118 Über die Verbesserungen im Münzwesen s. Preuss (nach Mommsen), S. 112. – Das Verzeichnis sämtlicher bekannter Bauten dieser Regierung S. 117 ff.
Dritter Abschnitt
Einzelne Provinzen und Nachbarlande Der Westen
Im vorigen Abschnitt wurde nicht verhehlt, wie misslich es mit den Durchschnittsurteilen über manche der wichtigsten Lebensfragen im spätrömischen Reiche aussieht. Es fehlt die wesentliche Basis: die Kenntnis des Zustandes der einzelnen Provinzen. Aus vereinzelten Notizen in den Geschichtschreibern, aus den massenhaft gesammelten Inschriften und aus den Bauresten gehen wohl manche sichere und wertvolle Tatsachen, teils unmittelbar, teils durch Schlüsse hervor, allein nur um so empfindlicher sind die grossen Lücken, welche unausfüllbar dazwischenliegen. Uns ist hier nur gestattet, digressionsweise über diejenigen Provinzen das Wesentliche zusammenzustellen, welche, als die offenen Wunden des kranken Reichskörpers in dieser Zeit, ohnedies die grösste Aufmerksamkeit auf sich ziehen: zunächst über das damalige Gallien, dessen Schicksal mit demjenigen Britanniens eng zusammenhängt119.
Die grossen Tyrannen Galliens hatten zwar einstweilen den Okzident nach Kräften gegen die eindringenden Germanen verteidigt. Allein die Gewaltsamkeit ihrer Sukzession, der fortwährende Kampf nach aussen und zuletzt der Bürgerkrieg zwischen der Partei des Tetricus und derjenigen der italischen Kaiser, wozu Aurelians Feldzug nach Gallien mit der Schlacht bei Chalons s. M. den Schluss bildete – dies alles hatte das allgemeine Elend und die Auflösung aller politischen und sittlichen Bande unerträglich gesteigert. Nun erneute sich der Kampf gegen Franken und Alamannen; noch unter Aurelian siegte der Feldherr Constantius Chlorus über die letztern bei Windisch (274)120, und zwar an demselben Tage, da ihm sein Sohn Constantin geboren wurde; aber alle Siege schienen nur neue Scharen dieser unerschöpflich jugendlichen Völker über den Rhein zu rufen. Es half nichts mehr, ihre Gesandten durch weinfeste Obristen unter den Tisch trinken und in diesem Zustande aushorchen zu lassen; es machte keinen Eindruck mehr, wenn der Kaiser ihre Deputationen mit absichtlichem Pomp vor der halbmondförmigen Fronte empfing, er selber im Purpur auf hoher Bühne, vor ihm die goldenen Legionsadler und die kaiserlichen Bildnisse und die mit Gold geschriebenen Heeresverzeichnisse auf silbernen Lanzen121. Unter Probus nahm der Krieg wieder ganz ungeheure Dimensionen an, und ohne das Talent und den Heldenmut des grossen Kaisers wäre Gallien entschieden verloren gewesen. Dennoch regte sich immer von neuem, hauptsächlich in Lyon und der Umgegend, eine Partei, welche offenbar eine Fortsetzung des gallischen Kaisertums nach dem Vorbilde des Postumus und der Victoria erstrebte. Vielleicht musste Diocletian später bei seiner Teilung der Macht auch auf diese Umstände einige Rücksicht nehmen. Aber ehe es dazu kam, waren die Eroberungen des Probus in Süddeutschland von neuem verloren und das unglückliche Gallien noch einmal von deutschen Scharen überzogen worden; Carinus hatte diese zwar geschlagen und ein Heer dort gelassen, dieses jedoch bei seinem Kriege gegen den Usurpator Julian und den heranziehenden Diocletian wieder abrufen müssen, worauf in Gallien der ganze gesellschaftliche Zustand aus den Fugen ging.
Diesmal sind es die Bauern, welche seitdem in den grossen Krisen des alten Frankreichs mehr als einmal plötzlich in furchtbarer Machtfülle aufgestanden sind. Damals lebten sie in altererbter Sklaverei, wenn das Verhältnis auch in der Regel nicht diesen Namen trug122. Eine Anzahl Bauern waren wirkliche Ackersklaven, andere erschienen als Leibeigene an die Scholle gebunden, wieder andere hiessen Kolonen, das heisst Kleinpächter auf halben Ertrag123; auch bessergestellte Pächter um Geldzins fehlten nicht; endlich gab es eine Masse sogenannter freier Arbeiter und Taglöhner. Aber alle vereinte jetzt dasselbe Unglück. Die Grundeigentümer, ausgesogen durch die raubähnlich steigenden Bedürfnisse des entzweiten Staates, wollten sich an ihren Bauern erholen, gerade wie der französische Adel nach der Schlacht bei Poitiers, als es sich um die Loskaufssumme für die mit König Johann dem Guten gefangenen Ritter handelte. Das einemal nannte man, was daraus entstand die Bagauda, das anderemal die Jaquerie (1358). – Die Bauern und Hirten hatten scharenweise ihre Hütten verlassen, um auf Bettel herumzuziehen. Überall abgewiesen und von den Garnisonen der Städte verjagt, taten sie sich in Bagauden, das heisst Banden, zusammen. Ihr Vieh töteten sie und assen es auf; mit den Ackerwerkzeugen bewaffnet, auf ihren Ackerpferden beritten, durchzogen sie das flache Land, nicht nur, um für ihren Hunger zu sorgen, sondern um es in wahnsinniger Verzweiflung zu verwüsten124. Dann bedrohten sie die Städte, wo ihnen oft ein plünderungssüchtiger, im Elend verkommener Pöbel die Tore öffnete. Die allgemeine Desperation und die dem Gallier angeborene Sucht nach Abenteuern vergrösserten ihr Heer in kurzem dergestalt, dass sie es wagen konnten, zwei von den Ihrigen, Aelianus und Amandus, zu Kaisern zu erheben und so den Anspruch auf das gallische Imperium zu erneuern. Bunt und sonderbar mag die Hofhaltung dieser ländlichen Imperatoren ausgesehen haben; das dritte Jahrhundert hatte zwar Bauernsöhne und Sklavenkinder genug auf den Thron der Welt gesetzt, aber in der Regel solche, die in den Armeen und dann im kaiserlichen Generalstab eine Vorschule der Herrschaft durchgemacht hatten. Aelianus und Amandus besassen einen solchen Anspruch nicht, dafür aber möglicherweise einen andern, der die sonstigen Mängel aufwog. Die christliche Sage, nachweisbar seit dem siebenten Jahrhundert, hat sie nämlich zu Christen gemacht125 und ihnen auf diese Weise ein Recht verliehen gegenüber den götzendienerischen Kaisern. Soviel darf immer angenommen werden, dass eine Menge Christen unter den Armen und Elenden waren, welche sich den Bagauden anschlossen. Wir können dasselbe von Verfolgten aller Art, sogar von Verbrechern vermuten126.
Es scheint, dass das südliche und westliche Gallien weniger von der Bewegung berührt wurde als der Norden und Osten, wo die Not der Barbaren wegen viel grösser sein musste. Eine Stunde über Vincennes hinaus bildet die strengfliessende Marne, kurz vor ihrem Ausfluss in die Seine, eine Halbinsel, auf deren Rücken später die Benediktinerabtei St. Maur-les-fosses erbaut wurde. Schon die alten Kelten hatten mit Vorliebe solche Punkte zu ihren Kriegsfesten (oppida) gewählt, und gewiss gab es an Ort und Stelle schon Wall, Graben und Mauern aus alter Zeit127, als Aelianus und Amandus die Halbinsel zum »Bagaudenschloss« machten, ein Name, den sie noch Jahrhunderte hindurch geführt hat, obwohl in dem einen Jahre 285 auf 286 das wenigste daran gebaut sein konnte. Von diesem unangreifbaren Punkte aus, dem durch keine Furt noch Untiefe beizukommen war, machten sie ihre Streifzüge in Nähe und Ferne; hieher schleppten sie auch ihre Beute zusammen. Sie waren mit der Zeit keck genug geworden, nicht nur schwächere Städte ohne weiteres zu brandschatzen, sondern auch stärkere zu belagern. Es gelang ihnen, das alte, weitläufige Augustodunum (Autun) einzunehmen, wo weder Tempel noch Hallen noch Thermen vor ihnen Gnade fanden; alles wurde ausgeraubt und zerstört, die Einwohner ins Elend vertrieben.
Es musste mit den Bagauden aufgeräumt werden, bevor sie auf diese Weise Stadt um Stadt und damit alle Haltpunkte gegen die Barbaren zugrunde richteten. Dies war die Aufgabe des damaligen Caesars Maximianus Herculius, der sich damit den Augustustitel verdiente. Wir erfahren nur, dass er rasch und leicht fertig wurde, indem er die Banden teils aufs Haupt schlug, teils durch Hunger, wozu sich eine Pest gesellte, zur Übergabe zwang. Ob irgendeine direkte Erleichterung der erdrückenden Lasten erfolgte, welche den Aufruhr hervorgerufen hatten, ist mehr als zweifelhaft, da die Klagen über allzu hohe Steuern sich eher vermehren. Mittelbar besserte sich wohl die Lage des Landes überhaupt, als in der Folge die Germanen für mehrere Jahrzehnte eingeschüchtert wurden und die Usurpation aufhörte; aber im fünften,