Gerd vom Steinbach

Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen


Скачать книгу

vor Abend zurück sein. Ich aber will nach dem Essen zum Schultheis, dem will ich die Ausstattung für zwei neue Gästezimmer bauen.“

      So schnell Magdalena in Rage geraten war, will sie sich dennoch nicht gleich wieder beruhigen. „Und du meinst, wenn du schon einmal in der Wirtschaft bist, kannst du auch gleich deinen Sohn dort verscherbeln? Nee, mein Guter, so geht das nicht. Da habe ich ebenfalls ein Wörtchen mitzureden!“

      Gerade will sie zur Tür hinaus und der Forderung ihres Mannes zum Trotz zur Roselerin hinüberlaufen, da meldet sich Ruprecht von seinem Lager: „Das gibt es doch nicht, dass ihr euch um meinetwegen streitet! Ihr müsst überhaupt nicht die Lage ausloten und erkunden, wie Marthas Vater denkt. Ich selbst werde um die Hand der Tochter anhalten und er wird nichts dagegen einzuwenden haben!“

      Erschrocken wenden sich die Eltern ihrem ältesten Sohn zu, den sie unter dem Schleier des Eckenschattens gar nicht wahrgenommen hatten. Während die Mutter vor Schreck und Scham ganz bleich ist, poltert der Vater mit rotem Kopf los: „Es hat dir wohl gefallen, deine Eltern im Streit zu beobachten? Aber auch du wirst mit deinem Weib dereinst nicht nur eitel Sonnenschein erleben. Was aber die Vorsprache beim Roseler angeht, da wirst du schön warten, bis ich mit ihm klargekommen bin! Es war so und es bleibt so, unsere Tradition verlangt dies und daran wird auch der Eigensinn deiner Mutter nichts ändern!“

      Eben will Magdalena ihre Position kundtun, da springt die Tür auf und die zwei Töchter poltern ins Haus. Misstrauisch mustern sie die Eltern, denn deren Gesichter berichten vom Spiel der Gefühle. Elisabeth versucht umgehend, den Schatten des Streites zu vertreiben und flötet übertrieben lustig: „Uhu, welch eine finstere Stimmung! Dabei sehe ich am Horizont nur Grund zur Freude.“

      „Na eben“, stimmt ihr Johanna zu, „wir feiern bald Hochzeit und dann kommen auch gleich die Kinder. Aber jetzt habe ich ganz fürchterlichen Hunger!“

      Bei den Worten der Mädchen wirft die Mutter dem Vater einen warnenden Blick zu, den Streit vorerst auszusetzen. Weil der aber seinem Weib das Gleiche signalisieren will, müssen beide laut lachen. „Ach Vater, nicht einmal streiten können wir richtig!“

      Als der Tag sich dem Ende entgegen neigt, verdeckt ein azurblauer Himmel mit violettem Dämmerungsschleier die Erinnerung an den verregneten Vormittag. Längst ist Paul aus dem Spitzgässchen zurück und sitzt auf der Bank neben der Tür. Ihm zur Seite hockt Ruprecht, der sich in seiner Sehnsucht nach Sonnenschein vom Krankenlager erhoben hat. Mit leisen Worten hat der seinen Bruder über die jüngste Entwicklung in Kenntnis gesetzt. Paul schmunzelt vor sich hin.

      „Das wird aber auch Zeit, Brüderchen! Die ganze Gasse spricht schon darüber, dass Martha hinter dir her ist und du alter Zausel nichts davon merkst.“

      Ruprecht sieht prüfend ins Gesicht des Jüngeren. „War das so deutlich? Wieso habe ich das nicht bemerkt? Jetzt lacht sicher die ganze Stadt über mich.“

      „Wen interessiert das? Außerdem brauchen die Leute immer etwas zum Tratschen. Die Hauptsache ist, dass ihr zwei euch gut und einig seid. Vor allem kann ich nun viel besser den Weibern nachstellen, denn jetzt werde ich nicht mehr an dir gemessen.“

      Das Lach-Duett der beiden hallt durch die abendfriedliche Gasse und findet prompt die kläffende Antwort eines Straßenköters. Als beide sich schniefend wieder beruhigen, bemerkt Ruprecht: „Du magst der Weiber halber nicht an mir gemessen werden, dass verstehe ich. Aber mein Ungeschick wird man immer mit deinem Können vergleichen. Das zu wissen ist auch nicht gerade ein Vergnügen.“

      „Nun barme nur nicht gar so“, sucht Paul den Bruder zu besänftigen, „es genügt, wenn du dich nur auf dein Tun konzentrierst und die Gedanken nicht abschweifen lässt. So könntest du dir manchen Ärger ersparen.“

      Eben wollen sich die Brüder erheben, um ins Haus zu gehen, da naht von der Stadtbefestigung her der krumme Schatten eines vom Alter gebeugten Weibes. In der Gassenmitte schlurft müden Schrittes die Mutter Mechthild heran. Verwundert blicken ihr die Jungen entgegen. „Gott zum Gruße!“, lässt sich Ruprecht hören. „Wenn du zu unserer Mutter willst, dann ist das der denkbar ungünstigste Augenblick. Sie sitzt drüben mit der Roselerin zusammen und wird so schnell nicht wieder hier sein. Der Vater aber sitzt beim ‚Ritter Georg‘ und hält sich die Kehle geschmeidig.“

      Die Alte winkt müde ab. „Den Vater suche ich nicht und die Mutter interessiert mich nicht zuvorderst. Deinetwegen bin ich hierhergezogen, so du der Ruprecht bist. Ich erkenne dich kaum wieder, denn ein paar Jahre sind seit unserem letzten Zusammentreffen ins Land gegangen. Nun, da du hier vor der Tür sitzt, kann ich annehmen, dass es dir besser geht, oder?“

      Ruprecht stimmt ihr zu: „Tanzen kann ich zwar noch nicht wieder, jedoch, wenn ich schön langsam mache, schaffe ich es auch bis vor die Tür.“

      „Schön vorausgesetzt, dass ich dich stütze!“, wirft Paul ein. „Aber immerhin, ohne deine Kräuter wäre er schließlich nicht von seinem Lager hochgekommen.“

      Ein zaghaftes Lächeln lässt Mutter Mechthilds Gesicht leuchten. „Versuchst du etwa, mich zu bezirzen, Paulchen? Halte dich lieber an die Jungfern in der Gasse. Aber wenn du etwas Gutes für mich tun willst, einen Becher Wein würde ich gewiss nicht ablehnen.“

      Paul lacht ihr offen ins Gesicht. „Bezirzen wollte ich dich nicht, Mutter Mechthild, nur ehrlich wollte ich sein. Es wird dich gewiss freuen, dass deine Kräuter helfen? Komm in die Stube herein. Hier draußen wird es zu kühl, um den Wein zu genießen.“ Übertrieben eifrig reißt er die Tür auf und gewährt ihr den Vortritt, bevor er, den Bruder stützend, ins Haus folgt.

      Sowie das Kräuterweib die Schwelle überschreitet, strafft sich Mechthilds Figur. Als werfe sie die Last arbeitsreicher Jahre von sich, streckt sie sich und ist auf einmal fast so groß wie die beiden jungen Männer. Die Runzeln verlieren ihre scharfen Konturen und es steht da ein Weib unbestimmten, aber gewiss nicht hohen Alters.

      Überrascht blicken die Brüder auf Mechthilde. „Also, ich hätte schwören mögen, dass du eben noch viel älter warst“, bemerkt Ruprecht, worauf das Weib freundlich nickt. „So soll es auch sein. Als Kräuterweib muss man alt sein, sonst zweifeln die Leute an der Wirksamkeit der Mittelchen. Außerdem fallen dann die Vorwürfe der Pfaffen nicht gar so hart aus.“

      „Darauf würde ich mich nicht verlassen“, widerspricht Ruprecht, „man hat es immer eiliger, Leute als Ketzer zu verurteilen und dem Feuer zu überantworten, wobei es sich gut von einer alten Hexe spricht. Es scheint manchmal sicherer, die Gaben zu verbergen, Mutter Mechthild.“

      Die Alte blickt scharfen Auges in das Gesicht des jungen Mannes. „Es ist gut, dass du dir Sorgen um mich machst, Ruprecht, aber wir haben schon ganz andere Sachen miteinander erlebt. Erinnerst du dich nicht, Rudolf?“

      Missmutig schüttelt Ruprecht den Kopf. „Ruprecht werde ich genannt, Mutter Mechthild. Und an gemeinsame Erlebnisse von größerer Bedeutung vermag ich mich auch nicht zu erinnern. Da muss ich sehr klein gewesen sein.“

      „Wie es auch gewesen sein mag, Ruprecht hat sicher recht mit seiner Warnung. Mit der heiligen Inquisition ist nicht zu spaßen. Vor Kurzem erst haben wieder Scheiterhaufen zu Zwickau und zu Freiberg gebrannt“, mischt sich Paul ins Gespräch und drängt den Bruder wie auch die Alte auf die Bank am Herd, jedem einen Becher mit Wein übergebend.

      „Ihr möget recht haben mit eurer Sorge“, stimmt Mechthild zu. „Aber es sind zu viele, die von meiner Kunst des Heilens wissen. Wie sollte ich diese auch verbergen, solange ich zu den Kranken gerufen werde? Heilerin ist man, um zu heilen. Und so lange mich der Herr Pfarrer selbst zu den Kranken holt, sollte ich sicher sein, oder?“

      „Trotzdem musst du schlau und vorsichtig sein“, drängt Ruprecht. „Du solltest deine Hütte wie einen Fuchsbau versehen, mit mehreren Ausgängen und immer ein Versteck bereit haben. Wie wäre es mit den Höhlen im Katzberg?“

      Die Alte nickt zu seinen Worten sehr verständnisvoll. „Oh ja, die Höhlen haben uns schon sehr geholfen. Du kennst dich darin bestens aus.“

      „Nicht besser als Paule und all die anderen Leute der Stadt, soweit sie hier aufgewachsen sind.“