Prof. Dr. Guido Möllering

Vielfalt in Unternehmenskulturen


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das innere Differenzierung und Subkulturen nicht als Schwäche sieht und die Führungsaufgabe betont, eine gute Zusammenarbeit trotz unternehmenskultureller Vielfalt zu ermöglichen. So kann das Unternehmen selbst immer wieder eigene neue Wege finden, statt nur dem One Best Way oder den Best Practices anderer nachzueifern.

       Food for Thought: Welche Ideen passen?

      Jede Flughafenbuchhandlung und jedes Wirtschaftsmagazin bietet Führungskräften ständig neue, beeindruckende Konzepte. Aber je radikaler diese verkauft werden, desto vorsichtiger sollten Sie sein – erst recht, wenn das Konzept selbst Anpassungsfähigkeit verordnet. Fragen Sie sich: Was muss ich wirklich ändern, um eine gute Idee nutzen zu können? Welche der vielen guten Ideen passen zueinander und zu meiner Wirklichkeit? Wie passe ich die Ideen an, damit sie tatsächlich funktionieren? Denken Sie etwa an ein altbekanntes Konzept wie das Qualitätsmanagement, das bei aller Standardisierung und Zertifizierung immer auch eine eigene Interpretation erfordert.

       Beispiel LEGO: Einmal alle Innovationskonzepte gleichzeitig und zurück

      Man wird wohl kaum annehmen, dass das LEGO-Management schlicht der Ratgeberliteratur auf den Leim gegangen ist, doch beschreibt David Robertsons Buch „Brick by Brick“ (mit Bill Breen; auf Deutsch: „Das Imperium der Steine“ 2014) sehr anschaulich, was passiert, wenn man Managementkonzepte allzu radikal umsetzt – und womöglich auch noch mehrere gleichzeitig. Als bei LEGO Ende der 1990er-Jahre der Umsatz und der Unternehmenswert einbrachen, griff das Management radikal durch und setzte eine ganze Reihe neuer, angesagter Konzepte um. So wollte man sich aus der etablierten, anscheinend nicht mehr erfolgreichen Unternehmenskultur lösen. Man stellte kreativere Leute ein, suchte Blue-Ocean-Märkte, forcierte die Kundenorientierung, versuchte sich an disruptiven Innovationen, Open Innovation und so fort. Zunächst zeigten sich bei LEGO gewünschte Veränderungen, doch bis 2003 wurde die Krise noch größer als zuvor, weil das Unternehmen sich zügellos in allen möglichen Aktivitäten verrannt hatte. Erst eine Rückbesinnung auf die traditionellen Werte und die kontrollierte Anwendung neuer Konzepte führten zu einer nachhaltigen Innovationsstrategie. Die erfolgreiche LEGO-Kultur ab 2005 kann man sich so vorstellen, dass sie Elemente aus den diversen „heilsbringenden“ Konzepten selektiv in die etablierte Kultur aufgenommen hat. LEGO beherrscht nun ein Spektrum verschiedener Arbeitsweisen für Innovation. Jede ist wichtig. Alle spielen letztlich zusammen.

       Starke Unternehmenskultur – der Mythos lebt?

       Peters’ & Watermans tragische Suche nach der starken Kultur

      Auf der Suche nach einem perfekten Managementkonzept waren Anfang der 1980er-Jahre auch die McKinsey-Berater Tom Peters und Robert H. Waterman, Jr., deren Ergebnisse in dem Management-Bestseller „In Search of Excellence“ (Deutsch: „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“ 1984) veröffentlicht wurden. Sie wollten herausfinden, so der Untertitel des Buches, was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann. Also schauten sie sich gut 60 Unternehmen an, die in den 1960er-und 1970er-Jahren besonders erfolgreich waren, und stellten 43 von ihnen das Prädikat „exzellent“ aus. Als Ergebnis ihrer Analyse präsentierten sie acht Eigenschaften, welche diese exzellenten Unternehmen auszeichnen und deren besonderen Erfolg erklären (vgl. Kasten).

       Acht Eigenschaften exzellenter Unternehmen nach Peters und Waterman

      1.Primat des Handelns – vermeidet Bürokratie

      2.Nähe zum Kunden – ermöglicht Lernen

      3.Freiraum für Unternehmertum – fördert Innovation

      4.Produktivität durch Menschen – erhöht Qualität

      5.Sichtbar gelebtes Wertesystem – gibt Verlässlichkeit

      6.Bindung an das angestammte Geschäft – schafft Sicherheit

      7.Einfacher, flexibler Aufbau – reduziert Redundanzen

      8.Straff-lockere Führung – optimiert Steuerung

      Hinzu kommt die übergreifende Fähigkeit, Zwiespalt und Widerspruch zu beherrschen.

      Quelle: Peters/Waterman 1984

      Schon Peters und Waterman gestanden zu, dass das eigentlich Überraschende an ihrer Liste von Eigenschaften exzellenter Unternehmen nicht die Eigenschaften selbst seien, sondern dass so viele Unternehmen sie gerade nicht aufwiesen. Interessant auch, dass das Konzept des agilen Managements fast 20 Jahre nach Peters und Waterman nahezu identische Werte propagiert: Handlungs-, Kunden-, Menschen-, Flexibilitätsorientierung. Die heutige Aktualität von Agilität – wiederum fast 20 Jahre nach dem agilen Manifest – kann man durchaus als Indiz dafür nehmen, wie weit viele Unternehmen immer noch davon entfernt sind, exzellent im Sinne von Peters und Waterman zu sein. Das ist der erste tragische Aspekt, den man sehen kann, wenn man diese Eigenschaften intuitiv für wünschenswert hält.

      Ebenfalls tragisch – auch peinlich – ist die Tatsache, dass eine ganze Reihe der exzellenten Unternehmen aus der Studie von Peters und Waterman bald nach Erscheinen des Buches in großen Schwierigkeiten steckten, wie zum Beispiel Atari, Kodak, IBM oder Hewlett-Packard. Bei einigen Firmen, etwa Xerox, war vorher schon strittig, ob sie tatsächlich zu den erfolgreichsten gehörten. Spätere Vorzeigeunternehmen, wie Apple, waren schon im Kommen, aber bei Peters und Waterman noch nicht auf dem Schirm. Viele auf der Liste waren einfach etablierte Marktführer mit einem guten Namen, denen man einige der wünschenswerten Eigenschaften nicht absprechen konnte, die aber auch nicht in allen Belangen vorbildlich waren. Die Autoren mussten eingestehen, dass ihre Studie wissenschaftlichen Ansprüchen in der Fallauswahl und -analyse kaum standhalten konnte. Wäre es aber – im Umkehrschluss – ein Fehler, die acht Eigenschaften anzustreben?

      Vermutlich nicht, aber die Suche nach Spitzenleistungen hat noch eine weitere zentrale Botschaft vermittelt, die sich – und darin liegt ebenfalls ein tragischer Zug – nachhaltiger verfestigt hat als jede der acht Eigenschaften auf der Liste: Unternehmen brauchen eine starke Kultur. Nicht zufällig stehen die gemeinsamen Wertvorstellungen, d. h. das Unternehmensleitbild, im Zentrum des 7-S-Modells von McKinsey, das Peters und Waterman mit entwickelt und für ihre Studie verwendet haben. Die Art von Kultur, die sie auch mittels der exzellenten Eigenschaften propagierten, ist dabei durchaus sympathisch, weil sie ausdrücklich nicht nur von der Gewinnorientierung ausgeht, sondern den Sinn und Zweck aus Sicht der Kundschaft und der Mitarbeitenden betont und statt Bürokratie auf Inspiration und Flexibilität setzt.

      In den 1980er-Jahren war Unternehmenskultur als Managementthema noch keine Selbstverständlichkeit. Sie wurde sozusagen als neues Erfolgsgeheimnis entdeckt, dabei jedoch in Veröffentlichungen in der Nachfolge von Peters und Waterman als eine Art Hebel beschrieben, den ganz klar die oberste Führungsebene zu betätigen hatte und der mit großer Entschlossenheit zu bedienen sei, um eine starke Kultur zu erlangen. Das bedeutet: Bei aller gewährten Freiheit, die auch selbst als Wert zur Kultur gehört, sind die zentralen Werte nicht verhandelbar.

      Peters und Waterman beantworten selbst die Frage, ob das Ziel einer starken, einheitlichen Kultur wirklich nötig und nicht womöglich auch gefährlich sein könnte. Sie geben als Antwort, dass allenfalls die Werte die falschen sein könnten, es aber ansonsten ganz entscheidend sei, das gesetzte Leitbild zu leben und durchzusetzen, damit die Kultur stark ist. Wer mit der jeweiligen Kultur ein Problem habe, solle halt woanders arbeiten. Die Gefahr, dass sich das Unternehmen damit von der Umwelt abkopple, sei in exzellenten Unternehmen gerade deshalb nicht gegeben, weil Offenheit und Veränderungsbereitschaft, neben Sicherheit und Menschlichkeit, zu deren zentralen Werten gehörten.

      Wie im Textkasten oben als Ergänzung der Liste angegeben, kommt bei Peters und Waterman als übergreifende Bedingung für den Erfolg der acht Eigenschaften die Fähigkeit hinzu, Zwiespalt und Widerspruch zu beherrschen. Das Tragische an dieser Konzeption von starker Kultur ist also letztlich ihre doppelte Tautologie: Erstens gibt der Erfolg einer Kultur recht – aber: Ist das Unternehmen wegen

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