Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk


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Morgen weckte man ihn aber auch ohne Wecker, und Punkt sechs Uhr führte man Schwejk im »grünen Anton« zum Landesstrafgericht.

      »Morgenstunde hat Gold im Munde«, sagte Schwejk zu seinen Mitreisenden, als der »grüne Anton« aus dem Tor der Polizeidirektion fuhr.

      3

       Die sauberen, gemütlichen Zimmerchen des Landesstrafgerichtes machten auf Schwejk den günstigsten Eindruck. Die weißgetünchten Wände, die schwarzlackierten Gitter und auch der dicke Oberaufseher für die Untersuchungshäftlinge, Herr Demartini, mit den violetten Aufschlägen und der violetten Borte an der ärarischen Kappe. Die violette Farbe ist nicht nur hier vorgeschrieben, sondern auch bei religiösen Zeremonien am Aschermittwoch und Karfreitag.

      Die glorreiche Geschichte der römischen Herrschaft über Jerusalem wiederholte sich. Man führte die Häftlinge hinaus und stellte sie unten im Erdgeschoß vor die Pilatusse des Jahres 1914. Und die Untersuchungsrichter, Pilatusse der Neuzeit, ließen sich, statt sich in allen Ehren die Hände zu waschen, bei »Teissig« Gulasch und Pilsner Bier holen und lieferten der Staatsanwaltschaft neue und neue Klagen ab.

      Hier schwand zumeist alle Logik, und der § siegte, der § drosselte, der § blödelte, der § prasselte, der § lachte, der § drohte, der § mordete und verzieh nicht. Es waren Jongleure des Gesetzes, Opferpriester der Buchstaben des Gesetzes, Angeklagtenfresser, Tiger des österreichischen Dschungels, die ihren Sprung auf den Angeklagten nach der Nummer des Paragraphen berechneten.

      Eine Ausnahme bildeten einige Herren (ebenso wie bei der Polizeidirektion), die das Gesetz nicht so ernst nahmen, denn man findet überall Weizen zwischen Spreu.

      Zu einem solchen Herrn führte man Schwejk zum Verhör. Ein alter Herr von gutmütigem Aussehen, der, als er einst den bekannten Mörder Walesch verhörte, niemals zu sagen vergaß: »Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Walesch, hier ist gerade ein leerer Stuhl.«

      Als man Schwejk vorführte, forderte er ihn mit der ihm angeborenen Liebenswürdigkeit auf, sich zu setzen, und sagte: »Also Sie sind der Herr Schwejk?«

      »Ich denk«, entgegnete Schwejk, »daß ichs sein muß, weil auch mein Vater ein Schwejk und meine Mutter eine Schwejk war. Ich kann ihnen nicht so eine Schande antun, meinen Namen zu verleugnen.«

      Ein freundliches Lächeln huschte über das Gesicht des Gerichtsrates.

      »Sie haben sich aber eine hübsche Geschichte eingebrockt. Sie haben hübsch viel auf dem Gewissen.«

      »Ich hab immer viel auf dem Gewissen«, sagte Schwejk, indem er noch freundlicher lächelte als der Herr Gerichtsrat, »ich hab vielleicht noch mehr auf dem Gewissen als Sie, Euer Gnaden.«

      »Das geht aus dem Protokoll hervor, das Sie unterschrieben haben«, sagte in nicht minder freundlichem Ton der Gerichtsrat, »hat man auf der Polizei keinen Druck auf Sie ausgeübt?«

      »Aber woher denn, Euer Gnaden. Ich selbst hab sie gefragt, ob ichs unterschreiben soll, und wie sie gesagt ham, ich solls unterschreiben, hab ich ihnen gefolgt. Ich wer mich doch nicht mit ihnen wegen meiner eigenen Unterschrift zanken. Damit möcht ich mir ganz bestimmt nicht nützen. Ordnung muß sein.«

      »Fühlen Sie sich ganz gesund, Herr Schwejk?«

      »Ganz gesund grad nicht, Euer Gnaden Herr Rat. Ich hab Rheuma, ich kurier mich mit Opodeldok.«

      Der alte Herr lächelte wiederum freundlich. »Was würden Sie dazu sagen, wenn wir Sie von Gerichtsärzten untersuchen lassen würden?«

      »Ich denk, daß es mit mir nicht so arg is, daß die Herren mit mir überflüssige Zeit verlieren müßten. Mich hat schon irgendein Herr Doktor auf der Polizeidirektion untersucht, ob ich keinen Tripper hab.«

      »Wissen Sie was, Herr Schwejk, wir werden es halt doch mit den Gerichtsärzten versuchen. Wir werden hübsch eine Kommission zusammenstellen, werden Sie in Untersuchungshaft belassen, und inzwischen ruhen Sie sich hübsch aus. Vorläufig noch eine Frage: Sie sollen nach dem Protokoll erklärt und verbreitet haben, daß bald ein Krieg ausbrechen wird?«

      »Das bitte ja, Euer Gnaden, er wird in der allernächsten Zeit ausbrechen.«

      »Und werden Sie nicht von Zeit zu Zeit von Anfällen gepackt?«

      »Nein, bitte sehr, nur einmal hätt mich fast ein Automobil aufm Karlsplatz gepackt, aber das is schon paar Jahre her.« Damit war das Verhör beendet. Schwejk reichte dem Gerichtsrat die Hand. Als er in seine Zelle zurückkehrte, sagte er seinen Nachbarn: »So wern mich also wegen dem Mord am Herrn Erzherzog Ferdinand die Gerichtsärzte untersuchen.«

      »Ich bin auch schon von den Gerichtsärzten untersucht worden«, sagte ein junger Mann, »das war damals, als ich wegen der Teppiche vor die Geschworenen gekommen bin. Man hat mich für schwachsinnig erklärt. Jetzt hab ich eine Dampfdreschmaschine veruntreut, und man kann mir nichts machen. Mein Advokat hat mir gestern gesagt, wenn ich schon einmal für schwachsinnig erklärt worden bin, so muß ich davon schon fürs ganze Leben einen Vorteil haben.«

      »Ich glaub diesen Gerichtsärzten nichts«, bemerkte ein Mann von intelligentem Aussehen. »Wie ich einmal Wechsel gefälscht hab, hab ich für alle Fälle die Vorlesungen vom Doktor Heveroch1 besucht, und wie sie mich erwischt haben, hab ich einen Paralytiker simuliert, genauso wie ihn Herr Doktor Heveroch geschildert hat. Ich hab einen Gerichtsarzt von der Kommission ins Bein gebissen, hab die Tinte aus dem Tintenfaß ausgetrunken und hab mich, mit Vergeben, meine Herren, vor der ganzen Kommission in einem Winkel ausgemacht. Aber dafür, daß ich einem die Wade durchgebissen hab, haben sie mich für vollkommen gesund erklärt, und ich war verloren.«

      »Ich fürcht mich nicht ein bißl vor diesen Herrn«, verkündete Schwejk, »wie ich beim Militär gedient hab, hat mich ein Tierarzt untersucht, und es is ganz gut ausgefalln.«

      »Die Gerichtsärzte sind Schufte«, ließ sich ein kleiner verhutzelter Mensch vernehmen, »neulich hat man durch einen Zufall auf meiner Wiese ein Skelett gefunden, und die Gerichtsärzte ham gesagt, daß dieses Skelett vor vierzig Jahren durch den Hieb eines stumpfen Gegenstandes in den Kopf erschlagen worden ist. Ich bin achtunddreißig Jahre alt, und man hat mich eingesperrt, obwohl ich einen Taufschein, einen Auszug aus der Matrik und einen Heimatschein hab.«

      »Ich denk«, sagte Schwejk, »wir sollten alles von einer bessern Seite betrachten. Jeder kann sich irren, und er muß sich irren, je mehr er über etwas nachdenkt. Die Gerichtsärzte sind Menschen, und Menschen ham ihre Fehler. So wie einmal in Nusle, grad bei der Brücke über den Botitschbach, da is einmal in der Nacht ein Herr zu mir gekommen, wie ich vom ›Banzet‹ nach Haus gegangen bin, und hat mir mit einem Ochsenziemer eins übern Kopf gegeben, und wie ich am Boden gelegen bin, hat er auf mich geleuchtet und gesagt: ›Das is ein Irrtum, das is er nicht.‹ Und is darüber so in Wut geraten, daß er sich geirrt hat, daß er mir noch eins übern Rücken gehaut hat. Das liegt schon so in der menschlichen Natur, daß sich der Mensch bis zu seinem Tod irrt. Wie der Herr, was in der Nacht einen halb erfrorenen tollen Hund gefunden hat. Er nimmt ihn mit nach Haus und steckt ihn der Frau ins Bett. Wie sich der Hund erwärmt hat und zu sich gekommen is, hat er die ganze Familie gebissen und den Jüngsten in der Wiege hat er zerrissen und aufgefressen. Oder wer ich euch ein Beispiel erzähln, wie sich bei uns im Haus ein Drechsler geirrt hat. Er hat sich mit dem Schlüssel die Podoler Kirche aufgemacht, weil er geglaubt hat, daß er zu Hause ist, hat sich seine Schuhe ausgezogen, weil er geglaubt hat, daß das seine Küche ist, und hat sich auf den Altar gelegt, weil er geglaubt hat, daß er zu Hause im Bett liegt, und hat paar von diesen Deckerln mit heiligen Inschriften auf sich gelegt und untern Kopf das Evangelium und noch andere geweihte Bücher, damit ers hoch unterm Kopf hat. Früh hat ihn der Küster gefunden, und er sagt ihm ganz gutmütig, wie er zu sich gekommen is, daß es ein Irrtum is. ›Hübscher Irrtum‹, sagt der Küster, ›wenn wir wegen so einem Irrtum die Kirche von neuem einweihen lassen müssen.‹ Dann is dieser Drechsler vor Gerichtsärzte gekommen, und die ham ihm bewiesen, daß er ganz zurechnungsfähig und nüchtern war. Wenn er besoffen gewesen