Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk


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sind, und nach Haus einen Brief, daß sie Ihnen Ihre Berichtigung ausschneiden und aufheben solln, damit Sie sichs lesen können, bis Sie sich die Strafe abgesessen ham.«

      »Is Ihnen nicht kalt?« fragte Schwejk voll Teilnahme, als er bemerkte, daß der intelligente Herr mit den Zähnen klapperte. »Wir ham heuer einen kalten Sommer.«

      »Ich bin unmöglich«, schluchzte der Kollege Schwejks, »aus ists mit meinem Avancement.«

      »Das stimmt«, bekräftigte Schwejk entgegenkommend. »Wenn man Sie, bis Sie die Strafe abgesessen ham, nicht ins Amt zurücknimmt, weiß ich nicht, ob Sie bald einen andern Posten finden wern, weil ein jeder, sogar wenn Sie beim Schinder dienen wollten, von Ihnen ein Leumundszeugnis verlangen wird. Ja, so ein Augenblick der Lust, wie Sie sich ihn vergönnt ham, zahlt sich nicht aus. Und hat Ihre Frau mit Ihren Kindern von was zu leben, während der Zeit, wo Sie sitzen wern? Oder wird sie betteln gehn und die Kinder verschiedene Laster lernen müssen?«

      Ein Schluchzen ertönte: »Meine armen Kinder, mein armes Weib!«

      Der gewissenlose Büßer stand auf und begann von seinen Kindern zu sprechen: Er hatte ihrer fünf, der Älteste war zwölf Jahre alt und war bei den Skauts. Er trank bloß Wasser und hätte seinem Vater, der so was zum erstenmal in seinem Leben angestellt hatte, zum Beispiel dienen sollen.

      »Bei den Skauts?« rief Schwejk, »von den Skauts hör ich gern. Einmal in Mydlowar bei Zliw, Bezirk Hluboká, Bezirkshauptmannschaft Budweis, grad wie wir Einundneunziger dort eine Übung gehabt ham, ham die Bauern aus der Umgebung im Gemeindewald eine Treibjagd auf die Skauts gemacht, die sich ihnen dort eingenistet hatten. Drei ham sie gefangen. Der kleinste von ihnen hat gekreischt, geheult und gejammert, wie sie ihn angebunden ham, daß wir abgehärtete Soldaten es nicht mit anschaun konnten und lieber zur Seite gegangen sind. Und wie sie sie so gebunden ham, ham diese drei Skauts acht Bauern gebissen. Beim Foltern vorm Bürgermeister ham sie dann unterm Staberl gestanden, daß es keine einzige Wiese in der Umgebung gegeben hat, die sie nicht zerwälzt ham, wie sie an der Sonne gelegen sind, dann ham sie gestanden, daß der Strich Korn bei Ražitz, grad vor der Ernte, durch einen bloßen Zufall abgebrannt ist, wie sie sich im Korn auf dem Rost ein Reh gebraten ham, an das sie im Gemeindewald mit Messern herangeschlichen sind. In ihrem Versteck, im Wald, hat man über einen halben Meterzentner abgenagte Knochen von Geflügel und Wild gefunden, eine ungeheure Menge Kirschkerne, eine Masse Griebsche von unreifen Äpfeln und andre gute Dinge.«

      Der bedauernswerte Vater eines Skauts war aber nicht zu beruhigen. »Was hab ich da gemacht?« wehklagte er, »mein Ruf ist ruiniert.«

      »Das stimmt«, sagte Schwejk mit der ihm angeborenen Aufrichtigkeit, »nach dem, was geschehn is, muß Ihr Ruf fürs ganze Leben ruiniert sein, weil, bis man es in der Zeitung lesen wird, wern Ihre Bekannten noch was zugeben. Das macht man immer so, aber machen Sie sich nichts draus. Menschen, die einen ruinierten und verdorbenen Ruf ham, gibts in der Welt wenigstens zehnmal soviel wie die mit einem guten Ruf. Das is bloß eine ganz unbedeutende Kleinigkeit.«

      Auf dem Gang wurden schwere Tritte laut, der Schlüssel rasselte im Schloß, die Tür wurde weit geöffnet, und ein Polizist rief Schwejks Namen.

      »Entschuldigen Sie«, sagte Schwejk ritterlich, »ich bin hier erst seit zwölf Uhr mittag, aber dieser Herr is schon seit sechs Uhr früh hier. Ich habs nicht so eilig.«

      Anstelle einer Antwort wurde Schwejk von der starken Hand des Schutzmannes auf den Gang gezogen, der ihn schweigend über die Treppe in den ersten Stock hinaufführte.

      Im zweiten Zimmer saß am Tisch der Polizeikommissär, ein dicker Herr von gutmütigem Äußeren, der zu Schwejk sagte: »Also Sie sind der Schwejk? Und wie sind Sie hergekommen?«

      »Auf die einfachste Art«, entgegnete Schwejk, »ich bin in Begleitung eines Polizisten gekommen, weil ich mir nicht hab gefalln lassen wolln, daß man mich ausm Irrenhaus ohne Mittagmahl herauswirft. Das kommt mir so vor, wie wenn man mich für ein Straßenmädl halten möcht.«

      »Wissen Sie was, Schwejk«, sagte der Herr Kommissär freundlich, »wozu solln wir uns hier in der Salmgasse mit Ihnen ärgern? Ist es nicht besser, wenn wir Sie auf die Polizeidirektion schicken?«

      »Sie sind, wie man zu sagen pflegt, Herr der Situation«, meinte Schwejk zufrieden, »jetzt gegen Abend auf die Polizeidirektion gehn, is ein ganz angenehmer kleiner Spaziergang.«

      »Das freut mich, daß wir uns geeinigt haben«, sagte der Polizeikommissär lustig, »ist es nicht besser, wenn wir uns verständigen, Schwejk?«

      »Ich berat mich auch mit jedem sehr gern«, erwiderte Schwejk, »glauben Sie mir, Herr Kommissär, ich wer Ihnen nie Ihre Güte vergessen.«

      Mit einer ehrerbietigen Verbeugung ging er mit dem Polizisten hinunter zur Wachstube, und eine Viertelstunde später konnte man an der Ecke der Gerstengasse und des Karlsplatzes Schwejk in Begleitung eines zweiten Polizisten sehen, der unter der Achsel ein umfangreiches Buch mit der deutschen Aufschrift »Arrestantenbuch« trug.

      An der Ecke der Brenntegasse stießen Schwejk und sein Begleiter auf eine Menschenmenge, die sich um ein Plakat drängte.

      »Das ist das Manifest Seiner Majestät des Kaisers über die Kriegserklärung«, sagte der Schutzmann zu Schwejk.

      »Ich habs vorausgesagt«, sagte Schwejk, »aber im Irrenhaus wissen sie noch nichts davon, obzwar sies aus erster Hand haben sollten.«

      »Wie meinen Sie das?« fragte der Schutzmann Schwejk.

      »Weil dort viele Herren Offiziere eingesperrt sind«, erklärte Schwejk, und als sie auf eine neue Gruppe stießen, die sich vor dem Manifest drängte, schrie er laut: »Heil Kaiser Franz Josef! Diesen Krieg gewinnen wir!«

      Jemand aus der begeisterten Menge drückte ihm den Hut über die Ohren, und so trat der brave Soldat Schwejk, von einer Menschenmenge umringt, wiederum in das Tor der Polizeidirektion.

      »Wir gewinnen den Krieg ganz bestimmt, ich wiederhols nochmals, meine Herren!«, mit diesen Worten verabschiedete sich Schwejk von der Menge, die ihn begleitete.

      Und irgendwo in weiten Fernen der Geschichte senkte sich auf Europa die Wahrheit herab, daß das Morgen die Pläne der Gegenwart zunichte machen werde.

       6

       Durch das Gebäude der Polizeidirektion wehte der Geist einer fremden Autorität, die das Maß der Begeisterung für den Krieg feststellte.

      Bis auf einzelne, die ihre Zugehörigkeit zu einer Nation, deren Söhne für völlig fremde Interessen verbluten sollten, nicht leugneten, stellte die Polizeidirektion die schönste Gruppe bürokratischer Raubtiere dar, deren ganzes Sinnen und Trachten sich auf Kerker und Galgen konzentriert, um die Existenz der gekrümmten Paragraphen zu wahren.

      Dabei behandelten sie ihre Opfer mit giftiger Freundlichkeit und erwogen vorher bedächtig jedes Wort.

      »Es tut mir sehr leid«, sagte eines dieser schwarzgelbgestreiften Raubtiere, als man ihm Schwejk vorführte, »daß Sie wieder in unsere Hände gefallen sind. Wir haben geglaubt, daß Sie sich bessern werden, aber wir haben uns getäuscht.«

      Schwejk nickte stumm mit dem Kopf und gebärdete sich so unschuldig, daß das schwarzgelbe Raubtier ihn fragend anblickte und mit Nachdruck sagte: »Machen Sie nicht so ein blödes Gesicht.«

      Er ging jedoch sofort zu einem liebenswürdigen Ton über und fuhr fort: »Für uns ist es gewiß sehr unangenehm, Sie in Haft zu halten, und ich kann Ihnen versichern, daß meiner Meinung nach Ihre Schuld nicht so groß ist, denn bei Ihrer geringen Intelligenz besteht kein Zweifel, daß Sie verleitet worden sind. Sagen Sie mir, Herr Schwejk, wer verleitet Sie eigentlich dazu, solche Dummheiten zu machen?«

      Schwejk hustete und sagte: »Ich weiß, bitte, von keinen Dummheiten.«

      »Und ist das keine Dummheit, Herr Schwejk«, hieß es in gekünstelt