– »wie! Sie selbst wären der prächtige, kluge, gescheite, gemütliche Berganza, an den der Lizentiat Peralta durchaus nicht glauben wollte, dessen goldne Worte sich aber der Fähnrich Campuzano so gut hinters Ohr geschrieben hatte? O Gott, wie freue ich mich, nun so von Aug' zu Auge den lieben Berganza« –
»Halt, halt,« rief Berganza, »wie freue ich mich, auch den mir wohlbekannten Mann gerade in der Nacht, da mir wieder die Rede kam, im Walde wiederzufinden, der nun schon manche liebe Woche, manchen lieben Monat hier seine Zeit vertrödelt, manchmal einen lustigen, seltener einen poetischen Einfall, niemals Geld in der Tasche, aber desto öfter ein Glas Wein zuviel im Kopfe hat; der schlechte Verse und gute Musik macht, den Neunzehntel nicht mögen, weil sie ihn für unklug halten – den« –
»Still – still, Berganza! ich merke, daß du mich nur zu gut kennst, daher lege ich jede Scheu ab. Ehe du mir (wie ich denn hoffe, daß du es tun wirst) indessen die wunderbare Art erzählst, wie du dich so lange erhieltest und endlich von Valladolid bis hieher kamst, so sage mir, warum dir, wie es mir scheint, mein Tun und Treiben so wenig gefällt.« –
»Das ist gar nicht der Fall,« erwiderte Berganza, »ich ehre deine literarischen Bemühungen und deinen Sinn für das Poetische. – So wirst du z.B. ohne Zweifel unser heutiges Gespräch aufschreiben und drucken lassen, weshalb ich mich denn bemühen will, meine beste Seite herauszukehren und so schön zu sprechen, als es mir nur möglich ist. – Allein, mein Freund – glaub' es – ein Hund von Erfahrung spricht mit dir! – Dein Blut fließt zu heiß durch die Adern, deine Phantasie zerbricht im Mutwillen oft magische Kreise und wirft dich unbereitet und ohne Waffe und Wehr in ein Reich, dessen feindliche Geister dich einmal vernichten können. Fühlst du das, so trinke weniger Wein, und um dich mit dem Neunzehntel, das dich für unklug hält, auszusöhnen, so schreibe über den Arbeitstisch, über die Stubentüre, oder wo du es sonst noch anzubringen vermagst, des Pater Franziskaners goldne Regel hin, nach der man die Welt gehen lassen, wie sie geht, und von dem Herrn Pater Prior nichts als Gutes reden muß! – Aber sage mir, mein Freund! hast du nichts bei dir, womit ich den starken Appetit, der sich eben bei mir plötzlich aufregt, nur einigermaßen zum Schweigen bringen könnte?«
Ich besann mich auf ein Butterbrot, das ich zum einsamen Morgenspaziergang mitgenommen und nicht verzehrt hatte, und fand es noch eingewickelt in der Tasche.
»Eine Wurst oder überhaupt ein Stück Fleisch wäre mir lieber gewesen, allein Not bricht Eisen«, sagte Berganza und verzehrte mit Wohlgefallen das Butterbrot, welches ich ihm brockenweise in das Maul steckte. – Nachdem alles aufgegessen war, versuchte er einige Sprünge, die ziemlich steif und ungelenk ausfielen, wobei er mehrmals beinahe wie ein Mensch laut schnupfte und nieste; dann legte er sich in der Stellung der Sphinx gerade vor die Moosbank, auf der ich saß, hin und fing, mich mit seinen hellfunkelnden Augen steif anblickend, in folgender Art an:
»Zwanzig Tage und Nächte, mein lieber Freund, würden nicht hinreichen, dir alle die wunderbaren Begebenheiten, die mancherlei Abenteuer und besonderen Erfahrungen zu erzählen, die mein Leben ausfüllten seit der Zeit, da ich das Hospital der Auferstehung in Valladolid verließ. – Aber nur die Art, wie ich aus dem Dienste des Mahudes kam, und meine neuesten Schicksale sind dir zu wissen nötig, und auch diese Erzählung wird so lang ausfallen, daß ich dich bitten muß, mich nicht viel zu unterbrechen. Nur wenige Worte, nur mitunter eine Reflexion erlaube ich dir, wenn sie gescheit ist; ist sie aber einfältig, so behalte sie bei dir und störe mich nicht unnützerweise, da ich eine gute Brust habe und viel in einem Atem sprechen kann, ohne auszuschnaufen.«
Ich versprach das, ihm die rechte Hand hinreichend, in die er seine kräftige rechte Vorderpfote legte, die ich auf biedere deutsche Weise drückte und schüttelte. Eins der schönsten Freundschaftsbündnisse, die der Mond je beschienen, war geschlossen, und Berganza fuhr also weiter fort:
Berganza. Du weißt, daß damals, als mir und meinem verewigten Freunde Szipio (dem der Himmel eine fröhliche Urstätt geben möge) die Gabe der Rede zum ersten Male verliehen war, der Fähnrich Campuzano, der, von den ungeheuersten Schmerzen gequält, sprachlos auf der Matratze im Hospital lag, unser Gespräch belauschte; und da der vortreffliche Don Miguel de Cervantes Saavedra Campuzanos Ausbeute der Welt erzählt, kann ich voraussetzen, daß dir meine damaligen Begebenheiten, die ich meinem lieben unvergeßlichen Szipio mitteilte, genau bekannt sind. Du weißt daher, daß es meines Amtes war, den Bettelmönchen, die Almosen für das Hospital einsammelten, die Laterne vorzutragen. Nun begab es sich, daß ich in der am weitesten von unserm Kloster gelegenen Straße, wo eine alte Dame jedesmal reichlich spendete, länger mit der Leuchte stehen bleiben mußte als gewöhnlich, da sich die wohltätige Hand am Fenster nicht zeigen wollte. Mahudes rief mir zu, den Platz zu verlassen – o wäre ich seinem Rate gefolgt! – Aber die bösen feindlichen Mächte hatten sich vereint zu der verderblichen Konstellation, die mein unglückliches Schicksal entschied. Szipio heulte warnend – Mahudes bat in kläglichen Akzenten. Schon wollte ich fort – da rauschte es am Fenster – ein Päckchen fiel herab; ich wollte hin, da fühlte ich mich von dürren Schlangenarmen umklammert, ein langer Storchhals dehnte sich aus über meinen Nacken, eine spitzige eiskalte Geiernase berührte meine Schnauze – blaue – pestdampfende Lippen hauchten mich an mit todbringendem Höllenatem – die Leuchte entsank meinen Zähnen, ein Faustschlag zerstörte sie.
»Hab' ich dich endlich – du Hurensohn! – du garstiger, du geliebter Montiel! Jetzt lasse ich dich nicht mehr, o mein Sohn Montiel – mein guter Junge, habe ich dich endlich!« –
So schrie die schnarrende Stimme des Ungetüms mir in die Ohren! – Ach, ich war außer mir selbst – das verfluchteste Ungeheuer der Hölle, die verdammte Cannizares war's, die auf meinen Rücken gesprungen, mich fest umklammert hielt – mein Atem stockte. – Mit dem besten Häscherhauptmann und seinen Gesellen hätte ich es, wohlgefüttert und stark wie ich war, aufgenommen, allein hier sank mein Mut! – O daß dich Beelzebub tausendmal in seinem Schwefelpfuhl ertränkt hätte! – – Ich fühlte den ekelhaften Leichnam, wie er sich in meine Rippen einnistete. – Die Brüste schlotterten gleich ledernen Beuteln am Halse herunter, indem die langen winddürren Beine nachschleppten und das zerrissene Gewand sich um meine Pfoten schlang. – O des entsetzlichen unglückseligen Augenblicks! –
Ich. Wie, Berganza – deine Stimme stockt – ich sehe Tränen in deinen Augen? – Kannst du denn weinen? – Hast du uns das abgelernt, oder ist dir dieser Ausdruck des Schmerzes natürlich?
Berganza. Ich danke dir. Du hast so zu rechter Zeit meine Erzählung unterbrochen; gemildert ist der Eindruck der gräßlichen Szene, und ehe ich fortfahre, kann ich dir etwas von der Natur meiner lieben Brüder sagen, das du gut tätest, dir recht wohl zu merken. – Hast du denn noch nie einen Hund weinen gesehen? – Allerdings hat die Natur so wie euch auch uns mit eigner Ironie gezwungen, in dem feuchten Element des Wassers den Ausdruck der Rührung und des Schmerzes zu suchen, wogegen sie uns die Erschütterung des Zwerchfells, wodurch die närrischen Laute entstehen, welche ihr Lachen nennt, ganz versagt hat. Das Lachen muß daher wohl rein menschlicher sein als das Weinen. Aber gütig sind wir für euer Lachen durch einen besondern Organismus entschädigt, der den Teil unseres Körpers beseelt, welchen euch die Natur ganz versagt, oder, weil, wie manche Physiologen behaupten, ihr ihn, seine Zierde verkennend und verschmähend, beständig eigenmächtig weggeworfen habt, euch zuletzt entzogen hat. – Ich meine nichts anderes, als dasjenige hundertfach modifizierte Hin- und Herbewegen unseres Schweifes, wodurch wir alle Nuancen unseres Wohlgefallens von der leisesten Rührung der Lust bis zur ausgelassensten Freude zu bezeichnen wissen, und welches ihr schlecht genug: wedeln nennt. Adel der Seele – Hoheit – Stärke – Anmut und Grazie sprechen sich bei uns aus in dem Tragen des Schweifes, und sehr schön liegt auch daher in diesem Teil der Ausdruck unseres innern Wohlbefindens, sowie in dem gänzlichen Verstecken, Einklemmen desselben der Ausdruck der höchsten Angst, der qualvollsten Trauer – doch laß uns zu meinem gräßlichen Abenteuer zurückkehren. –
Ich. Deine Reflexion über dich und dein Geschlecht, lieber Berganza, zeugt von deinem philosophischen Geiste, und so lasse ich's mir wohl gefallen, daß du zuweilen die Geschichte unterbrichst.
Berganza. Immer mehr hoffe ich dich von dem Adel meines Geschlechts zu überzeugen.