Franz Werfel

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch)


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haben, nach Ausgleich und Versöhnung zu streben?«

      »Versöhnung? Auch dies ist nur ein leeres Wort der Weltklugen. Auf Erden gibt es keine Versöhnung. Wir leben hier im Zerfall und in der Selbstbehauptung.«

      Um diese Anschauung zu bekräftigen, zitierte der Agha mit vorschriftsmäßigem Singsang einen Vers der sechzehnten Sure:

      »Und was Er schuf auf Erden, verschieden an Farbe, siehe, ein Zeichen ist wahrlich darin für Leute, die sich warnen lassen.«

      Gabriel, der es auf dem Diwan nicht länger aushielt, stand auf. Die Augen des Alten aber, die solche Willkür erstaunt rügten, zwangen ihn wieder auf seinen Sitz.

      »Du willst die Absichten der Regierung erkennen? Ich weiß nur, daß die Atheisten in Stambul den nationalen Haß für ihre Zwecke brauchen. Denn das tiefste Wesen der Gottlosigkeit ist Furcht und die Ahnung des verlorenen Spieles. Und so errichten sie in jeder kleinen Stadt Nachrichtenhallen, um ihren bösen Willen zu verbreiten ... Es ist gut, daß du zu mir gekommen bist.«

      Gabriels Rechte umkrampfte die Kassette mit den Münzen:

      »Wenn es nur um mich ginge! ... Doch, wie dir bekannt ist, stehe ich nicht allein. Mein Bruder Awetis ist kinderlos gestorben. Folglich ist mein dreizehnjähriger Sohn der Letzte unserer Familie. Auch ich habe eine Frau aus dem französischen Volk geheiratet, die nicht unschuldig in ein Leiden gestürzt werden darf, das sie nichts angeht.«

      Dieses Argument wies der Agha nicht ohne Strenge zurück:

      »Da du sie geheiratet hast, gehört sie nunmehr deinem Volke an und wird von seinem Karma nicht losgesprochen.«

      Es wäre ein vergebliches Beginnen gewesen, diesen verstockten Orientalen über Wesen und Selbstbestimmung der abendländischen Frau aufklären zu wollen. Bagradian überhörte daher den Einwurf:

      »Ich hätte die Meinigen nach dem Ausland oder wenigstens nach Stambul bringen sollen. Nun aber hat man uns die Pässe abgenommen und vom Kaimakam habe ich nichts Gutes zu erwarten.«

      Der Türke legte seine leichte Hand auf das Knie des Gastes:

      »Ich möchte dich ernstlich davor warnen, mit deiner Familie nach Stambul zu reisen, auch wenn du die Möglichkeit dazu hättest.«

      »Wie meinst du das? Warum? In Stambul besitze ich viele Freunde in allen Kreisen, auch unter den Regierungsleuten. Dort hat unser Handelshaus seine Zentrale. Mein Name ist sehr bekannt.«

      Die Hand auf Gabriels Knie wurde schwerer:

      »Gerade deshalb, weil dein Name sehr bekannt ist, möchte ich dich auch nur vor einem kurzen Aufenthalt in der Hauptstadt warnen.«

      »Wegen des Dardanellenkrieges?«

      »Nein, deshalb nicht!«

      Das Gesicht des Agha verschloß sich. Er lauschte nach innen, ehe er wieder das Wort nahm:

      »Niemand kann wissen, wie weit die Regierung gehen wird. Aber, daß zuallererst die Großen und Angesehenen eures Volkes zu leiden haben werden, das ist sicher. Und ebenso sicher ist es, daß man in einem solchen Fall mit Anklagen und Verhaftungen gerade in der Hauptstadt beginnen wird.«

      »Sprichst du nur Vermutungen aus oder hast du Anhaltspunkte für deine Warnung?«

      Der Agha ließ den Bernsteinkranz in seinem weiten Ärmel verschwinden:

      »Ja, ich habe Anhaltspunkte.«

      Nun konnte Gabriel sich nicht mehr halten und sprang auf:

      »Was sollen wir tun?«

      Da der Gast stand, erhob sich auch der Hausherr:

      »Wenn ich dir raten darf, so kehre in dein Haus in Yoghonoluk zurück, verweile dort in Frieden und warte ab! Du hättest unter diesen Umständen für dich und deine Familie keinen angenehmeren Ort wählen können.«

      »Frieden?« schrie Gabriel höhnisch auf, »das ist schon ein Gefängnis!«

      Rifaat Bereket wandte sein Gesicht ab, durch die laute Stimme in dem gedämpften Selamlik verletzt:

      »Du sollst deine Besonnenheit nicht verlieren. Es tut mir leid, daß ich dich durch meine aufrichtigen Worte beunruhigt habe. Du hast zu irgendeiner Sorge nicht den geringsten Grund. Wahrscheinlich wird alles im Sande verlaufen. In unserem Vilajet kann sich nichts Böses ereignen, denn Djelal Bey ist Gott sei Dank der Wali. Er duldet keinen Übergriff. Was aber auch immer geschehen mag, es ist bedingt und eingeschlossen in sich selbst wie Knospe, Blüte und Frucht im Samenkorn. In Gott ist schon geschehen, was wir erst erleben werden.«

      Geärgert durch die blumigen Allgemeinheiten dieser Theologie, lief Bagradian, nun alle Form außer acht lassend, auf und ab:

      »Das Schrecklichste ist: man kann es nicht greifen, man kann nicht kämpfen dagegen.«

      Der Agha näherte sich dem Verstörten und hielt seine Hände fest:

      »Vergiß nicht, o Freund, daß die Lästerer aus deinem Komitee nur eine kleine Minderzahl sind. Unser Volk ist ein sehr gütiges Volk. Wenn auch immer wieder im Zorn Blut vergossen wurde, so habt ihr nicht weniger Schuld daran getragen. Und dann: Es leben Gottesmänner genug in den Tekkehs, in den Klöstern, und kämpfen in heiligen Zikr-Übungen um die Reinheit der Zukunft. Entweder werden sie siegen oder alles wird untergehn. Ich verrate dir auch, daß ich meine Reise nach Anatolien und Stambul in der armenischen Sache unternehme. Ich bitte dich um Gottvertrauen.«

      Die kleinen Hände des Alten hatten die Kraft, Gabriel zu beruhigen:

      »Du hast recht, ich werde dir gehorchen. Am besten, wir verkriechen uns in Yoghonoluk und rühren uns nicht fort, bis der Krieg vorüber ist.«

      Der Agha ließ ihn noch immer nicht los:

      »Versprich mir, zu Hause bei euch über alle diese Dinge nichts zu reden! Wozu auch! Bleibt alles beim alten, wirst du die Leute nur unnötig in Schreck versetzt haben. Kommt es zu irgendwelchen Unannehmlichkeiten, hat ihnen die Besorgnis nichts genützt. Du verstehst mich. Vertraue und schweige!«

      Und auch beim Abschied wiederholte er dringlich:

      »Vertrauen und schweigen! ... Du wirst mich viele Monate nicht sehn. Bedenke aber, daß ich in dieser Zeit für euch arbeiten werde. Ich habe von deinen Vätern viel Güte empfangen. Und nun läßt es Gott in meinem Alter zu, daß ich dankbar sein darf.«

      Drittes Kapitel

       Die Notabeln von Yoghonoluk

       Inhaltsverzeichnis

      Der Heimritt nahm viel Zeit in Anspruch, denn Gabriel Bagradian setzte sein Pferd nur selten in Trab und ließ es immer wieder in die langsamste Gangart verfallen. So geschah es auch, daß er vom kürzeren Wege geriet und auf der Straße blieb, die den Orontes entlang führt. Erst als jenseits der Häuserkuben von Suedja und El Eskel der ferne Meereshorizont in Sicht kam, schrak der Reiter aus seiner Versunkenheit auf und wandte sich scharf gegen Norden, dem Tal der armenischen Dörfer zu. Zu Beginn der langlebigen Frühjahrsdämmerung erreichte er die Straße – wenn man den elenden Karrenweg so nennen darf –, welche die sieben Dörfer miteinander verbindet. Yoghonoluk lag ungefähr in der Mitte. Er mußte daher die südlichen Ortschaften Wakef, Kheder Beg, Hadji Habibli durchqueren, um nach Hause zu kommen, was vor Einbruch der Dunkelheit kaum mehr möglich war. Er aber hatte keine Eile.

      Um diese Stunde waren die Ortschaften am Musa Dagh reich belebt. Alles stand vor den Häusern. Die Zärtlichkeit des Sonntag-Endes trieb die Menschen zusammen. Die Körper, die Augen, die Worte suchten einander, um das Behagen des Daseins durch Familienklatsch und allgemeine Klagen über die Zeit zu bekräftigen. Die Geschlechter und die Altersstufen bildeten getrennte Gruppen. Scheel standen die Matronen beisammen, gelassen die jüngeren Frauen in ihren Feiertagskleidern und spöttisch die jungen Mädchen. Ihr Münzenschmuck klapperte. Sie zeigten die herrlichen Zähne. Gabriel fiel die große Menge kriegstauglicher