Danny King

DAS HAUS DER MONSTER


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hab nichts gesagt, das war Farny.«

      »Scheiß Petze.«

      »Fick dich!«

      Der Anführer der Bande kletterte durchs Fenster und ließ sich ins Zwielicht meines Wohnzimmers fallen. Kaum in der Lage, einen Begeisterungsschrei zu unterdrücken, grapschte er nach dem alten Hut meines Vaters und reichte ihn durch das offene Fenster an seine Kumpel weiter.

      »Hab ihn! Hier, nehmt das Ding!«, flüsterte er aufgeregt und kraxelte zurück auf die Fensterbank, um von dort den Rückzug anzutreten. Die Jungen draußen kicherten triumphierend. Reihum setzten sie sich den Hut auf die Köpfe, bis sie plötzlich merkten, dass ihr Anführer noch nicht zurück war.

      »Tommy, kommst du jetzt raus oder was ist?«

      »Wartet. Seht euch das mal an«, antwortete der und deutete auf das andere Ausstellungsstück, das ich dort extra für meine nächtlichen Besucher platziert hatte.

      Ein paar Meter vom Fenster entfernt hatte ich ein paar der größeren Müllhaufen zur Seite geschoben, um ein Stück Teppich ans Tageslicht zu holen. Meine gute alte Auslegeware hatte seit 1982 keine Luft mehr geschnappt, und auch diesmal war ihr keine längere Atempause vergönnt, denn ich hatte meinen Köder aus dem Keller gehievt und an ebendieser Stelle abgesetzt. Von den überwucherten Unkrautbeeten meines Vorgartens aus war das Objekt kaum zu erkennen, aber wenn man erst einmal im Haus war, stach es ins Auge wie ein rostiger Nagel.

      »Das ist ein Sarg!«, erklärte Tommy seiner Gang.

      »Was?«, kam die Antwort.

      »Ein Sarg! Der Spinner hat einen verfickten Sarg in seinem Wohnzimmer!«

      »Wo?«

      »Ich seh nix.«

      »Du lügst doch.«

      Tommy nahm seinen ganzen Mut zusammen und bewegte sich vorsichtig auf den Sarg zu, immer darauf bedacht, zwischen all dem Gerümpel nicht zu stolpern und beim ersten verdächtigen Geräusch die Flucht zu ergreifen.

      »Was ist da drin?«

      »Tommy, mach das nicht. Lass uns abhauen.«

      »Schnauze, Memme!«

      Tommy ignorierte seine Kumpel und näherte sich weiter dem Sarg, bis er in Reichweite des zerkratzten alten Zedernholzdeckels war. Auf makabre Weise fasziniert betastete er den Rand auf der Suche nach einem Verschluss.

      »Tommy, was machst du denn?«, rief eine dünne, ängstliche Stimme von draußen, aber Tommy, der Abenteurer, war gerade in Grabräuberstimmung. Er mühte sich an dem schweren Deckel ab, bis er ihn tatsächlich einen Spalt breit angehoben hatte. Nach wenigen Zentimetern verhinderten allerdings die schweren Schrauben, die ich in die Scharniere getrieben hatte, ein weiteres Öffnen.

      Eine jähe Bewegung innerhalb des Sarges führte dazu, dass Tommy den Deckel fallen ließ und erschrocken zurücktaumelte.

      »Oh mein Gott!«, quiekte er. Mit ein paar hektischen Sätzen hatte er sich auf die Fensterbank gerettet, wo er seinen Mut schließlich wiederfand. In derselben Zeit hatten es seine Freunde schon wesentlich weiter gebracht: Sie waren praktisch schon wieder zu Hause und in ihre Schlafanzüge gesprungen, bis schließlich die Neugier, gepaart mit dem Ausbleiben jeglicher Reaktion durch den Hausbesitzer, dazu führte, dass es um meinen Sarg herum wieder lebhafter wurde. Jetzt waren schon zwei von ihnen im Haus.

      »Du hebst ihn an, ich gucke rein.«

      Tommy ließ sich auf die Knie fallen und drückte ein Auge gegen den Spalt.

      »Ach du Scheiße!«, jaulte er, als sich im Inneren wieder etwas bewegte. Tommy fiel auf den Hintern, krabbelte zum Fenster und über seinen Kumpel, der schon auf halbem Weg nach draußen war.

      Dieses Mal dauerte es eine geschlagene Stunde, bis sie zurückkamen. Drei von ihnen kletterten durchs Fenster – erst Tommy, dann der Junge, den sie Farny nannten, und schließlich ein Rotschopf – sodass nur der kleinste von ihnen draußen zurückblieb, wo er protestierend vor sich hin schniefte und flennte.

      »Was ist das?«, fragte Farny, der den Deckel, so weit es ging, hochhielt.

      »Keine Ahnung, aber es ist voll gruselig«, erwiderte Tommy, und Rotschopf, der neben ihm kniete, gab ihm recht.

      »Glaubt ihr, das ist der Alte selber und er schläft hier drin oder so?«, fragte er, woraufhin Farny seine Finger wegzog und den Deckel fallen ließ – sehr zum Nachteil der Nasen seiner Freunde.

      »Du verfickter Arschidiot!« Tommy stöhnte und hielt sich die blutige Masse, die von seinem Gesicht übrig geblieben war, bis er feststellte, dass das Feuchte gar kein Blut war, sondern bloß Tränen. »Blöder Penner!«

      »Es ist ein Mädchen«, sagte der Rotschopf und hielt den Sargdeckel lange genug offen, um noch einen Blick hineinzuwerfen.

      »Tommy, bitte, lass uns nach Hause gehen«, schluchzte der vierte der Musketiere durch das offene Fenster.

      »Barry, komm rein hier«, war alles, was er zum Lohn für seine Mühen zurückbekam.

      »Nein, ich mag nicht.«

      »Feige Memme!«, war Farnys Einschätzung und Rotschopf stimmte zu.

      »Er pisst sich gleich in die Hose.«

      »Tu ich gar nicht, ich will bloß nach Hause«, jammerte der Kleinste, aber Tommy ließ sich nicht umstimmen.

      »Barry, du kommst jetzt sofort hier rein oder du darfst nie wieder mit uns abhängen.«

      »Das sage ich Mama«, drohte Barry, löste damit aber lediglich verächtliches Gelächter aus. Schließlich brachte er die anderen auf die einzig mögliche Weise zum Schweigen, die ihm noch blieb: Er kletterte durch das Fenster. Zu sagen, dass er dabei äußerst widerwillig vorging, wäre die Untertreibung des Jahres. Jede panische Schmeißfliege schafft es schneller durch ein Fenster als Barry in diesem Moment, aber schlussendlich war er bei seinen Freunden angekommen und konnte seine Bedenken aus der Nähe äußern, wenn auch seine Stimme vor Angst inzwischen so hoch war, dass ihn wahrscheinlich nur noch Hunde oder Superman verstehen konnten.

      »Guck in den Sarg, Barry«, befahl Tommy. Er hob den Deckel – und ebenso das Ausmaß der Angst, die sein kleiner Bruder verspürte – an, bis es nicht mehr ging.

      Es folgten ein paar Strophen des alten Liedes (Memme/gar nicht/Fresse halten/jetzt mach schon), bevor Barry durch den Schlitz spähte, scharf die Luft einzog und die anderen endlich Ruhe gaben.

      »Wer ist das?«, fragte er mit zittriger Stimme, doch die anderen bekamen keine Gelegenheit zu antworten, denn genau in diesem Moment zog ich an der Schnur und das Fenster, durch das sie hereingekommen waren, knallte zu.

      Mit qualmenden Socken traten die Jungs die Flucht an, aber das Fenster war nun fest verschlossen – und außerdem mit Plexiglas verstärkt, damit sie nicht die Scheiben einschlagen konnten.

      »WAS WOLLT IHR HIER?«, dröhnte ein Tonband aus den Schatten des Raumes. Die Stimme scheuchte die Bande in Richtung der offenen Tür, von wo sie, in jämmerlicher Panik übereinander stolpernd, in den Flur purzelten. Dort versperrten zwei Kistenstapel sowohl den Vorder- als auch den Hinterausgang. Eine dritte Tür jedoch stand einladend offen und versprach Schutz vor der immer wütenderen Stimme, die aus einem halben Dutzend strategisch im Haus verteilter Lautsprecher schallte.

      »WO IST MEINE AXT?«

      »Hier rein!«, rief Tommy und alle folgten ihm, ohne auch nur eine Sekunde lang nachzudenken.

      Als sie kaum zwei Schritte in den Keller getan hatten, stellte die Bande fest, dass es keinen Weg nach draußen gab, aber da war es sowieso zu spät. Die Tür schlug zu und die Treppenstufen klappten ein, wurden zu einer glatten Rutschbahn, die sie geradewegs ins Dunkel stürzen ließ.

      »Hab ich euch«, gluckste ich zufrieden, schob von außen den schweren eisernen Riegel vor und lauschte dem Chor der Angstschreie.