schleppen wird.”
„Hey, es ist wichtig, sich über die Geschichte eines Ortes zu informieren”, erklärte Reid. „Das Kloster war der Beginn dieser Stadt. Naja, bis in die 1850er, als es ein Urlaubsort für Touristen wurde, die wegen der sogenannten ,Frischluftheilung’ hierher kamen. Seht ihr, damals...”
Maya lehnte sich auf dem Sofa zurück und gab vor, laut zu schnarchen.
„Ha-ha”, spottete Reid. „In Ordnung, ich höre schon auf mit der Vorlesung. Wer möchte noch eine Portion? Ich komme gleich wieder.” Er nahm die drei Becher und ging damit auf die Theke zu.
Während er wartete, konnte er nicht anders, als sich selbst in Gedanken auf die Schulter zu klopfen. Das erste Mal seit einer langen Zeit, vielleicht sogar seitdem der Gedächtnishemmer eingesetzt wurde, fühlte er, dass er seine Töchter richtig behandelt hatte. Sie hatten alle Spaß, die Ereignisse des letzten Monats schienen eine weit entfernte Erinnerung zu werden. Er hoffte, dass dies nicht nur vorübergehend war, und dass das Erschaffen neuer, glücklicher Erinnerungen, die Angst und Qual dessen, was geschehen war, ersetzte.
Natürlich war er nicht so naiv zu glauben, dass die Mädchen einfach den Vorfall vergäßen. Es war wichtig, nicht zu vergessen. Genau wie in der Geschichte, wollte er nicht, dass sich so etwas noch einmal wiederholen könnte. Doch wenn es Sara aus ihrer Melancholie riss und Maya wieder in Richtung Schule und Zukunft brächte, dann hätte er das Gefühl, dass er seine Arbeit als Elternteil erfüllte.
Er kam zurück zum Sofa und sah, wie Maya auf ihrem Handy tippte und Saras Platz leer war.
„Ist auf die Toilette gegangen”, erklärte Maya, bevor er noch fragen konnte.
„Ich hätte nicht gefragt”, gab er so unbekümmert wie er konnte zurück, und stellte die drei Becher auf den Tisch.
„Ja klar”, stichelte Maya.
Reid richtete sich auf und schaute sich trotzdem um. Natürlich hätte er gefragt. Wenn es nach ihm ginge, dann verließe keines der Mädchen sein Blickfeld. Her blickte um sich, an den anderen Touristen und Skifahrern vorbei, die Anwohner, die ein heißes Getränk genossen, die Angestellten, die Gäste bedienten...
Ein Knoten voll Panik zog sich in seinem Magen zusammen, als er Saras blonden Hinterkopf auf der anderen Seite des Gemeinschaftsraumes erblickte. Hinter ihr war ein Mann mit einem schwarzen Parka, der ihr folgte - oder sie vielleicht wegführte.
Er schritt schnell hinüber, die Hände ballten sich zu Fäusten an seinen Seiten. Sein erster Gedanke galt sofort den slowakischen Menschenhändlern. Die haben uns gefunden. Seine angespannten Muskeln waren bereit zu kämpfen, bereit, diesen Mann vor allen anderen auseinanderzunehmen. Die haben uns irgendwie gefunden, mitten in den Bergen.
„Sara”, sagte er scharf.
Sie hielt an und drehte sich um, ihre Augen geweitet aufgrund seines befehlenden Tonfalls.
„Alles in Ordnung?” Sein Blick wanderte von ihr zu dem Mann, der ihr folgte. Er hatte dunkle Augen, war unrasiert, eine Skibrille balancierte auf seiner Stirn. Er sah nicht slowakisch aus, doch Reid ginge keine Risiken ein.
„Alles OK, Papa. Dieser Mann hat mich gefragt, wo die Toiletten sind”, erklärte ihm Sara.
Der Mann hielt beide Hände abwehrend hoch, die Handinnenflächen nach vorn. „Es tut mir sehr leid”, sagte er, sein Akzent klang deutsch. „Ich meinte nichts Böses -”
„Hätten Sie keinen Erwachsenen fragen können?” erwiderte Reid nachdrücklich, starrte den Mann dabei an.
„Ich habe die erste Person gefragt, die ich sah”, verteidigte sich der Mann.
„Und das war ein vierzehnjähriges Mädchen?” Reid schüttelte seinen Kopf. „Mit wem sind sie hier?”
„Mit wem?” fragte der Mann fassungslos. „Ich... ich bin mit meiner Familie hier.”
„Ach ja? Wer sind sie? Zeigen Sie auf sie”, verlangte Reid.
„Ich-ich will keine Probleme.”
„Papa.” Reid fühlte, wie ein Arm an seinem zog. „Das reicht jetzt, Papa.” Maya zog erneut an ihm. „Das ist nur ein Tourist.”
Reids Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sie halten sich besser von meinen Mädchen fern”, warnte er, „oder sonst wird es Probleme geben.” Er drehte sich von dem verängstigten Mann weg, während Sara verwirrt zum Sofa zurückging.
Doch Maya stellte sich ihm, mit ihren Händen auf ihre Hüften gestützt, in den Weg. „Was zum Teufel war das?”
Er legte die Stirn in Falten. „Maya, gib Acht, wie du sprichst -”
„Nein, gib du besser Acht, wie du sprichst”, schoss sie zurück. „Papa, du hast gerade deutsch geredet.”
Reid blinzelte vor Überraschung. „Habe ich?” Er hatte es nicht mal bemerkt, doch der Mann in dem schwarzen Parka hatte sich auf Deutsch entschuldigt - und Reid fuhr einfach in derselben Sprache fort, ohne darüber nachzudenken.
„Du verängstigst Sara einfach nur wieder mit solchen Sachen”, beschuldigte ihn Maya.
Seine Schultern fielen nach vorn. „Du hast recht. Es tut mir leid. Ich dachte nur...” Du dachtest, die slowakischen Menschenhändler wären dir und deinen Mädchen in die Schweiz gefolgt. Plötzlich bemerkte er, wir lächerlich das klang.
Es war offensichtlich, dass Maya und Sara nicht die einzigen waren, die sich von der geteilten Erfahrung erholen mussten. Vielleicht sollte ich ein paar Sitzungen mit Dr. Branson buchen, dachte er, als er sich wieder zu seinen Töchtern setzte.
„Es tut mir leid, was da passiert ist”, erklärte er Sara. „Ich glaube, ich bin einfach ein bisschen zu beschützerisch im Moment.”
Sie antwortete nicht, doch starrte auf den Boden mit dem weit entfernten Blick in ihren Augen. Beide Hände hielten den Kakaobecher, der kalt wurde.
Er wurde sich darüber klar, dass seine Reaktion und wie er wütend den Mann auf deutsch angebrüllt hatte, sie an den Vorfall erinnerten und wie wenig sie über ihren eigenen Vater wusste.
Großartig, dachte er bitter. Nicht mal ein Tag und ich habe schon alles kaputt gemacht. Wie kann ich das nur wieder gutmachen? Er setzte sich zwischen die Mädchen und versuchte verzweifelt, an etwas etwas zu denken, was er sagen oder tun könnte, um die fröhliche Atmosphäre, die nur ein paar Augenblicke zuvor geherrscht hatte, wieder herzustellen.
Doch bevor er überhaupt die Möglichkeit hatte, sprach Sara. Ihr Blick erhob sich, um ihn anzusehen, als sie etwas murmelte, dass Reid trotz der Gespräche um sie ganz klar hören konnte.
„Ich will es wissen”, sagte seine jüngste Tochter. „Ich will die Wahrheit wissen.”
KAPITEL SIEBEN
Yosef Bachar hatte sich die letzten acht Jahre seiner Karriere in gefährlichen Situationen befunden. Als Enthüllungsjournalist hatte er Streitkräfte in den Gazastreifen begleitet. Er war auf der Suche nach versteckten Lagern und Höhlen auf der langen Jagd nach Osama bin Laden durch Wüsten gezogen. Er hatte inmitten von Feuergefechten und Luftangriffen berichtet. Nicht mal zwei Jahre zuvor hatte er die Geschichte darüber bekannt gegeben, wie Hamas Drohnenteile über Grenzen schmuggelte und einen entführten Saudi Ingenieur dazu zwang, sie zu rekonstruieren, damit sie für Bombenangriffe nutzbar waren. Sein Exposee hatte stärkere Sicherheitsvorkehrungen an Grenzen und erhöhtes Bewusstsein über Rebellen, die sich um bessere Technologie bemühten, inspiriert.
Trotz allem, was er tat und riskierte, hatte er sich niemals zuvor in mehr Gefahr als in diesem Moment befunden. Er und zwei weitere, israelische Kollegen hatten über Imam Khalil und seine kleine Sekte von Anhängern berichtet, die