Gerd vom Steinbach

Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen


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zu nennen pflegt. Irgendwo in der Nachbarschaft bellt ein Hund seinen Zorn über den Hasen außerhalb seines Reviers in den Abendhimmel. Meister Prescher sitzt allein auf der Bank vor seinem Haus und schnitzt gedankenverloren an einem Holzkloben. Sein Blick irrt durch die Gasse, ohne irgendwo zu verweilen. Nein, ihn interessiert nicht das Stück Holz in seiner Hand, noch das Tun der Nachbarn. Den ganzen Nachmittag ist er durch die Stadt geirrt, ohne den Schreck über den Unfall des Sohnes verwinden zu können. Dabei hat er nicht einen Augenblick den Bader oder gar den Medikus suchen, sondern nur seine unbändige Angst um den Jungen bändigen wollen. Ihm ist klar, dass Magdalena besser als jeder andere das Richtige zu tun weiß. Tatsächlich ist sie mit dem Verletzten zurechtgekommen und hat den Sohn vor dem Vergehen gerettet. Jetzt ist die große Sorge des Tischlers, welche Richtung die Gespräche der Nachbarn nehmen werden. Es sind nicht viele, die über die entfernte Verwandtschaft Magdalenas mit der Mutter Mechthild Bescheid wissen, aber es genügt immerhin, wenn einer der Eingeweihten das Gerücht von Hexenzauber in Umlauf bringt. Es wird das Beste sein, am Sonntag eine große Kerze für die heilige Jungfrau anzuzünden.

      „Vater, kommst du nicht herein? Es wird langsam kühl hier draußen und du wirst dir eine Erkältung holen!“ Im Schatten der Tür steht Magdalena und blickt auf ihren Gatten. „Nun komm schon und lass dich nicht von den Sorgen auffressen. Ruprecht ist wieder bei Sinnen und erholt sich langsam. Um das Gerede der Nachbarn musst du dir keine Gedanken machen. So oft unser Großer schon verletzt war, ist es für sie ganz logisch, dass ich ihn wieder auf Vordermann bringe. Sie würden sich eher wundern, wenn das nicht gelänge. Komm also herein, schnitzen kannst du auch während wir spinnen.“

      Hans erhebt sich fast mechanisch und schüttelt dabei den Kopf – weniger aus Ablehnung als vielmehr aus Verwunderung. Wieso kennt sie immer wieder seine Gedanken?

      Die Stube ist von drei Talgfunzeln erhellt, deren Licht bei weitem nicht ausreicht, die finsteren Ecken auszuleuchten. Aber gerade so ist es schön heimelig und beim Spinnen kommt es nicht so sehr darauf an, gut zu erkennen. Weil das Haus nur aus der einen Stube und der Werkstatt besteht, hat die gesamte Familie des Tischlers Anteil an der gemütlichen Atmosphäre. Die Mutter mit den zwei Töchtern bilden mit ihren Spinnrädern ein nahezu gleichseitiges Dreieck, dessen eine Seite sich nach der Schlafstatt Ruprechts öffnet, während in den anderen Seiten einmal der Vater und zur anderen Paul jeweils mit ihrem Schnitzwerkzeug Platz genommen haben. Die Anordnung hat sich im Haus des Tischlers lange schon für solche Abende eingebürgert, nur, dass Ruprecht normalerweise auch auf seinem Schemel sitzt.

      Elisabeth, die das Singen über alles mag, hat eine melancholische Weise von Liebe und Abschied zu Ende gebracht und nun richten sich die Augen der Mädchen erwartungsvoll auf Magdalena. Hans, dem die stumme Aufforderung der Töchter nicht entgeht, schmunzelt der Mutter zu. „Na, meine Gute, mir scheint, du hast die zwei Mäuse mit einem Versprechen abgespeist. Was ist es diesmal?“

      Scheinbar gequält stößt diese einen herzerweichenden Seufzer aus. „Ach ja, ich habe einen Teil der Rudolfballade vorgetragen und weil sie dann gar so sehr gebarmt haben, wollte ich heute Abend den Vortrag fortsetzen. Nun weiß ich nicht, ob das auch unseren drei Männern zusagt.“

      Die Enttäuschung, die Mutters Antwort in das Gesicht Johannas schreibt, lässt sich nicht in Worten ausdrücken und so hakt Paul schnell ein: „Erzähl nur, Mutter. Es gibt keine schönere Geschichte über unser Volk und wir mögen sie alle. Außerdem ist es an der Zeit, dass das Hannel etwas über unsere Herkunft lernt. Ich glaube beinahe, Lisa kennt sie auch noch nicht.“

      Der Vater überlegt kurz und wirft dann ein: „Stimmt, als wir sie zuletzt hören durften, waren die zwei Mädchen noch zu klein. Es wird also Zeit, die beiden einzuweihen in die dunklen, dunklen Geheimnisse unserer Vorfahren.“

      Während die Schwestern schaudernd die Schultern nach oben ziehen, blickt Hans schmunzelnd in die Augen Magdalenas. Die schüttelt den Kopf und tadelt ihren Gatten: „Na, weißt du Hans, wir haben doch keine dunkle Vergangenheit! Ganz im Gegenteil, sie wird erhellt vom steten Licht reinen Glaubens!“

      „Wie wahr, das wollen wir dir gerne glauben – bei Wotan und den Nornen!“ Unter Prusten stößt der Vater den Satz aus, doch die undeutliche Sprechweise lässt nicht zu, dass er verstanden wird und so wirkt sein Lachanfall eher befremdlich auf die Familie.

      Magdalena lässt sich nicht stören und gleich darauf tönen die gereimten Worte, Frieden vermittelnd, durch den Raum, lassen vor den Augen der Zuhörer das Bild von den rumpelnden Wagen erstehen, die sich mühselig den Weg über die urwaldbestandenen Berge von Thüringen her an die Chemnitz bahnen.

       AUF FREIERSFÜßEN

      Der Regen prasselt gnadenlos auf die Stadt hernieder und lässt die befestigte Gasse geradezu im Schlamm verschwinden. Die streng riechenden Abfälle der Anwohner sind längst in den Graben gespült, der der Gasse den Namen gab: „Hinter der Bach“, so wie sich die nächste Quergasse „Uff der Bach“ benennt.

      Das Haus des Tischlers Prescher steht ziemlich allein auf seiner Straßenseite. Vorn an der Ecke ist das Anwesen vom Töpfermeister Stange und hinter dem Tischler und dem Gassenende mit dem Schuster Roseler wohnt nur noch der Hans Karte, der Weber. Im Gegensatz dazu ist die andere Seite der Gasse dicht bebaut, ein Haus reiht sich an das andere.

      Hans steht in der Haustür und lässt seinen Blick durch die regenverschleierte Gasse schweifen. Ihn stört das Wetter nicht, bislang konnte er noch immer jeder Witterung das Schöne abgewinnen. Die Lücken zwischen den Häusern sind von sattgrünen Sträuchern und Wiesen besetzt, die in den nächsten Jahren neuen Häusern weichen sollen.

      Irgendwo hinter der jenseitigen Häuserzeile kräht ein Hahn heiser in den wolkenverhangenen Morgen und erinnert daran, dass auch an solch trüben Tagen die Arbeit getan werden muss. Sachte Schritte in der Gasse lassen den Tischlermeister aufmerken. Wiewohl er eben den Entschluss gefasst hatte, die morgendliche Hafergrütze zu sich zu nehmen und sich dann der Arbeit in der Werkstatt zuzuwenden, interessiert ihn nun außerordentlich, wer durch den strömenden Regen naht. Dabei ist ihm gar nicht recht, dass der im Wildwuchs weit ausgelegte Holunderstrauch in der Brache neben seinem Haus mit dem tropfnassen Blätterwerk den Blick die Gasse hinab versperrt. Als endlich eine Gestalt in seinem Blickfeld erscheint, verhindert der Kapuzenmantel das Erkennen seines Trägers. Der weite Schnitt gestattet nicht einmal den Rückschluss, ob es sich um einen Mann oder ein Weib handelt.

      Während Hans noch grübelt, wer durch den Regen stapft, wird er gewahr, dass die Gestalt genau auf ihn zuhält. Kurz bevor sie ihn erreicht, erkennt er unter der Kapuze das Gesicht der Tochter vom Schuhmacher Roseler.

      „Nanu, Martha, wer hat dich bei diesem Wetter aus dem Haus getrieben und zu so früher Stunde? Haben wir bei deinem Vater noch Schuhwerk in Arbeit oder steht noch Bezahlung aus? Ein leichtes Lächeln funkelt um die Augenwinkel des Tischlers, hat ihm doch seine Lena gestern Abend von Marthas Seelenleben berichtet. Ihm wäre das Mädchen als Schwiegertochter schon recht, aber so ein Schritt will gut durchdacht sein. Nun aber, da sie hierherkommt, wird er etwas schneller überlegen müssen.

      Das Mädchen sieht ihn mit seinen großen Augen ganz und gar unschuldig an und doch zieht ein zartes Rot verräterisch über seine Wangen. „Guten Morgen, Meister Prescher. Die Elisabeth sagte mir gestern, dass sich der Ruprecht verletzt hat und nun wollte ich nachfragen, ob es ihm besser geht.“ Marthas Stimme hört sich etwas heiser an und die atemlose Sprechweise lässt keinesfalls auf Unbefangenheit schließen.

      „Geh nur hinein und sieh selbst. Er wird dir eigenständig sagen können, wie es heute um ihn steht.“ Bereitwillig gibt Hans die Tür frei und grient in seinen Bart, als das Mädchen ihm den Rücken zukehrt.

      Überrascht blickt Ruprecht auf, als die kalte Zugluft mit dem Mädchen in die Stube kommt. Sein von Stolz diktierter Versuch, sich vom Lager zu erheben, findet jähes Ende in schmerzgebotener Bewegungsarmut. So heldenhaft sein Bestreben war, es ist nur das hämische Kichern seiner Schwestern als Resultat zu verzeichnen.

      „Du sollst liegenbleiben!“, tadelt ihn die Mutter vom Herd her. Eben füllt sie die irdenen Schüsseln mit dem Frühstücksbrei