der Stadt in Erscheinung tritt, war der Pädagoge Paulus Niavis Rektor der Lateinschule und gab ihr ein modernes Gepräge.
Lassen Sie sich also in ein interessantes Jahrhundert mitteldeutscher Geschichte entführen, in welchem die Veränderungen durch die Reformation erste zaghafte Markierungen setzen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.
„Der Patient kommt zu sich, er stabilisiert sich. Frag in der Zentrale an, in welche Klinik wir ihn bringen sollen.“
Das Zucken der Augenlider verrät, dass der Verletzte um das Erwachen ringt und der Arzt kontrolliert aufmerksam die Geräte. „Mach schon, Junge, ich will Weihnachten zu Hause feiern und nicht ewig an dir herumdoktorn. Meine Kinder brauchen mich als Ruprecht!“
„Bis dahin ist schon noch ein wenig Zeit, Doc!“ Der Sanitäter schmunzelt und drückt die Sprechtaste, um das Fahrziel zu erfragen.
Der Mann auf der Trage gibt sich offenbar alle Mühe, die Schwelle zum Bewusstsein zu überqueren. Seine Sinne greifen suchend nach dem Inhalt der wahrgenommenen Worte. Ruprecht – wer ist denn Ruprecht. Schlieren gleich tanzen die Gedanken durch den Äther, lassen kein Festhalten zu und drehen sich im Reigen einer nimmer endenden regenbogenfarbigen Spirale und tauchen die Atemluft in die eisige Kälte eines rettenden Schlafes.
„Er dreht wieder ab!“ Die Stimme des Arztes tönt unwahr in das Ohr des Verunfallten, leiert blechern wie aus dem Trichter eines Grammophons, dessen Federspannung nachlässt.
***
DIE LEUTE HINTER DER BACH
„Kannst du nicht aufpassen?! Herrgott nochmal, der Schrank ist hinüber, den nimmt uns der Pegnitzer niemals ab! Hundertmal habe ich dir schon gesagt, dass du hinsehen sollst, wenn du etwas abstellst!“
Das Gesicht des Tischlermeisters ist rot vor Zorn und seine Wangen zittern. Mit festem Griff sucht er seinen Sohn vom Boden hochzuziehen, der aber hat die Augen verdreht, hockt in der Ecke und hält die Hand auf die Hüfte gepresst. Zwischen seinen Fingern färbt sich der Kittel dunkel von Blut.
Hans Prescher, so nennt sich der Meister, erschrickt vor dem Anblick. „Magdalena!“ Seine Stimme gellt durch die Werkstatt. „Bring schnell das Verbandszeug! Dein Sohn hat sich mal wieder dumm angestellt!“
Es ist doch stets dasselbe mit dem Jungen, er taugt einfach nicht für das Handwerk! Mit seinen einundzwanzig Jahren stellt er noch immer so viel Unfug bei der Arbeit an, dass sein Vater für Ruprechts Zukunft schwarz sieht. Nicht, dass er die Kniffe und Handgriffe des Tischlerhandwerks nicht beherrschte, nein – ganz im Gegenteil. Er arbeitet sauber und passgenau. Aber seine Gedanken schweifen zu oft ab und dann kommt es häufig vor, dass Werkzeuge herabfallen oder Werkstücke urplötzlich keinen Halt mehr finden und auf den Boden prallen.
Da ist Ruprechts jüngerer Bruder, der Paul, von ganz anderem Holz. Der arbeitet nicht nur ebenso präzise, sondern ist auch sehr konzentriert. Hans bereitet der Unterschied zwischen den Jungen große Sorgen, denn wem soll er später die Tischlerei übergeben? Ruprecht geht zu vieles schief und Paul steht mit dem Rechnen auf Kriegsfuß. Mehr Söhne jedoch gibt es nicht im Hause Prescher. Der besorgte Vater nickt grübelnd. Eines der Mädchen wird wohl die Bücher führen müssen, damit der Handwerksbetrieb nicht ruiniert wird.
Wo bleibt denn nur die Mutter? Gerade will er erneut nach ihr rufen, da öffnet sich die Tür und die Meisterin betritt die Werkstatt. „Was hat unser Pechvogel wieder angestellt? Er wird noch so enden wie sein Oheim, der Ruprecht Zimmermann – Gott habe ihn selig! Der ist in seiner Schusseligkeit auch von einem Balken erschlagen worden.“
Sie eilt zu ihrem Sohn und legt mit energischen Handgriffen die Wunde frei. „Oh, das sieht gar nicht gut aus! Sag der Elisabeth, sie soll eine Schüssel warmes Wasser bringen.“ Meister Prescher wirft über die Schulter seiner Frau einen Blick auf die freigelegte Wunde. Ein Stechbeitel ist zu gut einem Drittel dicht über dem Beckenknochen in die Hüfte eingedrungen und im Takt des Pulses tritt immer neues Blut aus der Wunde. Mit Entsetzen nimmt er die Gefahr war. Hoffentlich hat sich der Junge keine inneren Organe verletzt! Hastig wendet er sich ab, um der Tochter die von der Mutter erteilte Aufgabe zu übermitteln. „Ich werde den Bader holen“, gibt er Bescheid, ehe er die Werkstatt verlässt.
„Ja, ja, geh nur, wirst den Bader ohnehin nicht finden!“ Die Mutter lächelt schmerzlich vor sich hin. So ist er eben, ihr Hans: ein Kerl wie der Schrank im Ratssaal, aber hilflos wie ein Neugeborenes, wenn er Blut sieht. Sie schiebt mit den Fingern die Strähne des von grauen Fäden durchzogenen braunen Haares aus der Stirn und drückt mit dem Daumen die Ader neben der Wunde ab, so dass der Blutstrom verringert wird. „Lisa, wo bleibst du denn? Beeil dich!“
Auf den energischen Ruf der Mutter hin zeigt sich der strohblonde Schopf der Zwölfjährigen in der Tür. „Ich bin gleich soweit, Mutter. Das Wasser muss noch etwas wärmer werden.“
Das Mädchen wirkt für sein Alter schon sehr verständig und geht der Mutter des Öfteren zur Hand. Obwohl das gar nicht selbstverständlich ist, hat sie große Freude an der Hausarbeit und noch mehr am Lesen und Schreiben. Wenn es auch völlig außerhalb der Gepflogenheiten der Nachbarn ist, in der Familie Prescher lernen seit uralten Zeiten die Kinder das Schreiben. Natürlich geht es bei den einen besser und bei anderen schlechter, aber sie alle können mit Buchstaben umgehen.
Jetzt aber ist das Mädchen bemüht, eilig das warme Wasser der Mutter zu bringen, und obwohl die Schüssel eigentlich zu schwer ist für das staksige Mädchen, zieht es diese vom Herd und stellt sie auf die Bank daneben. „Hannel, nun pack mal mit an. Ich kann die Schüssel so nicht allein in die Werkstatt bringen“, fordert Elisabeth ihre Schwester, die nur ein Jahr jünger ist als sie selbst, zu helfen auf. Johanna, noch recht kindlich, hockt in der Ecke hinter dem Herd und ist in das Spiel mit ihrer Puppe vertieft. „Dann musst du eben das Wasser mit dem Krug rüberbringen“, wehrt sie das Ansinnen der Älteren ab. „Was bist du doch faul!“, erregt sich Elisabeth aufs Höchste. „Ruprecht liegt verletzt in der Werkstatt und dir ist das gleichgültig, als ob dir dein Bruder nie Gutes getan hätte. Dabei ist die Puppe, mit der du gerade spielst, von seiner Hand geschnitzt!“. Die Tränen der Entrüstung rollen nun, im Lichte schillernd, die zorngeröteten Wangen hinab.
Eilig springt Johanna auf und eilt bestürzt zu ihrer Schwester. „Lisa, es war doch nicht so gemeint! Ich will dir ja helfen, nur musste ich erst die Grete schlafen legen. Sei nicht traurig!“, bettelt sie und greift unbedacht nach der Schüssel, die ja noch des Herdes Hitze in sich bewahrt. Erschrocken zieht sie die Hand zurück, als die Wärme vom irdenen Rand auf ihre Haut trifft. Fast hätte sie das Gefäß von der Bank gerissen. „Autsch! Die ist ja heiß, wie soll ich die anfassen und heben?“ Elisabeth runzelt die Stirn. „Die Schüssel ist doch nicht heiß, ich habe sie eben vom Herd auf die Bank gehoben.“
Weil sie aber nicht länger debattieren will, nimmt sie die Kelle und schöpft das Wasser in den Holzbottich. „So werden wir es wohl schaffen!“, erklärt sie und trägt das Gefäß aus dem Zimmer. Johanna bleibt reglos zurück und fühlt sich über die Maßen gescholten. Nun treten ihr die Tränen in die Augen und vor Empörung schluchzt sie zum Herzerbarmen. „Keinem kann ich es recht machen! Jeder meint, er könne auf mir herumhacken, nur weil ich die Jüngste bin!“
Indes hat Elisabeth das Wasser neben der Mutter abgestellt, die den Bottich an sich heranzieht. „Das hat ja lange genug gedauert! Wenn es eilig ist, dann braucht ihr immer am längsten. Hilf mir und drück deinen Finger hierher!“, zischt Magdalena vor Sorge um den Sohn ungehalten. Kaum hat das Mädchen den Finger an Mutters Daumen statt platziert, hat diese den Stechbeitel mit einem Ruck aus der Hüfte des Sohnes gezogen. Mit der anderen Hand greift sie ein Tuch, spült es im warmen Wasser und wäscht die Verletzung. Anschließend deckt sie unter Druck die Wunde ab und legt einen straffen Verband an. Leises Seufzen dringt über die blauweißen Lippen Ruprechts. Die Augen finden wieder in die von der Natur zugedachte Stellung, die Lider schieben sich über die Pupillen und keinerlei Wahrnehmung ist erkennbar.
Müde wischt sich Magdalena über die Stirn. „Ich hoffe, dass es vorerst hilft,