Peter Bock

Schwingungen


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dies Urteil gewiss nicht…

      Danke, Frau Gräfin, vielen Dank! Ihre Haltung und die Ihrer Parteifreunde zu diesem Thema ist hinlänglich bekannt.

      Ich bin mit dem Zug angereist – gerammelt voll, sogar die Erste Klasse. Allerdings im Bahnrestaurant gähnende Leere, nur ein einziger Tisch besetzt. Und das blieb auch so, also konnte ich die Fahrt nach Berlin richtig genießen, vor mir ein frisches Hefeweizen. Nach einer knappen Stunde war Schluss mit lustig: Eine Kellnerin forderte mich auf, meinen Platz zu räumen, damit es nicht zu eng würde. Mein Einwand, dass doch niemand sonst da wäre, wurde mit dem Hinweis beantwortet, wonach grundsätzlich nach 45 Minuten der Platz für nachfolgende Gäste freizugeben sei. Noch Fragen?

      Da haben wir wohl alle ähnliche Erfahrungen wie Herr Riesen. Frau Breitscheidt? Noch einmal die Deutsche Bahn?

      Nein, das nicht, aber an unseren Schulen finden ähnliche Merkwürdigkeiten statt. In Nordrhein-Westfalen werden Grundschüler wieder ohne Abstandsregeln unterrichtet, aber nur, wenn die Klassen streng voneinander getrennt sind. Dies gilt allerdings nicht bei offenem Ganztag und in den Schülerbussen, da dürfen alle bunt gemischt miteinander.

      Kurioses gibt es nicht nur im Westen, sondern auch im Norden: Schleswig-Holsteiner durften nach Hamburg fahren, Hamburger jedoch nicht ins Nachbarland einreisen.

      Wir sollten nicht alles so negativ sehen! Was zum Beispiel gibt es Schöneres als eine rauschende Hochzeitsfeier? In Baden-Württemberg darf das Brautpaar sogar tanzen, vorausgesetzt, die Tanzfläche umfasst mindestens 25 Quadratmeter. Zumindest dürfen sich die Brautleute eine Pizza kaufen, ein Eis zum Nachtisch dagegen nicht; die Pizza als Lebensmittel zählt zur Grundversorgung, das Eis als Genussmittel nicht.

      Stimmt, Herr Kowalski. Später konnte man wieder Eis kaufen, allerdings nicht einfach so. In Niedersachsen gibt’s das nur zum Mitnehmen, und grundsätzlich gilt dann die Regel, wonach der Verzehr von Speisen und Getränken innerhalb eines Umkreises von 50m zu den Restaurationsbetrieben unterbleibt. Bekanntlich schmilzt Speiseeis bei hohen Temperaturen relativ schnell, so dass die Behörden hier konkreter werden mussten.

      Warten Sie, ich zitiere wörtlich von meinem Zettel:

      Bei der Anwendung der Verordnung darf insofern pragmatisch vorgegangen werden, als durch erstes rasches Lecken an einer Eiskugel während des zügigen Sichentfernens von der Eisdiele ein Heruntertropfen des Eises auf Kleidung oder Fußboden verhindert werden kann. Für den Verzehr des Resteises gilt jedoch der Abstand von 50 Metern.

      Und da stellt sich wohl für jeden von uns die Frage: Welches Volk auf diesem wundervollen Planeten – außer uns Deutschen – gibt sich derartige Verhaltensregeln? Stimmt’s, Herr Dr. Burgstaller? Das ist Fakt und kein Witz.

      Ein Witz ist, dass sich gegenwärtig alle Introvertierten entspannt zurücklehnen können, denn das Virus verbreitet sich bekanntlich nur über soziale Kontakte.

      Gut ist auch der hier: Die Berliner haben in China nachgefragt, ob die Arbeiter, die das Krankenhaus in Wuhan gebaut haben, nicht auch den Berliner Flughafen fertigstellen könnten. Die Chinesen haben abgelehnt: Nur für drei Tage schicken die ihre Leute nicht los.

      Bayern iff da ganff anffz.

      Wenn wir in ein paar Jahren zurückdenken an 2020, werden wir vermutlich nicht mehr erinnern, was konkret alles angeordnet war, was wir befolgt haben oder auch nicht. In unserem Lebenslauf werden jedoch drei Dinge auftauchen: Netflix gucken, Hände waschen und in die Armbeuge husten. Oder?

      Und Hamsterkäufe! Vertreter bildungsferner Schichten sollen in Scharen die Zoogeschäfte frequentiert haben, um einen dieser possierlichen Nager als Schutz vor Covid-19 zu erstehen.

      Ist auch nicht schlimmer als die Empfehlung des US-Präsidenten, sich unverzüglich ein Desinfektionsmittel zu injizieren.

      Vielleicht erinnern wir uns auch an all die Widersprüche. Wir sollen so lange „eingesperrt“ bleiben, bis das Virus verschwindet. Das tut es, wenn kollektive Immunität erreicht wird, also wenn es zirkuliert. Dafür sollte man eher draußen unterwegs sein, oder?

      Mag sein, Herr Riesen, mag sein. Gibt es denn, Frau Angermann-Möhrungen, überhaupt keine positiven Aspekte bei dieser Pandemie?

      Weniger Verkehr auf den Straßen, auf den Meeren und in der Luft, die Industrieproduktion teilweise lahmgelegt. Weniger Lärm, weniger Emissionen, weniger Gesundheitsrisiken! Corona rettet sicher nicht unser Klima, allerdings ist ein positiver Effekt unbestreitbar, eine Art Verschnaufpause.

      Ob und wie groß dieser Einfluss ist, lässt sich seriös erst bewerten, wenn alle Daten vollständig vorliegen. Insgesamt wird es sich also um kurzfristige Effekte handeln. Eine langfristige Verbesserung erreicht man nur mit gezielter Klima- und Umweltpolitik, die Produktionsweisen, die gesamte Infrastruktur, unsere Konsum- und Mobilitätsmuster dauerhaft verändert. Wir dürfen keinesfalls vergessen, dass nicht nur Ökologie für uns wesentlich ist, sondern für die Industrie- und Exportnation Deutschland vor allem die Ökonomie.

      Ist kaum von der Hand zu weisen, Herr Doktor. Weitere Aspekte?

      Mmpf!

      Herr Seitenreiter, es reicht! Sie nuscheln sich die ganze Zeit etwas in Ihre Binde, wir sind auf Vermutungen angewiesen, was Sie hier vorbringen wollen, und Ihre gewohnt klaren Aussagen fehlen uns! Also, runter mit dem Schnutenlappen, und dann geht das Schlusswort an Sie.

      Markus Söder muss Kanzler werden!

      Corona?

      Geht doch gar nicht, so was!

      Aber wieso denn nicht?

      Weil es sich um einen Kosenamen handelt, nicht um einen Spitznamen. Ein Kosename muss ausschließlich positiv besetzt sein und sollte deine Liebste keinesfalls herabsetzen. Nicht mal du kämst ja wohl auf die Idee, deine Angebetete in aller Öffentlichkeit mit Pupsi, Stinkefüßchen oder Schwabbel zu adressieren.

      Wo denkst du hin?! Aber es sollte nicht so ein abgenutzter Allerweltsbegriff sein, sondern schon das Besondere unserer Beziehung widerspiegeln.

      Und was heißt das konkret?

      Mausi, Spatz oder Hase sind mir zu gewöhnlich. Stell dir vor, wir sind gerade bei ALDI, und ich sage: „Ein tolles Angebot! Guck mal hier, mein Schatz!“ Da kommen gleich ein Dutzend Frauen um die Ecke. Bloß das nicht! Auch nicht Engel, Kleine oder gar Purzel.

      Dann nenn sie doch Emily oder Wilma.

      Hä?

      Das waren Kategorie-5-Hurrikane in Nordamerika. Passt hervorragend, finde ich. Da sind genügend Parallelen zum Zwischenmenschlichen: Wenn so ein Hurrikan kommt, ist er heiß und feucht, nachdem alles vorbei ist, sind Haus und Auto weg. Sobald du eines Tages das Scheidungsurteil in Händen hältst, verstehst du sofort diesen Zusammenhang.

      Das würde ja bedeuten, dass ich bei Emily oder Wilma von vornherein ein Scheitern geradezu erwarte - kein besonders förderlicher Ansatz.

      Einverstanden. Also, grundsätzlich musst du natürlich selbst wissen, wie du die Süße gern ansprichst, aber deine jetzige Wahl schließt Fieber, Müdigkeit, Durchfall, trockenen Husten und Atemnot ein. Nichts davon ist positiv!

      Mag sein, aber andererseits ist sie urplötzlich über mich gekommen! Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass es mich noch einmal so erwischt. Mir wird ganz heiß, wenn sie mich nur anschaut, mir bleibt regelrecht die Luft weg. Das sind doch wohl Gründe genug, warum sie für mich Corona sein soll, oder? Das klingt zudem besonders weiblich!

      Ich versteh‘ ja deine Gründe, aber Ellen allein reicht doch! Zwar wird heute nur noch jedes tausendste Mädchen so getauft, aber immerhin besteht eine Verbindung zum altgriechischen Helena, also „die Leuchtende“ oder „die Sonnenhafte“; da musst du nicht über Kosenamen nachdenken, um ihr zusätzlich Glanz zu verleihen.

      Ich finde sie so toll, das kann gar nicht zu viel werden.

      Ellen ist nicht nur als Vorname recht beliebt, sondern er weist im Bürgerlichkeitsindex - wie Paulina, Lena oder Ciara