hinauf, und Luke sorgte dafür, dass sie für häufige Verschnauf- und Trinkpausen anhielten; er war sich bewusst, dass Gunner erst zehn Jahre alt war.
Sie bewegten sich immer höher und höher durch das riesige Geröllfeld. Massiven Steine waren am Berghang aufgeschichtet worden, um eine gewundene, riesige Treppe zu schaffen, als wäre ein nordischer Donnergott vom Himmel herabgekommen und hätte sie mit seinen eigenen Händen gemeißelt. Luke wusste natürlich, dass die Steine von arbeitslosen jungen Männern gelegt worden waren, die das Civilian Conservation Corps etwa achtzig Jahre zuvor in den Tiefen der Großen Depression aus den Städten der Ostküste aufgelesen hatte.
Etwas weiter oben stießen sie auf einige eiserne Sprossen, die in die Steinwand geschraubt waren. Sie kletterten die Leiter hoch und schlängelten sich dann eine eingeritzte Felswand hinauf. Bald flachte der Weg ab und sie wanderten durch dichten Wald, bevor sie einen letzten Aufstieg zum Gipfelausblick machten. Sie kletterten auf die Felsen hinaus.
Direkt vor ihnen war ein steiler Abhang. Es waren bestimmt fünfzig Stockwerke hinunter bis zu einem großen See, wo sie geparkt hatten. Weiter draußen bot der Platz einen herrlichen Blick auf den Atlantischen Ozean, der vielleicht acht Kilometer entfernt lag.
„Was meinst du, Monster?“
Gunner war verschwitzt von der Hitze des Tages. Er setzte sich auf einen Felsen, öffnete seinen Rucksack und zog eine Wasserflasche heraus. Sein schwarzes Dawn of the Dead T-Shirt war schweißgetränkt. Sein blondes Haar war verfilzt. Er nahm einen Schluck aus der Flasche und reichte sie Luke. Er war ein selbstbewusstes Kind.
„Es ist fantastisch, Dad. Es gefällt mir wirklich.“
„Ich möchte dir etwas geben“, sagte Luke. „Ich dachte mir ich warte damit, bis wir hier oben sind. Ich weiß auch nicht, warum. Ich dachte, das wäre eine gute Gelegenheit.“
Gunner sah leicht beunruhigt aus. Er mochte es, Geschenke zu bekommen, aber im Allgemeinen bevorzugte er welche, die er sich auch gewünscht hatte.
Luke nahm das Gerät aus seiner Tasche. Es war nur ein kleines Stück schwarzes Plastik, ungefähr die Größe eines Schlüsselanhängers. Es sah nicht besonders aus, wie die Fernbedienung für ein automatisches Garagentor.
„Was ist das?“, fragte Gunner.
„Ein GPS-Gerät. GPS heißt ‚Globales Positionsbestimmungssystem.‘“ Luke zeigte auf den Himmel. „Da oben im All gibt es diese Dinger, die heißen Satelliten…“
Gunner lächelte halbherzig. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß, was GPS ist, Dad. Mom hat eins in ihrem Auto. Das ist auch gut so. Sonst würde sie sich an jeder Ecke verfahren. Warum gibst du mir sowas?“
„Siehst du den Clip, der hinten dran ist? Ich möchte, dass du ihn an deinem Rucksack befestigst und überallhin mitnimmst. Ich habe eine App auf meinem Handy, die darauf eingestellt ist, dieses Gerät zu verfolgen. So weiß ich immer, wo du bist, auch wenn wir getrennt sind.“
„Machst du dir Sorgen um mich?“
Luke schüttelte den Kopf. „Nein. Ich mache mir keine Sorgen. Ich weiß, dass du auf dich selbst aufpassen kannst. Wir sehen uns in letzter Zeit nur selten und wenn ich auf meinem Handy sehen kann, wo du bist, ist es fast so, als wäre ich bei dir.“
„Aber ich kann nicht sehen, wo du bist“, sagte Gunner. „Ist das nicht ein bisschen unfair?“
Luke griff in seine Tasche und holte ein weiteres GPS-Gerät heraus, dieses in leuchtendem Blau. „Siehst du das? Ich werde es an meinen Schlüsselbund hängen. Wenn wir zurück im Hotel sind, lade ich die App auf dein Handy, dann weißt du auch immer, wo ich bin.“
Gunner lächelte. „Die Idee gefällt mir, Dad. Aber du weißt, dass wir uns einfach schreiben könnten? Weißt du überhaupt, wie das geht? Ich weiß, dass viele Leute in deinem Alter keine Ahnung von Handys haben.“
Jetzt lächelte Luke. „Ja, keine Sorge. Wir können auch beides tun.“
Für Luke war es ein zwiespältiges Gefühl, mit Gunner hier oben zu sein. Luke war ohne Vater aufgewachsen, und jetzt musste Gunner dasselbe durchmachen. Die Scheidung mit Becca war noch nicht abgeschlossen, aber das Ende war in Sicht. Luke hatte seit zwei Monaten nicht mehr für die Regierung gearbeitet, aber Becca war unnachgiebig gewesen: Sie zog es trotzdem durch.
In der Zwischenzeit hatte Luke zwei Wochenenden im Monat mit Gunner. Er tat alles, was in seiner Macht stand, um sicherzustellen, dass diese Wochenenden voller Spaß und Abenteuer waren. Er tat auch alles, was er konnte, um Gunners Fragen unparteiisch, aber optimistisch zu beantworten. Fragen wie diese:
„Glaubst du, wir können so etwas eines Tages mit Mom machen?“
Luke starrte aufs Meer hinaus. Bei solchen Fragen würde er am liebsten die Klippe, die vor ihnen lag, herunterspringen. „Ich hoffe es.“
Gunner wurde selbst bei diesem kleinen Zugeständnis hellhörig. „Wann?“
„Nun, du musst verstehen, dass deine Mutter und ich gerade eine kleine Meinungsverschiedenheit haben.“
„Ich verstehe das nicht“, sagte Gunner. „Ihr liebt euch doch, oder? Und du hast versprochen, deinen Job zu kündigen, richtig? Du hast doch gekündigt?“
Luke nickte. „Ich habe gekündigt.“
„Siehst du. Aber Mom glaubt dir nicht.“
„Ich weiß.“
„Kannst du sie nicht irgendwie überzeugen?“
Luke hatte auf jeden Fall gekündigt. Er hatte nicht nur seine Kündigung eingereicht, sondern war anschließend komplett untergetaucht. Susan Hopkins hatte versprochen, ihn in Ruhe zu lassen, und sie hatte ihr Versprechen auch gehalten. Er hatte sogar keinen Kontakt mehr zu seiner alten Gruppe im Special Response Team.
Er genoss seine Auszeit tatsächlich. Er war zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Er hatte eine Hütte im Adirondack-Gebirge gemietet und zwei Wochen lang fast ausschließlich mit Bogenjagd und Angeln verbracht. Er badete jeden Morgen im See, der hinter seiner Hütte lag. Er ließ sich einen Bart wachsen.
Danach verbrachte er zehn Tage in der Karibik, segelte allein durch St. Vincent und die Grenadinen, schnorchelte mit Meeresschildkröten, Riesenrochen und Riffhaien und besichtigte Schiffswracks, die mehr als hundert Jahre alt waren.
Am Ende jeder kleinen Reise nahm er sich Zeit, um nach Washington, DC zurückzukehren und Gunner für das nächste Vater-Sohn-Abenteuer abzuholen. Luke musste zugeben, dass ihm der Ruhestand gefiel. In einem Jahr, wenn ihm das Geld ausgehen würde, würde es nicht mehr so angenehm sein, aber im Moment war er vollends zufrieden.
„Werdet ihr euch wirklich trennen?“
Luke bemerkte das Zittern in Gunners Stimme, als er diese Frage stellte. Das konnte er nur zu gut verstehen. Gunner hatte Angst. Luke setzte sich mit ihm auf die Felsen.
„Gunner, ich liebe dich und deine Mutter sehr. Die Situation ist kompliziert, und wir arbeiten daran, so gut wir können.“
Das stimmte nicht unbedingt. Becca war kalt zu Luke. Sie wollte die Scheidung. Sie wollte das volle Sorgerecht für Gunner. Sie dachte, Luke sei eine Gefahr für Gunner und sie. Sie hatte praktisch damit gedroht, eine einstweilige Verfügung gegen ihn zu erwirken. Sie war unvernünftig, und sie und ihre Familie hatten reichlich Geld. Sie konnte einen langen und erbitterten Sorgerechtsstreit bezahlen, wenn es sein musste.
„Willst du mit ihr zusammen sein?“
„Ja, das will ich. Natürlich will ich das.“ Das war die erste Lüge, die Luke Gunner in diesem Gespräch erzählt hatte. Die Wahrheit war kompliziert. Am Anfang hatte er sie noch zurückgewollt. Aber während die Zeit verging und Beccas Position sich verhärtet hatte, wurde er immer unsicherer.
„Warum kommst du dann nicht einfach nach Hause und sagst es ihr? Warum schickst du ihr keine Blumen, bis sie dir vergibt?“
Das war eine gute Frage. Eine Frage, die keine einfache Antwort hatte.
In Lukes Rucksack fing ein Telefon an zu klingeln. Wahrscheinlich war es Becca, die mit Gunner sprechen wollte. Luke