Brief lesen zu können, so mögen Dir die edlen, kräftigen Züge Deines Geliebten eine Aufmunterung, lesen zu lernen, und dann der Inhalt die weisheitsvolle Lehre sein, wie Du es anfangen mußt, um zu der innern Ruhe und Behaglichkeit zu gelangen, die nur die höchste Kultur erzeugt, wie sie aus dem innern Ingenio und dem Umgang mit weisen, gebildeten Menschen entspringt. – Nun tausendmal lebe wohl, süße Freundin!
»Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifl’, ob lügen kann die Wahrheit,
Nur an meiner Liebe nicht!«
Dein
Getreuer bis in den Tod!
Milo, ehemals Affe, jetzt privatisierender Künstler und Gelehrter
5. Der Musikfeind
Es ist wohl etwas Herrliches, so durch und durch musikalisch zu sein, daß man, wie mit besonderer Kraft ausgerüstet, die größten musikalischen Massen, die die Meister mit einer unzähligen Menge Noten und Töne der verschiedensten Instrumente aufgebauet, leicht und lustig handhabt, indem man sie, ohne sonderliche Gemütsbewegung, ohne die schmerzhaften Stöße des leidenschaftlichen Entzückens, der herzzerreißenden Wehmut zu spüren, in Sinn und Gedanken aufnimmt. – Wie hoch kann man sich dann auch über die Virtuosität der Spieler im Innern erfreuen, ja, diese Freude, die von innen herausstrebt, recht laut werden lassen ohne alle Gefahr. An die Glückseligkeit, selbst ein Virtuos zu sein, will ich gar nicht denken; denn noch viel tiefer wird dann mein Schmerz, daß mir aller Sinn für Musik so ganz und gar abgeht, woher denn auch meine unbeschreibliche Unbeholfenheit in der Ausübung dieser herrlichen Kunst, die ich leider von Kindheit auf gezeigt, rühren mag. – Mein Vater war gewiß ein tüchtiger Musikus; er spielte fleißig auf einem großen Flügel oft bis in die späte Nacht hinein, und wenn es einmal ein Konzert in unserm Hause gab, dann spielte er sehr lange Stücke, wozu ihn die andern auf Violinen, Bässen, auch wohl Flöten und Waldhörnern ganz wenig begleiteten. Wenn solch ein langes Stück endlich heraus war, dann schrieen alle sehr und riefen: »Bravo, Bravo! welch ein schönes Konzert! wie fertig, wie rund gespielt!« und nannten mit Ehrfurcht den Namen Emanuel Bach! – Der Vater hatte aber so viel hintereinander gehämmert und gebrauset, daß es mir immer vorkam, als sei das wohl kaum Musik, worunter ich mir so recht ans Herz gehende Melodien dachte, sondern er tue dies nur zum Spaß, und die andern hätten auch wieder ihren Spaß daran. – Ich war bei solchen Gelegenheiten immer in mein Sonntagsröckchen geknöpft und mußte auf einem hohen Stuhl neben der Mutter sitzen und zuhören, ohne mich viel zu regen und zu bewegen. Die Zeit wurde mir entsetzlich lang, und ich hätte wohl gar nicht ausdauern können, wenn ich mich nicht an den besondern Grimassen und komischen Bewegungen der Spieler ergötzt hätte. Vorzüglich erinnere ich mich noch eines alten Advokaten, der immer dicht bei meinem Vater die Geige spielte und von dem sie immer sagten, er wäre ein ganz übertriebener Enthusiast und die Musik mache ihn halb verrückt, so daß er in der wahnsinnigen Exaltation, zu der ihn Emanuels Bachs oder Wolfs oder Bendas Genius hinaufschraube, weder rein greife noch Takt halte. – Mir steht der Mann noch ganz vor Augen. Er trug einen pflaumfarbenen Rock mit goldbesponnenen Knöpfen, einen kleinen, silbernen Degen und eine rötliche, nur wenig gepuderte Perücke, an der hinten ein kleiner, runder Haarbeutel hing. Er hatte einen unbeschreiblichen komischen Ernst in allem, was er begann. »Ad opus!« pflegte er zu rufen, wenn der Vater die Musikblätter auf die Pulte verteilte. Dann ergriff er mit der rechten Hand die Geige, mit der linken aber die Perücke, die er abnahm und an einen Nagel hing. Nun hob er an, sich immer mehr und mehr übers Blatt beugend, zu arbeiten, daß die roten Augen glänzend heraustraten und Schweißtropfen auf der Stirn standen. Es geschah ihm zuweilen, daß er früher fertig wurde als die übrigen, worüber er sich denn nicht wenig wunderte und die andern ganz böse anschaute. Oft war es mir auch, als brächte er Töne heraus, denen ähnlich, die Nachbars Peter, mit naturhistorischem Sinn die verborgenen musikalischen Talente der Katzen erforschend, unserm Hauskater ablockte durch schickliches Einklemmen des Schwanzes und sonst, weshalb er zuweilen von dem Vater etwas geprügelt wurde – (nämlich der Peter), – Kurz, der pflaumfarbene Advokat – er hieß Musewius – hielt mich ganz für die Pein des Stillsitzens schadlos, indem ich mich an seinen Grimassen, an seinen komischen Seitensprüngen, ja wohl gar an seinem Quinkelieren höchlich ergötzte. – Einmal machte er doch eine vollkommene Störung in der Musik, so daß mein Vater vom Flügel aufsprang und alle auf ihn zustürzten, einen bösen Zufall, der ihn ergriffen, befürchtend. Er fing nämlich an, erst etwas weniges mit dem Kopfe zu schütteln, dann aber in einem fortsteigenden Crescendo immer stärker und stärker den Kopf hin und her zu werfen, wozu er gräßlich mit dem Bogen über die Saiten hin und her fuhr, mit der Zunge schnalzte und mit dem Fuß stampfte. Es war aber nichts als eine kleine, feindselige Fliege, die hatte ihn, mit beharrlichem Eigensinn in demselben Kreise bleibend, umsummt und sich, tausendmal verjagt, immer wieder auf die Nase gesetzt. Das hatte ihn in wilde Verzweiflung gestürzt. – Manchmal geschah es, daß die Schwester meiner Mutter eine Arie sang. Ach, wie freute ich mich immer darauf! Ich liebte sie sehr; sie gab sich viel mit mir ab und sang mir oft mit ihrer schönen Stimme, die so recht in mein Innerstes drang, eine Menge herrlicher Lieder vor, die ich so in Sinn und Gedanken trage, daß ich sie noch für mich leise zu singen vermag. – Es war immer etwas Feierliches, wenn meine Tante die Stimmen der Arien von Hasse oder von Traetta oder sonst einem Meister auflegte; der Advokat durfte nicht mitspielen. Schon wenn sie die Einleitung spielten und meine Tante noch nicht angefangen zu singen, klopfte mir das Herz, und ein ganz wunderbares Gefühl von Lust und Wehmut durchdrang mich, so daß ich mich kaum zu fassen wußte. Aber kaum hatte die Tante einen Satz gesungen, so fing ich an bitterlich zu weinen und wurde unter heftigen Scheltworten meines Vaters zum Saal hinausgebracht. Oft stritt sich mein Vater mit der Tante, weil letztere behauptete, mein Betragen rühre keineswegs davon her, daß mich die Musik auf unangenehme, widrige Weise affiziere, sondern vielmehr von der übergroßen Reizbarkeit meines Gemüts; dagegen mich der Vater geradezu einen dummen Jungen schalt, der aus Unlust heulen müsse wie ein antimusikalischer Hund. – Einen vorzüglichen Grund, nicht allein mich zu verteidigen, sondern auch sogar mir einen tief verborgenen musikalischen Sinn zuzuschreiben, nahm meine Tante aus dem Umstande her, daß ich oft, wenn der Vater zufällig den Flügel nicht zugeschlossen, mich stundenlang damit ergötzen konnte, allerlei wohlklingende Akkorde aufzusuchen und anzuschlagen. Hatte ich nun mit beiden Händen drei, vier, ja wohl sechs Tangenten gefunden, die, auf einmal niedergedrückt, einen gar wunderbaren, lieblichen Zusammenklang hören ließen, dann wurde ich nicht müde, sie anzuschlagen und austönen zu lassen. Ich legte den Kopf seitwärts auf den Deckel des Instruments; ich drückte die Augen zu; ich war in einer andern Welt; aber zuletzt mußte ich wieder bitterlich weinen, ohne zu wissen, ob vor Lust oder vor Schmerz. Meine Tante hatte mich oft belauscht und ihre Freude daran gehabt, wogegen mein Vater darin nur kindische Possen fand. Überhaupt schienen sie, so wie über mich, auch rücksichtlich anderer Gegenstände, vorzüglich der Musik, ganz uneins zu sein, indem meine Tante oft an musikalischen Stücken, vorzüglich wenn sie von italienischen Meistern ganz einfach und prunklos komponiert waren, ein großes Wohlgefallen fand, mein Vater aber, der ein heftiger Mann war, dergleichen Musik ein Dudeldumdei nannte, das den Verstand nie beschäftigen könne. Mein Vater sprach immer vom Verstande, meine Tante immer von Gefühl. – Endlich setzte sie es doch durch, daß mein Vater mich durch einen alten Kantor, der in den Familienkonzerten gewöhnlich die Viole strich, im Klavierspielen unterrichten ließ. Aber, du lieber Himmel, da zeigte es sich denn bald, daß die Tante mir viel zuviel zugetraut, der Vater dagegen recht hatte. An Taktgefühl sowie am Auffassen einer Melodie fehlte es mir, wie der Kantor behauptete, keineswegs; aber meine grenzenlose Unbehilflichkeit verdarb alles. Sollte ich ein Übungsstück für mich exerzieren und setzte mich mit dem besten Vorsatz, recht fleißig zu sein, an das Klavier, so verfiel ich unwillkürlich bald in jene Spielerei des Akkordsuchens, und so kam ich nicht weiter. Mit vieler, unsäglicher Mühe hatte ich mich durch mehrere Tonarten durchgearbeitet bis zu der verzweifelten, die vier Kreuze vorgezeichnet hat und, wie ich jetzt noch ganz bestimmt weiß, E-Dur genannt wird. Über dem Stück stand mit großen Buchstaben Scherzando Presto, und als der Kantor es mir vorspielte, hatte