Norbert Wolf

Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit


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als Historienmaler wie als Porträtist, als Schilderer der Sitten wie der Fantasien. Er legt in der Ordnung das Chaos, in der Hierarchie die Unterdrückung, im scheinbaren Sinn den auflodernden Wahnsinn frei. Goya repräsentiert folglich wie kein anderer Künstler vor ihm die »Dialektik der Aufklärung«.

      Anfänglich suchte ja die Aufklärung die menschliche Fantasie als den Tummelplatz des Irrationalen zu unterdrücken. Nur wenn sich die Kunst lehrhaft gab (die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts verzeichnet eine immense Zunahme von Kunstakademien), wenn sie sich rationaler Erkenntnis und moralischem Anspruch unterordnete, galt sie als gesellschaftlich legitimiert. Doch paradoxerweise öffnete das rationale und wissenschaftliche Interesse der Aufklärung wieder einer irrationalen Komponente den Weg, da sie Gefühl und Einbildungskraft als Erkenntnisquellen gelten ließ. Radikal hat Goya diese Überzeugung der Moderne von der unlösbaren Spannung von Welt und Individuum, von Rationalität und Triebhaftigkeit, von objektivem Anspruch und subjektiver Realität ausgedrückt.

      Seine künstlerische Lehrzeit verbrachte Goya 1760–64 in Saragossa. 1766 trat er in der spanischen Hauptstadt in das Atelier Francisco Bayeus ein, seines späteren Schwagers, der unter dem Klassizisten Anton Raphael Mengs am Hofe Karls III. arbeitete. Nach einer Italienreise 1770/71 wurde Goya als Entwerfer in die Königliche Teppichmanufaktur zu Madrid berufen. Von da an begann sein Aufstieg in die höchsten Ämter. So ernannte man ihn 1780 zum Mitglied der Real Academia de San Fernando, 1785 zu ihrem zweiten, 1795 zu ihrem ersten Direktor für Malerei. Nachdem Goya seit 1781 königliche Aufträge erhielt, erfolgte 1786 seine Ernennung zum Hofmaler, 1789 zum Maler der königlichen Kammer und 1799 zum ersten Maler des Hofes.

      Andererseits brechen kurz nach 1790 gravierende Krisen aus, schwere Erkrankungen, die ihn (ab 1792) mehr und mehr ertauben lassen. Goya reagiert darauf mit Rückzug ins Privatleben, vor allem aber mit Introvertierungen der Bildsprache. Jetzt mehren sich die bedrohlichen und gespenstischen Untertöne. Gleichzeitig konzipiert Goya die Folge von 80 Radierungen unter dem Titel Caprichos, in denen er unerbittlich menschliche Laster und Irrtümer anprangert.

      Trotz dieser »Nachtseiten« in seiner Kunst fungierte Goya als der begehrteste Porträtist am Hofe und erhielt auch eine Reihe kirchlicher Aufträge: Als zu faszinierend empfand man offensichtlich die Intensität seines Kolorits, die Kühnheit und kompositorische Ausgefallenheit seiner Bildanlage, die Psychologie seiner Menschenstudien. Im Übrigen erwies sich seine Fähigkeit, Abgründiges zu visualisieren, als das geeignete Mittel, dem Unabhängigkeitskampf des spanischen Volkes gegen die napoleonische Herrschaft in Bildern und Graphiken erschütternden Ausdruck zu verleihen.

      Doch nach der Thronbesteigung Ferdinands VII. geriet der Maler, bedingt durch seine Opposition gegen Inquisition und Folter, zunehmend ins Abseits. Ab 1820 entstanden in seinem Landhaus »Quinta del Sordo« (»Haus des Tauben«) in Madrid die »schwarzen Malereien«, welche die Nachtseite, das Dämonische und Irrationale menschlicher Existenz in bislang unbekannter Eindringlichkeit und mit vollkommen neuartiger, »präsurrealistischer« Verfremdung behandelten. Ab 1823 verstärkten sich die restaurativen Tendenzen in der spanischen Politik, die Verfolgungen liberaler Geister – Goya sah sich deshalb 1824 zur Emigration nach Frankreich, nach Bordeaux veranlasst.

      Nur in den Rokoko-Anfängen (den Gobelin-Entwürfen) ist Goyas Werk überhaupt stilgeschichtlich festzumachen, ansonsten zeichnet es sich durch souveräne Eigenständigkeit aus. Und keinesfalls ist Goya, da es zeitlich gerade »passt«, als Klassizist oder Romantiker zu klassifizieren. Dennoch: Die Art, mit der er in seinen Szenerien menschliche Dummheit, den Aberglauben und die klerikale Beschränktheit seiner Landsleute, das Degenerierte der spanischen Königsfamilie, die bestialischen Abgründe, die sich im Krieg gegen Napoleons Truppen in jedem Einzelnen und in den fanatisierten Massen auftaten, wiedergibt, die Visionen und Albträume, mit denen Goya um 1820 sein Wohnhaus in Madrid ausmalt, bewegen sich in einem der »schwarzen Romantik« zumindest vertrauten Feld.

      Allerdings sind Goyas Ansichten von der Welt zu unerbittlich, zu brutal, um einen lediglich lustvollen Schauder hervorzurufen. Im Vergleich zu ihm erweist sich romantischer »Weltschmerz« als oberflächliche Attitüde. Im malerischen Farbvortrag, im Hang zum phantastisch überhöhten Schauder, zum Irrealen, das hinter jeder Realität permanent zum Vorschein kommt, in der existenziellen Wucht seiner Aussagen und in seinen unkonventionellen formalen Strategien war er unvergleichlich. Deshalb fand Goya auch keine direkte Nachfolge, besaß keine Schüler. Erst spätere Maler, von Delacroix über Manet bis zu Picasso, um nur die wichtigsten zu nennen, setzten seine Malkultur einerseits, seine »Ästhetik« des Rational-Irrationalen, der zur Kunst gewordenen Menschheitsängste andererseits, angemessen fort.

      1 Aus der unüberschaubaren Vielzahl von Publikationen greife ich aus neuerer Zeit folgende deutschsprachige Titel heraus: Feghelm, Dagmar: Ich, Goya. München-Berlin-London-New York 2004; Held, Jutta: Goya. Reinbek bei Hamburg 1980; Ausstellungskatalog »Francisco de Goya. 1746–1828. Prophet der Moderne.« Hrsg. von Wilfried Seipel und Peter-Klaus Schuster sowie Manuela B. Mena Marqués. Kunsthistorisches Museum Wien, Nationalgalerie Staatliche Museen zu Berlin 2005–2006. Köln 2005

      JACQUES-LOUIS DAVID

      (* PARIS 30. 8. 1748, † BRÜSSEL 29. 12. 1825)

      Längst hat sich der Begriff »Avantgarde« als Synonym für jene Prozesse durchgesetzt, die den Status quo der Kunst radikal aufbrechen. Zumeist wird im wissenschaftlichen Diskurs Avantgarde als eine Haltung definiert, die eine Autonomie der Kunst anstrebt. Anders der Literaturwissenschaftler Peter Bürger bei seiner Analyse des Futurismus, Dadaismus und des frühen Surrealismus. Er reserviert den Begriff »Avantgarde« für eine Einstellung, die der Autonomie und der darin enthaltenen gesellschaftlichen Folgenlosigkeit der Kunst entgegenwirken, die die Kunst in der Lebenspraxis aufheben will – mit dem Ziel einer ästhetisierten Lebenspraxis, die fortan die Unterscheidung zwischen Kunst und Leben überflüssig macht.2 Dann aber, so meine Folgerung, war bereits Jacques-Louis David ein Avantgardist!

      Denn er betrieb – intensiver als wir das von der Renaissance her kennen, die in diesem Punkt allerdings schon tüchtig vorgearbeitet hat – die Aufhebung der Kunst in der Lebenspraxis, konkret: in der Politik, in der »Inszenierung« des Staates.

      Während der Französischen Revolution wurde David Mitglied des Konvents, Mitglied der linken Fraktion, des Jakobiner-Clubs, des Wohlfahrts- und des Sicherheitsausschusses. Als hoher Funktionär und als längst gefeierter Künstler war es seine Aufgabe, Dekorationen und Embleme, ja ganze Festordnungen für die Massenfeiern zu konzipieren. Er rückte also zum Intendanten einer sich selbst zelebrierenden Politik auf. Die künstlerischen Ingredienzien besagter Massenaufzüge dienten dazu, den Alltag mit einer Kette ästhetisch »herausgehobener Momente« zu ritualisieren, mit einer Reihe auch »religiöser Ersatzphantome«. David war allgegenwärtig, um die Inszenierungs-Maschinerie zu programmieren und in Gang zu halten, er, der Dirigent der aufwendigen synthetisch-allegorischen Festveranstaltungen.

      Dass David 1794 beinahe zum Opfer des von ihm verherrlichten Regimes geworden wäre, dass er sich Jahre später einer neuen Ära anpasste und als Hofmaler Napoleons gekonnt pompöse Historienbilder schuf – zusätzlich zu den von ihm seit jeher gepflegten antikisierend-mythologischen Sujets und zu den eindrucksvollen Porträts – sei hier lediglich am Rande angemerkt.

      Die avantgardistische Durchdringung von Lebenspraxis und künstlerischen Strategien funktionierte bei David indes noch auf einer versteckteren Ebene:

      1784 schilderte er mit dem monumentalen Schwur der Horatier (Paris, Musée du Louvre) einen altrömischen Sagenstoff, der in dem Zweikampf zwischen den drei Brüdern der römischen Familie der Horatier und den Brüdern der gegnerischen Familie der Curatier gipfelte.

      Die Unbedingtheit des ethischen Anspruchs – Selbstaufopferung des »Staatsbürgers« bis zum Tod – findet in der starren Geometrie des Aufbaus ihre Entsprechung: Horizontale und vertikale Kompositionslinien konstituieren ein Gitternetz für den Figurenfries. Jedes schmückende Beiwerk entfällt, die Farbigkeit ist auf unsinnliche Kühle reduziert. Die orthogonale Verstrebung, die als unverrückbare Ordnung das Gegenständliche trägt, ist weit mehr als nur ein Hilfsmittel für den Bildaufbau. Das geometrische Gerüst ist vielmehr selbst