Bea losgeeist.«
Klaudia senkte den Blick. »Sie wird mich dafür noch mehr hassen. Aber ich wollte, daß du weißt, was mich bewegt.«
»Sieht Sandro seinem Vater sehr ähnlich?«
Sie nickte, und er fügte zaghaft hinzu: »Er erinnert dich an die glückliche Zeit mit Reinhard, nicht wahr?«
Klaudia schwieg wieder lange. Ihre Brust hob und senkte sich wie unter einer Last, die sie loswerden mußte.
»Hör zu, Kai«, flüsterte sie nah an seinem Ohr. »Ich habe Reinhard geliebt, aber glücklich war ich nur kurze Zeit mit ihm.«
»Das sagst du so einfach? Warum? Du hattest alles, was du wolltest!«
»Ja, aber von Anfang an war ich viel zu oft allein. Ich fühlte mich Sandros Bubenstreichen nicht gewachsen, und keiner half mir, ihn zu verstehen. Und dann, als ich alle Mühe darauf verwandte, ihm die Mutter zu ersetzen, da klappte es eines Tages doch noch. Aber gleichzeitig wurde der Wunsch, selbst ein Kind zu haben, immer stärker in mir.«
»Du wurdest niemals Mutter. Ich weiß.«
»Reinhard verstand meine Sehnsüchte nicht. Der einzige, der mein Unglück nachempfinden konnte war Sandro. Er wuchs mir ans Herz. Und nach Reinhards plötzlichem Tod war er mein einziger Trost. Er half mir, wieder auf die Beine zu kommen. Ich begann ziemlich schnell, ein Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit zu genießen und die Freude daran mit ihm zu teilen.«
Sie hatte stockend gesprochen. Kai bemerkte, daß Tränen an ihren Wangen herabrannen, zog einen Zipfel des Tischtuchs an sich und tupfte sie ihr damit weg.
»Als sich dann herausstellte, daß ich Reinhards Testament nicht anfechten konnte und Beate das Sorgerecht zustand, begann eine furchtbare Zeit für mich. Ich mußte endlich erwachsen werden. Ja, und einsehen, daß ich für das Glück, wie ich es mir vorstellte, verloren war.«
»Na, nun übertreib mal nicht!«
Sie hob den Kopf. »Warum verstehst du mich nicht? Als Witwe von Reinhard verfüge ich über ein riesiges Vermögen. Was ich bei ›Mega‹ verdiene, reicht doch schon für ein sorgloses Leben. Welcher Mann findet sich in kurzer Zeit, um sich einer tüchtigen und reichen Frau wie mir zu nähern?«
»In kurzer Zeit? So schnell konntest du Reinhard vergessen?«
»Um nicht einsam zu leiden, muß man schnell vergessen. Ich schaffte es, weil ich doch hoffte, noch ein Kind zu bekommen. Wenn ich schon Sandro nicht Mutter sein konnte, dann sollte es jetzt erst recht mein eigenes Baby sein.« Kai schwieg mit versteinertem Gesicht. »Das Schicksal straft mich für meinen Egoismus der Vergangenheit. Kein Mann, der mir in den letzten Jahren begegnete, gefiel mir. Jetzt ist es zu spät für mein Mutterglück.«
Sie wartete auf seine Erwiderung. Er war doch Arzt, warum widersprach er nicht oder machte ihr ein wenig Hoffnung?
»Du hast ja Sandro«, sagte er nach einer Weile. Es klang müde. »Das ist besser als gar nichts. Also, was beklagst du dich?«
Seine Worte trafen sie wie ein Hieb. Erriet er nicht, was sie im geheimen wünschte? Sie hoffte doch, er sei anders als Reinhard und sie verstanden sich besser als je zuvor. Warum ermutigte ihn das nicht, sie zu heiraten? War sie etwa zu alt? Reichten ihm die wenigen Tage, die sie wie ein billiges Liebchen mit ihm in diesem Dorf verbrachte?
Nun gut, sie lebte ein ganz anderes Leben. Kai fürchtete bestimmt, als Frau eines Landarztes würde ihr in Brädrum bald die Decke auf den Kopf fallen. Die Erfahrung von damals spukte noch in ihm herum. Deshalb fehlte ihm der Mut zu einem Neuanfang. Er war doch so wie Onkel Detlef.
»Mir wird kalt. Ich geh nach oben in die Kammer schlafen.«
Sie glitt von seinem Schoß herunter, blies die Kerzen aus und trug sie ins Haus. Kai blieb draußen sitzen.
Oben in der Kammer war es stockfinster. Klaudia knipste die funzlige Lampe neben ihrem Bett an. Der Walkman, mit dem Sandro unter die Decke gekrochen war, lag am Boden. Sie kniete sich hin und betrachtete den Jungen. Er war ihr der liebste Mensch auf der Welt. Ja, so würde es bleiben, selbst wenn er noch frecher und vorlauter wurde. Damit konnte sie besser umgehen als Beate. Und eines Tages, wenn Sandro volljährig war, konnte er sich ganz für ein Leben bei ihr, seiner geliebten Stiefmutter, entscheiden. So stand es im Urteil des Vormundschaftsgericht.
»Klaudia?«
Kai stand vor der Tür und rief flüsternd nach ihr. Sie erhob sich. Wußte der Himmel, warum ihre Knie zitterten. Sie öffnete die Tür.
»Schläft er?« fragte Kai leise. Sie nickte. Da streckte Kai den Arm nach ihr aus und zog sie an sich. Sie war unfähig, sich zu wehren. Selbst Sandros Nähe konnte das Verlangen nach diesem Mann nicht mindern.
»Ich liebe dich, Klaudia«, raunte er ihr zu, als sie an seine Schulter sank. »Mir ist ganz gleichgültig, was dein geliebter Sandro denkt, wenn er morgen früh allein in der Kammer erwacht. Ich bin vielleicht ein Hasenfuß, aber noch lange kein Heiliger, der nächtelang auf die geliebte Frau verzichten kann.«
»Wenn er Beate davon erzählt, ist der Teufel los«, entgegnete sie mit letzter Kraft. »Aber ich brauche deine Liebe. Ob er es verstehen kann?«
»Bestimmt nicht«, grinste Kai. »Wichtig ist nur, daß wir einander verstehen.« Er schloß die Tür leise. Und nach einem leidenschaftlichen Kuß führte er sie durch den dunklen Gang zu der Tür seines Schlafzimmers.
*
Es war Hochsommer. Die Urlaubszeit begann, und draußen herrschte eine Bullenhitze. In Klaudias Büro blieb es angenehm kühl, wenn keiner die Fenster öffnete. Sie und Rena sichteten zum letzten Mal die Fotos für die nächste Ausgabe der »Mega«, in der die neueste Wintermode präsentiert werden sollte.
»Wunderschön«, kicherte Rena, die längst von Kollegen Frau Nolte genannt wurde, und deutete auf ein Abendkleid im Empirestil. »Das würde ich mir an deiner Stelle nacharbeiten lassen. Eignet sich doch prima als Umstandskleid.«
Klaudia prustete vor Lachen los. »Halt bloß die Klappe. Noch vier Monate, und du kannst mich vertreten. Solange wirst du ja wohl noch warten können.«
»Sogar noch länger, wenn du es wünscht. Als alleinerziehende Mutter wirst du nach einer gewissen Zeit wieder auf deinen Chefsessel zurück wollen. Denkst du, ich ahne das nicht?«
Klaudia sah rosig aus. Ein locker geschnittenes Oberteil aus weichem Leinen umhüllte erste, verräterische Rundungen. »Kai ist und bleibt ein Hasenfuß«, murmelte sie.
»Und du bist und bleibst eine wohlhabende Frau, die auf einen kleinen Landarzt wie ihn verzichten kann. Der arme Kai leidet eher wie ein Hund, nicht wie ein Hasenfuß.«
»Er ist aber einer, verdammt!« zischte Klaudia und griff nach dem Telefon, das neben ihr läutete. »Wer ist da?« fragte sie verwirrt. »Sandro von Redwitz? Ja, ich bin natürlich für ihn zu sprechen.« Sie legte den Hörer zurück und sah Rena an. »Um Gottes willen, was ist nun wieder los? Hierher hat er sich noch nie gewagt. Los, verschwinde!«
»Was er auch ausgefressen hat«, zischte die ihr schnell zu, »reg dich bitte nicht auf. Mehr als ein miserables Zeugnis kann es ja nicht sein. Denk an deinen Zustand und bleib gelassen.«
Unter der Tür begegnete sie Sandro, fuhr ihm mit einem bewundernden »Meine Güte, bist du groß geworden!« übers Haar und ließ ihn dann zu Klaudia. Die war aufgesprungen.
»Weiß Tante Bea, daß du zu mir kommst?« war ihre erste Frage.
»Quatsch!«
Klaudia deutete aufatmend auf den Stuhl, auf dem gerade noch Rena gesessen hatte, dann bat sie ihre Sekretärin um Fruchtsaft und Gebäck. Als das gebracht worden war, blickte sie Sandro unsicher an.
»Was ist los? Bist du sitzengeblieben?«
»Echt ätzende Frage!« Sein Gesicht wirkte verschlossen. Das kannte sie nicht an ihm.
Ob er von irgend jemandem über ihren Zustand erfahren hatte? Wer konnte ihm das