatten. Ich zog vor ein paar verwirrten Kunden den Hut und begab mich in das Geschäft, um zu sehen, welche Schätze ich aus dem Regal mit den verbeulten Dosen heben könnte.

      Während der nächsten Tage trieb ich mich oft im Ort herum, immer mit der Melone auf dem Kopf und immer im Sichtfeld meiner Plagegeister. Sie schlichen mir hysterisch kichernd hinterher und gingen irgendwann dazu über, sich aus McDonald's-Tüten Kopfbedeckungen zu formen, die wohl meiner eigenen ähneln sollten. Offensichtlich fanden sie das alles enorm unterhaltsam, daher trug ich den Hut weiter, bis sie sich einen Sport daraus machten, ihn mir abwechselnd vom Kopf zu stoßen und selbst eine Runde damit zu drehen.

      In der Gewissheit, die bestmögliche Vorarbeit geleistet zu haben, platzierte ich die Melone schließlich zu Hause auf der Fensterbank, schön nach vorne raus, mit direktem Blick auf die Straße (jedenfalls wenn man sich die überhängenden Äste des Nussbaums wegdachte) und machte mich bereit für eine arbeitsreiche Nacht.

      Kapitel 2 | Nächtliche Besucher

      »Hast du ihn schon?«

      »Nee, das Scheißding ist auf den Boden gefallen. Komm, halt das Fenster offen, ich geh rein.«

      »Tommy, mach das nicht!«

      »Fick dich doch, du feige Memme.«

      »Halt die Fresse, ich bin keine Memme.«

      »Dann