an, um Dona Dolores weitgehend zu beruhigen.
Die junge Deutsche war über jeden Zweifel erhaben. Sie hatte vorzügliche Referenzen.
Ihr einziges Problem war die spanische Sprache. Aber das würde sich mit der Zeit noch lösen.
»Möglicherweise«, schloß Herta mit Bedacht, »eignet sie sich für eine ehrenamtliche Tätigkeit. Ich könnte mir vorstellen, sie gelegentlich einzusetzen.«
»Für den Hilfsfond?« fragte Dona Dolores ehrfürchtig.
»Wir wollen sehen«, entwortete Herta Hersfeld, »was sich ergibt und wieviel Zeit sie erübrigen kann. Schließlich gehört sie zum Kollegium der Deutschen Schule. Nächste Woche komme ich zu einer kleinen Besprechung zu Ihnen. Bis dahin kann ich Ihnen vielleicht schon mehr sagen.«
»Ich danke Ihnen, Dona Herta«, preßte Dona Dolores inbrünstig hervor, »Sie sind uns jederzeit willkommen!«
*
Den Sonntag verbrachte Kati in einer seltsamen Stimmung.
Erstmals seit sie in Montelindo war, dachte sie unausgesetzt an ihre Heimat, an ihre Familie und an Achim Unger.
Es lag wahrscheinlich daran, daß sie gestern bei Dona Herta so offenherzig gewesen war und ihre ganze Beziehungsgeschichte erzählt hatte.
Meine Güte, dachte Kati, die Arme hinter dem Kopf verschränkt in einem Liegestuhl ausgestreckt, ich habe ja wirklich nichts ausgelassen! Armer Achim! Es wäre ihm bestimmt furchtbar peinlich! Normalerweise bin ich ja auch nicht so geschwätzig. Vielleicht mußte ich es nur einfach mal loswerden. So bald werde ich nicht mehr darüber reden. Im Grunde geht es ja auch keinen etwas an.
Kati versuchte, an etwas anderes zu denken, aber irgendwie blieb Achim gegenwärtig.
Sie kannten sich seit ewigen Zeiten, hatten zusammen im Sandkasten gespielt, sich an Kindergeburtstagen um die Preise gestritten und beim Tanzkurs gegenseitig auf die Füße getreten.
Nähergekommen waren sie sich, nachdem sie Battenberg verlassen hatten, um zu studieren, Kati Pädagogik, Achim Machinenbau. Drei Jahre lag wohnten sie im selben Haus, Kati mit zwei anderen Mädchen im ersten Stock, Achim mit zwei Studienkollegen im Erdgeschoß.
Sie galten als das ideale Paar, weil sie auf eine gemeinsame Heimatstadt und eine gemeinsame Kindheit zurückblicken konnten. Achim mit seinem karottenfarbenen Wuschelkopf und den karierten Holzfällerhemden war ein unverwechselbarer Typ, er sah lustig aus und galt als alternativ. Er spielte Saxophon und Schlagzeug, leitete vorübergehend eine Studenten-Band, gründete einen Schachklub und gab Nachhilfestunden in Mathematik.
Er war mitreißend, gesellig, aufgeschlossen, und im Laufe der Zeit nahm er auch das Studium ernster.
Alles hätte ein denkbar gutes Ende genommen, wäre da nicht jener vertrackte Verdacht auf Schwangerschaft aufgetaucht, der Kati zwar nervös, aber nicht unglücklich machte. Was konnte schon passieren? Sie hatte ihre Abschlußprüfung bereits hinter sich, mit Achim war sie sich seit drei Jahren einig, einer Heirat stand nichts im Wege, war nur noch eine Frage der Zeit.
Dachte Kati.
Achims Reaktion stürzte sie aus dem Himmel der Liebe ins tiefe Tal der Illusionslosigkeit.
Im Prinzip, erklärte Achim, wolle er natürlich Nachwuchs, ganz klar. Nur nicht gerade jetzt.
Man müsse dergleichen unsentimental sehen, zukunftsorientiert, frei von emotionalen Verdrängungen.
Gerade weil ihm ein Kind viel bedeute, müsse er zum gegenwärtigen Zeitpunkt darauf verzichten, aus ökonomischen Gründen, aus lerntechnischen Gründen, aus
räumlichen Gründen, und auch deshalb, weil er sich noch nicht reif genug dafür fühle.
»Du elender Feigling«, hatte kati gerufen, »Hör auf mit deinem hochtrabenden Geschwafel! Gib doch zu, daß kein Verlaß auf dich ist!«
Nein, so wollte er das nicht ausgedrückt haben.
Versprechungen, sofern er welche gebe, halte er immer ein. Nur: für diesen Fall habe er keine gemacht. Von einem Kind sei in all den Jahren nie die Rede gewesen.
Die Überheblichkeit, mit der er diese Diskussionen führte, hatte Kati abgestoßen und fast noch mehr erbittert als seine Weigerung, sich zu einem gemeinsamen Kind zu bekennen. Viele junge Männer, wenn sie aus heiterem Himmel mit einer Vaterschaft konfrontiert wurden, zeigten sich zuerst erschrocken und hilflos. Aber sobald sie sich an den Gedanken gewöhnt hatten, stellte sich Freude ein, nicht selten auch Stolz.
Achim aber führte Diskussionen von der hohen Warte aus. Er hörte nicht auf, die unüberwindlichen Schwierigkeiten darzulegen, die ein Kind zu diesem Zeitpunkt bereiten würde, im Hinblick auf seine Situation. Im Hinblick auf ihrer beider ungesicherten nahen Zukunft und überhaupt…
Kati ließ ihn reden und zog sich zurück. Sie war wütend, gekränkt und zutiefst enttäuscht.
Einen Monat später stellte sich heraus, daß sie kein Kind erwartete, und Achim war wie umgewandelt. Reizend, liebreich, aufgekratzt. Er zog alle Register seines Charmes und konnte gar nicht verstehen, daß Kati nicht sofort darauf ansprach.
Sie blieb auf der Hut vor ihm, aber sie merkte schon, daß sie auf die Dauer nicht standhalten, daß sie wieder schwach werden und ihm verzeihen würde, ohne jedoch das ganze Drama und die unwürdige Rolle, die er darin gespielt hatte, jemals vergessen zu können.
Das ist keine Basis für einen Neuanfang, hatte sich Kati gesagt, obwohl sie an ihm hing, denn er war ihr erster Freund gewesen, der Mann ihres Lebens… bis vor kurzer Zeit jedenfalls.
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, lautete ihre Entscheidung, die er natürlich nicht akzeptierte und zu unterlaufen versuchte, wo immer er konnte. Aber wachsam und vorsichtig, wie sie geworden war, weihte sie ihn in ihre Pläne gar nicht ein. Erst als sie ihren Vertrag mit der Deutschen Schule in Montelindo in der Tasche hatte, stellte sie ihn vor die vollendete Tatsache, daß sie für zwei Jahre nach Südamerika gehen würde.
Er war total verblüfft, gab sich cool und überlegen und machte einen großen Witz daraus, indem er spöttisch um eine Ansichtskarte bat. Aber kurz vor ihrem Abflug kam er nach Battenberg, wo sie Abschied von ihrer Familie nahm, und seine Überlegenheit war wie weggeblasen. Offenbar ging ihm jetzt erst auf, daß sie im Begriff war, aus seinem Leben zu verschwinden – vielleicht für immer.
Nie zuvor hatte sie ihn so hilflos gesehen, nach Worten suchend, die ihm nicht einfallen wollten, denn selbst ihm wurde klar, daß diesmal keine Zeit für Diskussionen mehr blieb.
Kati, in ihrem Liegestuhl ausgestreckt, erwog minutenlang, ob sie Achim nicht allmählich die versprochene Ansichtskarte schicken sollte.
In diesem Moment ertönte eine verzerrte Ansagerstimme von nebenan, gefolgt von röhrendem Jubel und anfeuerndem Gebrüll. Gleichzeitig landeten zwei Ping-Pong-Bällchen auf ihrem winzigen Rasen, und Christofs Kopf erschien hochrot vor Aufregung sekundenlang über der Mauer.
»Komm sofort rüber, das darfst du nicht verpassen! Deutschland spielt gegen Uruguay! Ich hab’ mir ja nicht träumen lassen, daß ich mal ein Weltklassespiel in meinen Fernseher kriege!«
Christofs Haustür stand sperrangelweit offen. Auf seinem Teppich hockte ein halbes Dutzend einheimischer Kinder mit ihren fußballbegeisterten Vätern, klammerten sich an klebrige Cola-Dosen und schnatterten um die Wette.
Christof zog Kati auf eine Indio-Decke, die er in Sichtweite des Bildschirms ausgebreitet hatte, drückte ihr einen Pappbecher mit einer undefinierbaren Flüssigkeit in die Hand, und nahm einen jungen Hund zwischen die Knie, der offenbar zu den Kindern gehörte.
»Ist es nicht phantastisch?« raunte er ihr zu. »Eine deutsche Nationalelf im Original zu sehen – live zu erleben – und auch noch gegen eine südamerikanische Mannschaft! In diesem Spielzeug-Gerät! Ohne Spezialantenne! In der Botschaft ist das natürlich was anderes, aber ausgerechnet heute ist der Chef nicht da, und allein würde ich mich nicht in seinem Allerheiligsten vor den Bildschirm setzen.